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Kurdenkonflikt
Das Kurdenproblem in der Türkei – Gespräche zur Entwaffnung der PKK

Präsident Erdoğan

Der türkische Präsident Erdoğan.

 

© picture alliance / Anadolu | Murat Kula

Der Anführer der nationalistischen MHP hat Gespräche zur Entwaffnung und Auflösung der separatistischen PKK eingeleitet. Es besteht die Hoffnung, dass die Türkei schon bald das chronische Terrorproblem lösen könnte. Gleichzeitig jedoch geht die Regierung hart gegen oppositionelle Bürgermeister vor und ersetzt sie durch staatliche Beamte. Wie passt das zusammen?

Das Kurdenproblem – so alt wie die Republik selbst

Die Kurdenfrage ist fast so alt wie die Türkische Republik selbst, die vor zwei Jahren ihr 100-jähriges Bestehen feierte. In den Jahren 1914 bis 1922 waren Türken und Kurden noch Verbündete: zunächst im Ersten Weltkrieg (1914–1919) und später im Unabhängigkeitskrieg (1919–1922) kämpften sie Seite an Seite.

Ein kurdischer Nationalismus entwickelte sich jedoch, anders als der türkische, erst später. Der Scheich-Said-Aufstand von 1925 ist auch hundert Jahre danach für viele Kurden ein schmerzhaftes Kapitel ihrer Geschichte. Unter der Führung von Scheich Said, einem angesehenen geistlichen Führer der sufischen Nakschbendi-Bruderschaft, brach ein Aufstand aus. Auslöser waren verschiedene Beweggründe, darunter religiöser Widerstand gegen die Regierung in Ankara, Aussicht auf Beute, kurdischer Nationalismus und Widerstand gegen eine immer zentralistischer auftretende Staatsmacht. Der Aufstand wurde jedoch nach nur wenigen Wochen blutig niedergeschlagen, Scheich Said hingerichtet. Zahlreiche kurdische Dörfer wurden zerstört, und ihre Bewohner nach Zentralanatolien zwangsdeportiert. Der Scheich-Said-Aufstand war nur einer von mehreren kurdischen Aufständen in den frühen Jahren der jungen Republik. Seitdem zählt die Kurdenfrage zu den größten Herausforderungen der Türkei auf ihrem Weg zu mehr Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Wohlstand.

Seit den späten 1970er Jahren hat das Kurdenproblem eine zusätzliche sicherheitspolitische Dimension erhalten. Unter der Führung von Abdullah Öcalan wurde 1978 die PKK (offiziell „Arbeiterpartei Kurdistans“) gegründet, die seither wiederholt Terroranschläge in der Türkei verübt. In den 1990er Jahren verschärfte sich die Problematik dramatisch, und das Kurdenproblem wurde zu einem zentralen Thema, das die Türkei bis heute belastet. Zwar forderte die PKK in ihren Anfangsjahren die Gründung eines unabhängigen „Kurdistans“, doch schon lange hat sie diese Maximalforderung durch die Forderung nach kultureller und sprachlicher Anerkennung sowie verfassungsrechtlicher Gleichstellung ersetzt. Der Konflikt zwischen der PKK und der türkischen Armee hat Zehntausende Menschenleben gefordert und Millionen zur Flucht gezwungen. Die wirtschaftlichen Kosten des Konflikts werden auf mehrere hundert Milliarden US-Dollar geschätzt – ganz zu schweigen von den Rückschlägen in den Bereichen Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte.

Friedensprozess 2.0 – Regierungspartner Bahçeli initiiert Gespräche mit PKK-Anführer Öcalan

Heute versucht die Regierungskoalition von Präsident Erdoğan erneut, das chronische Kurdenproblem zu lösen und die Türkei vom Terror zu befreien. Bereits zwischen 2013 und 2015 gab es einen sogenannten Friedensprozess, der jedoch kläglich scheiterte.

