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US-Wahl
Eine Chance für die EU!

Warum Donald Trumps neue Amtszeit der EU helfen kann, sich zusammenzuraufen
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Die erneute Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten ist ein entscheidender Moment für die Europäische Union, ihre globale Strategie und ihren internen Zusammenhalt zu überdenken. Trumps "America First"-Agenda während seiner ersten Amtszeit hat die Grenzen des Verlassens auf die US-Führung aufgezeigt, insbesondere in Bereichen wie dem Klimawandel, dem Handel, der Verteidigung, der globalen öffentlichen Gesundheit und dem Multilateralismus. Jetzt, da er wieder an der Macht ist, bietet sich Europa eine neue Chance, seinen Weg zu einer strategischen Autonomie zu beschleunigen und seinen globalen Einfluss zu stärken. Kein Wunder, dass einige hochrangige EU-Politiker in Trumps Wahl Vorteile sehen. Es mag eine unbequeme Wahrheit sein - aber je besser die EU darauf vorbereitet ist, unabhängige Entscheidungen zu treffen, während ein zunehmend autoritär regiertes Amerika internationale Konfrontationsszenarien im Welthandel beschleunigt, desto mehr kann sie ihren eigenen globalen Einfluss erhöhen und ihre Beziehungen zu Partnern vertiefen, die zukünftig Gefahr laufen, von den USA im Stich gelassen zu werden. Hier ein dreiteiliger Überblick über die Freiräume, die die Trump-Regierung der EU für eine neue strategische Entscheidungsfindung ganz im eigenen Interesse eröffnen dürfte:

 1. Außenpolitik – geringere Notwendigkeit der Anpassung an die USA

Unter Trumps letzter Präsidentschaft haben sich die USA aus wichtigen internationalen Abkommen - vom Pariser Abkommen bis zum Iran-Atomabkommen - zurückgezogen und eine Handelspolitik verfolgt, die in der Vergangenheit oft zu Konflikten geführt hat. Die Unberechenbarkeit der US-Außenpolitik hat die Anfälligkeit Europas für externe Machtverschiebungen deutlich gemacht. Für die EU dürfte Trumps Wiederwahl nun als ein Katalysator wirken, die eigene innere Integration zu vertiefen und eine kohärentere, unabhängige Außenpolitik zu verfolgen. Dies ist notwendig, um den europäischen Lebensstil zu schützen, was vielleicht Elon Musk nicht gerade begeistern wird, aber unbedingt verteidigungswürdig ist. Es ist höchste Zeit, dass die EU beispielsweise den Binnenmarkt für Finanzdienstleistungen und Kapital aufrüstet und administrative Hürden und die Fülle von Meldepflichten abbaut. Im Bereich Sicherheit hat die EU bereits Schritte in Richtung einer einheitlicheren Verteidigungsstrategie unternommen, doch besteht in diesem Bereich, wie auch in anderen wichtigen Bereichen wie Diplomatie und Handel, weiterhin dringender Handlungsbedarf. Die EU muss sich auf ein langes, solitäres Spiel vorbereiten: Es ist unwahrscheinlich, dass die Dinge zur Normalität zurückkehren, wenn die Welt nur die kommenden vier Jahre der Trump'schen Herrschaft aussitzt: Trumps geballte Macht, seine Immunität und disruptive Entscheidungsfindung werden das US-Regierungssystem wahrscheinlich noch einige Jahre lang verzerren und möglicherweise sogar zu weiteren "problematischen" Nachfolgepräsidentschaften in den USA führen. Europa muss also davon ausgehen, dass es für einige Jahre weitgehend sich selbst überlassen bleibt. Dies wiederum sollte als Chance begriffen werden und das Selbstbewusstsein Europas stärken, seine Interessen auf der Weltbühne durchzusetzen. Tatsächlich warten Partner, die auf die EU zählen, dringend darauf, dass die EU die Initiative ergreift. Dies gilt insbesondere für den Fall der Ukraine, wo wichtige Entscheidungen über Verteidigungshilfe getroffen werden müssen, wie auch für den EU-Erweiterungsprozess.

