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Zum Geburtstag
Ein Liberaler mit Stil und Leidenschaft

Wolfgang Gerhardt

"Der mit seiner Politik“, soll Wolfgang Gerhardts Mutter früher immer gesagt haben, so erzählt einer seiner Cousins. Studienrat oder Studiendirektor, das wäre ihr als Berufswunsch ihres jugendlichen Sohnes lieber gewesen. Aber, so der Cousin, Wolfgang Gerhardt habe sich nicht darum gekümmert, sondern „seine FDP durchgezogen“.

Heute wissen wir, dass dies eine gute Entscheidung war. Sein Einsatz für „seine FDP“ hat Wolfgang Gerhardt bis auf die höchsten Ebenen der deutschen Politik geführt, nachdem er im Alter von 21 Jahren den Freien Demokraten beigetreten war. Sein Engagement galt zunächst der Hochschul- und Jugendpolitik, wo er unter anderem 1967/68 Landesvorsitzender des Liberalen Studentenbundes Deutschlands und stellvertretender Landesvorsitzender der Deutschen Jungdemokraten in Hessen war. Ab 1969 arbeitete er bei der Friedrich-Naumann-Stiftung, zunächst als Leiter des Regionalbüros in Hannover, dann als Referent in der Inlandsabteilung. 1971 wechselte er als persönlicher Referent des Ministers Hanns-Heinz Bielefeld ins Hessische Ministerium des Innern, wo er unter Bielefelds Amtsnachfolger Ekkehard Gries das Ministerbüro leitete. 

Ab dem Jahr 1978, als er in den Hessischen Landtag einzog, nahm Gerhardts politische Karriere deutlich Fahrt auf. Schnell erwarb er sich einen Ruf als versierter Debattenredner und als kompetenter Fachpolitiker. Als die FDP bei der Landtagswahl 1982 den Einzug ins Landesparlament verfehlte, zeigte Wolfgang Gerhardt - wie später noch oft - Mut und Standfestigkeit. Er erklärte sich bereit, den Vorsitz der angeschlagenden hessischen FDP zu übernehmen. Zudem war er seit 1982 als Mitglied des FDP-Bundesvorstands so auch schon in der Bundespolitik präsent. Seine Arbeit zeigte schnell Wirkung, denn die FDP kehrte mit 6,5 Prozent der Stimmen alsbald ins Parlament zurück.

Nachdem 1987 die rot-grüne Koalition in Hessen an internem politischem Streit zerbrochen war, erreichten CDU und FDP bei der darauf folgenden Wahl gemeinsam eine regierungsfähige Mehrheit, und Wolfgang Gerhardt wurde Hessischer Minister für Wissenschaft und Kunst, Bevollmächtigter des Landes Hessen beim Bund und zugleich Stellvertreter des Ministerpräsidenten Walter Wallmann. Als dann die CDU-FDP-Koalition bei der Landtagswahl 1991 ihre Mehrheit verlor, schied Wolfgang Gerhardt im April 1991 aus der Landesregierung aus und übernahm erneut die Funktion des Vorsitzenden der FDP-Landtagsfraktion.

Gerhardts Augenmerk richtete sich schon in dieser Zeit verstärkt auf bundes- und europapolitische Zusammenhänge. Er entschloss sich, ein Bundestagsmandat anzustreben. Dieses erreichte er bei der Bundestagswahl 1994. Eine neue Phase in seiner politischen Laufbahn begann.

Anfang des darauffolgenden Jahres teilte der FDP-Bundesvorsitzende Klaus Kinkel mit, dass er nicht erneut für das Amt kandidieren werde. Nachfolger im Bundesvorsitz wurde Wolfgang Gerhardt, der die Delegierten des Parteitages 1995 mit einer überzeugenden Vorstellungsrede hinter sich brachte und die Abstimmung gegen Jürgen Möllemann deutlich gewann. Schnell gelang es ihm auch hier, wie schon ab 1982 in Hessen, die Partei zusammenzuführen. Die Koalition auf Bundesebene allerdings geriet zunehmend in Schwierigkeiten; ein Machtwechsel begann sich abzuzeichnen. Der „Modernitätsschub für die Koalition“, den Wolfgang Gerhardt in seiner Kandidatenrede zum Bundesvorsitz 1995 gefordert hatte, war für viele im Land zu wenig erkennbar. Bei der Bundestagswahl im September 1998 wurde die schwarz-gelbe Bundesregierung abgewählt. Die FDP begann – mit Wolfgang Gerhardt auch als Vorsitzendem der FDP-Bundestagsfraktion - ihre Arbeit als Opposition. Die Agenda der neuen, rot-grünen Bundesregierung sorgte für neue thematische Schwerpunkte, die im Bundestag debattiert und auch innerhalb der FDP intensiv diskutiert wurden. 