Während Regierungsanhänger den MHP-Vorsitzenden Devlet Bahçeli als treibende Kraft für den „mutigen Schritt“ loben, sehen Kritiker die Initiative als verzweifelten Versuch, eine weitere Amtszeit für Präsident Erdoğan zu ermöglichen. Erdoğans derzeitige Amtszeit endet regulär 2028, und eine Wiederwahl ist nach der aktuellen Verfassung nicht möglich – es sei denn, das Parlament wird aufgelöst und Neuwahlen ausgerufen. Dafür benötigt Erdoğan jedoch die Unterstützung weiterer Parteien, da seine Koalition aus AKP, MHP und kleineren Parteien hierfür nicht ausreichend Stimmen hat. Eine potenzielle Partnerin könnte die prokurdische DEM-Partei sein, die eine zentrale Rolle in der aktuellen Initiative spielt und Gespräche einerseits mit dem inhaftierten PKK-Chef Öcalan und andererseits mit Vertretern der politischen Parteien im Parlament führt. Ziel der Gespräche ist es, die PKK zur Niederlegung ihrer Waffen und zur Aufgabe des bewaffneten Kampfes zu bewegen. Eine weitere Option für Erdoğans Verbleib im Amt wäre eine Verfassungsänderung – jedoch sind die Hürden dafür noch höher.

Kritiker vermuten zudem, dass die Regierungskoalition versucht, die Opposition vor den kommenden Wahlen zu spalten. Eine Zusammenarbeit zwischen der DEM-Partei und der Regierungskoalition könnte die prokurdische Partei aus dem Oppositionsbündnis herausbrechen. Einige Beobachter warnen sogar vor einer Verfassungsänderung, die Erdoğan eine unbegrenzte Amtszeit ermöglichen könnte.

Auffällig ist, dass Präsident Erdoğan sich selbst aus dem aktuellen Prozess weitgehend heraushält. Angesichts des Präsidialsystems, das ihm nahezu uneingeschränkte Macht verleiht, ist dies ungewöhnlich. Doch die Zurückhaltung scheint kalkuliert: Sollte der Prozess scheitern, könnte Erdoğan politischen Schaden für seine Person abwenden.

Offiziellen Stellungnahmen zufolge geht es bei der Initiative ausschließlich um eine „Türkei ohne Terror“. Ob dies tatsächlich erreicht wird und was die DEM-Partei im Gegenzug fordert, bleibt ungewiss. Obwohl der von MHP-Chef Bahçeli im Oktober initiierte Prozess langsam an Fahrt aufnimmt, sind sowohl sein Umfang als auch sein endgültiges Ziel unklar. Es herrscht Unsicherheit darüber, ob die Gespräche lediglich den Terror beenden oder auch eine demokratische Lösung für die zugrundeliegende Kurdenfrage anstreben. Letztere ist schließlich die eigentliche Ursache des Konflikts.

Parallel zu den Friedensgesprächen: Absetzung von Bürgermeistern

Die Entwicklungen an anderer Front lassen jedoch wenig Anlass für Optimismus. Seit den Kommunalwahlen vom 31. März 2024, bei denen die Regierungskoalition eine schwere Niederlage erlitt, wurden zehn gewählte Bürgermeister abgesetzt und durch staatliche Beamte ersetzt – acht davon gehören der DEM-Partei an. Die Partei spielt zugleich eine zentrale Rolle in den Gesprächen mit PKK-Anführer Öcalan, der auf der Gefängnisinsel Imrali inhaftiert ist.

Es erscheint paradox, dass Verhandlungen zur Entwaffnung der PKK geführt werden, während gleichzeitig gewählte Bürgermeister der DEM-Partei abgesetzt werden. Kritiker vermuten, dass die Regierung bewusst eine Doppelstrategie verfolgt: einerseits Härte demonstrieren, wie durch die Absetzungen, und andererseits Verhandlungen führen. Ziel sei es, sowohl die nationalistische Wählerschaft zu beruhigen als auch den Friedensprozess voranzutreiben.

Der jüngste und bislang schwerste Schlag gegen einen gewählten Bürgermeister erfolgte Mitte Januar: Der Bürgermeister des Istanbuler Bezirks Beşiktaş, Rıza Akpolat von der kemalistischen CHP, wurde unter Korruptionsvorwürfen zunächst in Untersuchungshaft genommen und später inhaftiert. Ein staatlicher Beamter soll in Kürze die Amtsgeschäfte übernehmen. Akpolat ist bereits der zweite Istanbuler Bezirksbürgermeister aus den Reihen der größten Oppositionspartei CHP, der abgesetzt wurde. Kritiker vermuten, dass diese Maßnahmen Teil eines gezielten Drucks auf den Istanbuler Oberbürgermeister Ekrem İmamoğlu sind, der als aussichtsreichster Präsidentschaftskandidat der CHP gilt.

Die fragwürdigen Absetzungen gewählter Bürgermeister dämpfen Hoffnungen, dass die Türkei bald nicht nur vom Terror befreit, sondern auch grundlegende Fortschritte in den Bereichen Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte erzielen könnte.

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Florian von Hennet
Florian von Hennet
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