 2. Strategische Autonomie - Integration mit langfristigen Visionen für internationale Partnerschaften

Das Konzept der "Strategischen Autonomie" hat in den Diskussionen in der EU an Zuspruch gewonnen, und eine zweite Amtszeit Trumps könnte die Union dazu bewegen, dessen Umsetzung zu beschleunigen. Dies bedeutet unter anderem, im Verteidigungsbereich die Abhängigkeit von den USA durch die NATO zu verringern und sicherzustellen, dass Europa über die notwendigen politischen und wirtschaftlichen Instrumente verfügt, Krisen selbst zu bewältigen. Eine geeinte EU würde einen ausgewogenen Ansatz für die Global Governance fördern und gleichzeitig eine regelbasierte Weltordnung weiter vorantreiben. Partnerschaftliche Zusammenarbeit im Verteidigungsbereich, insbesondere mit dem Vereinigten Königreich, könnte eine engere Abstimmung der europäischen Gesamtregion als geopolitisch größerer räumlicher Einheit wiederbeleben. Letztlich könnte dies zu einer verbesserten Zusammenarbeit zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich auch in anderen wichtigen Bereichen, wie etwa dem Handel, führen. Noch weiter in die Zukunft gedacht, könnte eine verstärkte europäische Investition in diversifizierte Partnerschaften langfristig dazu beitragen, eine allmähliche Neuordnung der multilateralen Weltordnung zu fördern. Die EU sollte sich auf starke Partnerschaften mit Regionen konzentrieren, die in den kommenden Jahrzehnten die bevölkerungsreichsten und demografisch jüngsten und dynamischsten sein werden, insbesondere Süd- und Südostasien, Afrika südlich der Sahara sowie Lateinamerika. Die vorherige Trump-Administration war, in eigener Sache, weniger geneigt als Präsident Obama oder Präsident Biden, aktiv Kooperationsallianzen mit demokratischen Ländern auf der ganzen Welt zu schmieden oder etwa die globale öffentliche Gesundheitspolitik zu fördern. Es liegt daher im Interesse Europas, dass solche Allianzen wirksam sind, und eine führende Rolle der EU sollte dabei ein prioritäres Ziel seiner Außenpolitik werden. Wo immer sich die Trump-Administration in Partnerregionen zurückzieht, sollte die EU die hinterlassenen Lücken rasch durch eigene Partnerschaftsangebote schließen, wenn die Bedingungen vielversprechend sind.

3. Transatlantische Beziehungen – Priorität auf Resilienz

Trumps protektionistische Handelspolitik, einschließlich der angekündigten Zölle auf europäische Produkte, hat die Notwendigkeit für die EU nochmals unterstrichen, ihre Wirtschafts- und Handelsbeziehungen zu diversifizieren. Die EU verfügt zwar über ein starkes Handelsnetz, doch die Herausforderung besteht weiterhin darin, Abkommen zu schließen, die den Interessen der EU dienen und gleichzeitig die Risiken aggressiver wirtschaftlicher Taktiken der USA minimieren. Mit Trump erneut im Weißen Haus, wäre die EU gut beraten, neue Handelspartnerschaften einzugehen, insbesondere mit anderen demokratischen Nationen, und den Binnenmarkt zu stärken, damit Europa in einer zunehmend fragmentierten Weltwirtschaft wirtschaftlich widerstandsfähig bleibt. Europa muss sich darauf einstellen, dass die transatlantischen Beziehungen zukünftig schon durch Handelsfragen allein sehr viel komplizierter werden; mehr und mehr Stimmen in Brüssel und einzelnen EU-Mitgliedstaaten halten einen Handelskrieg durch neue US-Zölle auf EU-Importe für sehr wahrscheinlich. Europa, einschließlich des Vereinigten Königreichs, muss sich zudem darauf einstellen, dass seine Märkte von billigen chinesischen Produkten überschwemmt werden, wenn sich der Handelskrieg zwischen den USA und China weiter verschärft. Strengere Vorschriften für chinesische Importe werden notwendig sein, was wiederum die politische Kluft zu China weiter vertiefen wird. China indes bezeichnet Zusammenarbeit in der westlichen Welt gerne als eine "von den USA angeführte Verschwörung" mit dem Ziel, Chinas Macht zu brechen.