Im Januar 2001 verständigten sich Wolfgang Gerhardt und Guido Westerwelle darauf, dass Gerhardt beim anstehenden Bundesparteitag nicht mehr für den Bundesvorsitz kandidieren und sein bisheriger Generalsekretär Westerwelle sich um dieses Amt bewerben sollte. Der Vorsitz der Bundestagsfraktion blieb dagegen weiterhin bei Wolfgang Gerhardt.

Die angestrebte Ablösung der rot-grünen Bundesregierung kam 2002 nicht zustande, auch wegen des unerwartet schlechten Wahlergebnisses von CDU und CSU. Gleichzeitig wurden aber die Differenzen in der rot-grünen Regierungskoalition deutlicher, die Abstimmungen schwieriger und die Politik des Bundeskanzlers Gerhard Schröder umstrittener. Es kam 2005 zu Neuwahlen. Die Liberalen waren durch ihre Arbeit im Parlament sowie das gute Zusammenspiel zwischen Bundestagsfraktion und Bundespartei bestens auf die neue Herausfirderung eingestellt. Die Chancen, nach der Wahl in eine Bundesregierung einzutreten, standen nach allgemeiner Meinung gut, und Wolfgang Gerhardt war für eine solche Koalition als Außenminister vorgesehen. 

Es kam anders. Nach der Wahl 2005 bildeten Union und SPD die so genannte Große Koalition. Die FDP verblieb - trotz sehr gutem Wahlergebnis - für weitere vier Jahre in der Opposition. In dieser Lage meldete der Bundesvorsitzende Guido Westerwelle sein Interesse an einer Übernahme auch des Vorsitzes der Bundestagsfraktion an, um die Arbeits- und Abstimmungsstrukturen der Liberalen auf Bundesebene zusammenzuführen. Man einigte sich darauf, dass Wolfgang Gerhardt für ein weiteres Jahr an der Spitze der Bundestagsfraktion bleiben und danach in den Vorstandsvorsitz der Friedrich-Naumann-Stiftung wechseln sollte.

Wolfgang Gerhardt überließ dem Partei- und Fraktionsvorsitzenden Westerwelle in Parteiangelegenheiten zunehmend die öffentliche Bühne. Er widmete sich ab dem Jahr 2006 verstärkt seiner neuen Aufgabe als Vorstandsvorsitzender der Friedrich-Naumann-Stiftung. Behutsam leitete er Reformen und Veränderungen ein. Er wurde schnell zur starken Stimme der bürgerlichen Freiheit jenseits der Parteipolitik im engeren Sinn. „In seiner neuen Funktion als Vorsitzender des Vorstandes der liberalen Stiftung in Deutschland, der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit, bezog er immer wieder Positionen zu wichtigen politischen Fragen und wurde dabei in beispielhafter Weise dem Auftrag einer politischen Stiftung gerecht, politische Bildung im In- und Ausland zu vermitteln und dabei jenseits des oft kurzlebigen Parteienstreits über den Tag hinaus zu denken“. So charakterisierte der frühere Kuratoriumsvorsitzende der Stiftung, Jürgen Morlok, die Arbeit von Wolfgang Gerhardt.

Nach dem Ausscheiden der FDP aus dem Deutschen Bundestag 2013 gab es eine grundlegende Modernisierung auch der liberalen Stiftungsarbeit. Es war Wolfgang Gerhardt, der diese als Vorsitzender vorantrieb. Im Jahr des Wiedereinzugs der FDP in den Bundestag 2017 erarbeitete dann der Vorstand der Stiftung die strategischen Ziele für den Zeitraum bis 2022 und gab die notwendigen Maßnahmen zu deren Umsetzung in Auftrag. Wolfgang Gerhardt schied am 25. September 2018 aus dem Amt, aber sein Wirken reicht bis an die jüngste Vergangenheit heran, zumal er als Ehrenvorsitzender die Stiftung weiterhin intensiv begleitet. 12 Jahre lang hat er die Stiftung geleitet, länger als alle seine Vorgänger.