Türkei
Causa Akhanli
Als die Verhaftung des deutsch-türkischen Schriftstellers Doğan Akhanlı im spanischen Granada bekannt wird, ist zunächst nicht klar, was Akhanlı – der ausschließlich über die deutsche Staatsbürgerschaft verfügt – von den türkischen Behörden vorgeworfen wird. Die spanische Nachrichtenagentur Europa Press berichtete unter Berufung auf Polizeikreise, Akhanlı werde die Mitgliedschaft in einer bewaffneten terroristischen Vereinigung vorgeworfen. Dies ist mittlerweile der Standardvorwurf der türkischen Justiz gegen mutmaßliche Putschisten wie gegen Oppositionspolitiker und Regierungskritiker in Medien und Kultur. Der Anwalt des Schriftstellers ließ wissen, dass gegen seinen Mandanten ein Dringlichkeitsvermerk – eine sogenannte red notice – der internationalen Polizeibehörde Interpol vorgelegen habe und dass er auf türkischen Antrag festgenommen worden sei.
Bei einer red notice handelt es sich weder um einen internationalen Haftbefehl noch um einen Suchbefehl der internationalen kriminalpolizeilichen Organisation. Vielmehr ist es ein Ersuchen, den Aufenthaltsort einer bestimmten Person zu ermitteln und diese vorläufig festzunehmen. Laut Interpol entscheiden die Länder selbst, wie sie mit einer red notice umgehen. Kein Land kann also gezwungen werden, aufgrund dieser Fahndung einen Menschen festzunehmen. Im Großen und Ganzen sind sich die 190 Interpol-Mitgliedsländer aber einig, mit der red notice oder anderen Formen der gegenseitigen Unterstützung wirksame Werkzeuge in der Hand zu haben. Das gilt für die Bekämpfung von Verbrechen jeglicher Art, einschließlich Terrorismus. Dabei arbeitet Interpol auch mit den Vereinten Nationen zusammen, etwa wenn es um die Überwachung von Sanktionen geht. Einen völkerrechtlichen Vertrag gibt es jedoch nicht. Juristisch gesehen ist Interpol ein Verein. Weder nationale Parlamente noch andere externe Institutionen können die Arbeit von Interpol kontrollieren. Streng genommen handelt es sich um eine zwar global praktizierte, aber auf der Basis des guten Willens beruhende Zusammenarbeit. Eine oppositionelle türkische Nachrichtenseite hatte vergangenen Juli berichtet, Interpol habe der Türkei für fast ein Jahr den Zugang zur Datenbank gesperrt, nachdem Ankara dort nach dem vereitelten Putschversuch vom Juli 2016 eine Liste mit 60.000 Festnahmeanträgen abgespeichert und somit das System fast zum Erliegen gebracht hätte.
Merkel: Interpol nicht „für so was“ missbrauchen
Bundeskanzlerin Merkel zeigte sich verärgert über den Fall. „Ich sage dazu, dass das aus meiner Sicht nicht geht. […] Ich würde auch jederzeit den [türkischen] Ministerpräsidenten anrufen.“ Man dürfe die internationalen Organisationen wie Interpol nicht „für so was“ missbrauchen. Nach Bekanntwerden der Festnahme Akhanlıs bat das Auswärtige Amt die spanische Regierung, den Deutschen nicht an die Türkei auszuliefern. Diese Bitte sei der Madrider Regierung „hochrangig“ von der deutschen Botschaft überbracht worden. Außenminister Gabriel schaltete sich persönlich ein und telefonierte mit seinem spanischen Amtskollegen Alfonso Dastis. Dabei habe Gabriel auch den Wunsch geäußert, dass Deutschland in das Auslieferungsverfahren einbezogen werde. Außerdem habe er um schnellstmögliche konsularische Betreuung des Schriftstellers gebeten.
Akhanlıs Rechtsanwalt Ismail Uyar sprach von einer politisch motivierten Aktion der türkischen Regierung: „Die jetzige Festnahme zeigt den Versuch Erdoğans, seine Macht über die Grenzen seines Landes hinaus auszudehnen und weltweit gegen unliebsame und kritische Stimmen vorzugehen“, so Uyar auf Facebook. Er forderte die sofortige Freilassung seines Mandanten.
Zwei Tage nach der Festnahme wurde Akhanlı unter Auflagen freigelassen. Doch er darf Spanien noch nicht verlassen und muss sich einmal pro Woche beim Gericht in Madrid melden. Etwa eine Woche nach der Festnahme wurde dann vermeldet, dass Interpol die red notice gegen den Kölner Schriftsteller aufgehoben habe. Ob und wann der Autor aber ausreisen darf, blieb bis Redaktionsschluss noch ungeklärt. Die Türkei hat nun 40 Tage Zeit, ihren Antrag auf Auslieferung zu begründen. Rechtsanwalt Uyar rechnet nicht mit einer Auslieferung seines Mandanten an die Türkei. Dort sei ein rechtstaatlicher Prozess nicht möglich. Zu der Spanienreise sagte er, sein Mandant habe von der deutschen Polizei keinen Hinweis erhalten, dass ihm bei einer Auslandsreise Gefahr drohe.
Doğan Akhanli äußerte sich wiederholt kritisch zur türkischen Regierung
Gabriel zeigte sich erleichtert über die Freilassung des Autors: „Ich freue mich, dass Doğan Akhanlı wieder auf freiem Fuß ist. […] Es wäre schlimm, wenn die Türkei auch am anderen Ende Europas erreichen könnte, dass Menschen, die ihre Stimme gegen Präsident Erdoğan erheben, in Haft geraten“, so der Niedersachse. Akhanlı, der seit 25 Jahren in Köln lebt und Mitglied der internationalen Schriftstellervereinigung PEN ist, äußerte sich wiederholt kritisch zur türkischen Regierung. In seinen literarischen Werken thematisiert er unter anderem den Völkermord an den Armeniern, der vom türkischen Staat immer noch nicht anerkannt wird und bis vor wenigen Jahren ein Tabu und Grund für eine Festnahme war. Akhanlı setzt sich für die Aufarbeitung von historischer Gewalt und die Achtung der Menschenrechte ein.
Nach dem Militärputsch 1980 ging er in der Türkei in den Untergrund; er war zwei Jahren in einem Militärgefängnis inhaftiert, ehe er 1991 mit seiner Familie nach Deutschland übersiedelte. 2009 wurde er vom „Bündnis für Demokratie und Toleranz“ ausgezeichnet. Bei seiner Einreise in die Türkei im Jahre 2010 wurde Akhanlı verhaftet. Ihm wurde Raubmord und die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung vorgeworfen. Er verbrachte mehrere Monate in Untersuchungshaft, bis er 2011 freigesprochen wurde. 2013 ließ jedoch ein Istanbuler Gericht den Freispruch aufheben. Aus Angst vor Repressalien erschien Akhanlı nicht zur Verhandlung. Nun hat die türkische Justiz dies zum Anlass genommen, eine red notice zu erlassen.
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