Die Wahl Trumps stellt somit eine Herausforderung für die Widerstandsfähigkeit Europas dar, aber auch eine Chance für die EU, ihre Beziehungen zu den USA abseits der traditionellen - und insbesondere in den USA viel kritisierten - Abhängigkeit neu zu gestalten und stattdessen auf eine gleichberechtigte Partnerschaft hinzuarbeiten. Die EU kann die Grundlage ihrer Beziehungen zu den USA etwa stärker an einer gegenseitigen Anerkennung der Souveränität und der gemeinsamen demokratischen Werte orientieren, wobei beide ihre jeweils eigenen wirtschaftlichen Interessen verteidigen. Dies könnte beiden Seiten sogar helfen, sich ohne die Last ungeklärter Loyalitätsfragen effektiver auf ausgewählte globale Schlüsselthemen zu konzentrieren, bei denen ein Konsens aussichtsreich erscheint. Tatsächlich es gibt viele Themen, bei denen sich die EU mit Trump zusammentun kann, vor allem was den Abbau von Verwaltungshürden und die Verringerung der Abhängigkeit von China angeht. All dies ist wichtig, denn das transatlantische Bündnis wird langfristig ein Eckpfeiler der europäischen Außenpolitik bleiben. Wo immer sich Möglichkeiten der Annäherung ergeben, sollten diese genutzt werden. Dennoch sollte die EU auf externe Unwägbarkeiten vorbereitet sein: China hat in der Vergangenheit vielfach bewiesen, dass es bereit ist, gemeinsamen wirtschaftlichen Nutzen seiner Machtpolitik zu opfern, und die kommende Trump-Administration könnte dazu ebenfalls in der Lage sein.

Die globale Führungsrolle neu bewerten: ein Weckruf für die europäische Einigung

Die EU ist seit langem eine Befürworterin des Multilateralismus, und die Erinnerung an das Chaos während Trumps erster Amtszeit warnt uns, wie wichtig ein stabiler und kooperativer Ansatz in globalen Angelegenheiten ist. Europa hat nun die Chance, in Bereichen wie Klimawandel, internationalem Handel und Menschenrechten die Nase vorn zu haben - Themen, an denen die USA unter Trump in der Vergangenheit weniger Interesse gezeigt haben. Durch die proaktive Einnahme einer größeren Rolle bei der Gestaltung globaler Normen und Institutionen kann die EU ihr Engagement für eine kooperative und friedliche Weltordnung unterstreichen.

Eine schnelle und korrekte Echtzeiteinschätzung der Implikationen von Trumps Wiederwahl wird von größter Bedeutung sein: die EU wird sich langsame Entscheidungsfindungsprozesse zukünftig nicht mehr leisten können. Trumps neue Amtszeit wird das politische System der USA zweifelsohne autoritärer machen; als spürbaren Nebeneffekt dürfte die Trump-Regierung einen beschleunigten Entscheidungsfindungsdruck in der internationalen Politik vorantreiben. China und Russland dürften diese Beschleunigung bereitwillig aufgreifen, da sie beiden hilft, ihre rivalisierenden Ambitionen zu vertiefen und den Druck auf andere Akteure, insbesondere Europa, zu erhöhen. Ironischerweise könnte das derzeitige gelegentlich konservative bis ultrakonservative Mehrheitsverhältnis im Europäischen Parlament über bessere technische Mittel der schnellen Reaktionsfähigkeit verfügen als frühere Mehrheiten, wenn auch diese Mehrheit wohl oft versuchen wird, die falsche Politik zu fördern. Und nicht zu vergessen, dass Kräfte aus der Extremen Rechten in der EU, die häufig mit Trump sympathisieren, soeben einen ordentlichen Selbstbewusstseinsschub erfahren haben. Dadurch können sie nun möglicherweise neue Hebel für eine schrittweise Normalisierung rechter Politikrichtilinien in zahlreichen Feldern geltend machen sowie individuelle Übereinstimmungen mit Trump in den EU-Institutionen ausspielen. Im Kern hängt jedoch alles von der Weitsicht und dem Willen zur Einigkeit der EU-Mitgliedstaaten ab: wenn diese eine klare gemeinsame Haltung zu einer unabhängigen Geostrategie finden, kann die EU das derzeitige Element der Unsicherheit zu ihrem Vorteil nutzen und Entscheidungen bevorzugen, die ihr größtmögliche Handhabe über die eigene wirtschaftliche Stabilität gewähren. Die erforderlichen Reformen sind eine ziemlich große Herausforderung, aber sie sind sinnvoll. Die EU-Mitgliedstaaten, insbesondere diejenigen, die in Brüssel das meiste Gewicht haben, müssen sich proaktiv um eine größere Einheit innerhalb des Blocks bemühen und sicherstellen, dass die Wähler die Tragweite der Situation verstehen. Indem sie die Einheit fördert, strategische Autonomie anstrebt und ihren globalen Einfluss geltend macht, kann die EU sicherstellen, dass sie ein starker und widerstandsfähiger Akteur auf der Weltbühne bleibt, egal was in Washington passiert.