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Europas möglicher Weg zur Unabhängigkeit

Europäische Ressourcensouveränität

Die energiepolitischen Erfahrungen mit Russland haben vor allem eines gezeigt: Es ist nicht ratsam, bei der Versorgung mit essenziellen Gütern zu großen Teilen auf nur einen Partner zu setzen – insbesondere, wenn das Verhältnis zu diesem Partner von Spannungen und unterschwelligem Misstrauen geprägt ist. Nun kämpfen Deutschland und Europa gerade händeringend mit den Auswirkungen des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine und seinen wirtschaftlichen Folgen. Und die Moral von der Geschicht: Auf nur einen Partner verlass Dich nicht!

Abkopplung

Dass sich Europa, insbesondere aber Deutschland, nun von russischen Gasimporten entkoppelt, ist allen bewusst – in der Vergangenheit bezogen wir immerhin rund 55 Prozent unseres Gases aus Russland. Dass dies mit enormen Kosten verbunden ist, ist ebenfalls bekannt. Allein der öffentliche Haushalt investiert mehr als 200 Mrd. Euro aus dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds in die Abschwächung der Energiekostensteigerung durch die Angebotsverknappung. Von den Kosten, die die privaten Haushalte und Unternehmen nun tragen müssen, ganz zu schweigen. Die Lektion hat einen hohen Preis – die Frage ist allein, ob aus den Fehlern gelernt wird.

Anpassungen

Russisches Gas wird nun durch Flüssiggas aus Kanada, den USA und anderen Nationen mit großen Förderkapazitäten substituiert. Dafür wurden sogenannte LNG-Terminals in Rekordtempo errichtet. Diese erlauben nun eine diversifizierte Gasimportstrategie – denn solange die Seewege frei sind, wird man sich so an den internationalen Märkten Gas beschaffen können. Dabei ist die Herkunft dieses Gases egal. Zwar steigt der Preis für das Gas aufgrund der höheren Komplexität des Transportes, aber dafür steigt eben auch die Unabhängigkeit. Auch im Inland wird der Ausbau der Gasförderung heiß diskutiert. Dabei wird auch das bislang geltende Moratorium zur Schiefergasförderung – auch Fracking genannt – auf den Prüfstand gestellt. Weiterhin werden Industrie und Haushalte angehalten, Gas einzusparen. Das bedeutet ohne Zweifel kurzfristige Komfort- und Wohlstandseinbußen – langfristig schafft es aber einen wichtigen Anreiz zu Effizienzsteigerungen und technologischem Vorsprung. So hat auch die Ölkrise der Siebzigerjahre einen Schub an Innovation und neuen technischen Lösungen hervorgebracht.

Erneuerbare Energien

Weiterhin soll nun so viel Gas wie möglich durch alternative Energiequellen ersetzt werden – allen voran durch erneuerbare Energien. Das kann direkt durch eine Einspeisung von Biogas oder indirekt durch eine zunehmende Umstellung auf ein Strom-basiertes Energiesystem und elektrische Energie aus Windkraft- und Solarenergieanlagen geschehen. Bei Letzteren begibt man sich allerdings erneut in eine starke Abhängigkeit von „Partnern“ mit zweifelhaften Agenden, denn über 95 Prozent der in Deutschland verbauten Solarpanele stammen aus China. Damit aber nicht genug: Das tatsächliche Ausmaß der Abhängigkeit ist ein anderes.

Rohstoffe

Selbst wenn die Produkte selber nicht aus chinesischen Unternehmen stammen würden, die verbauten Rohstoffe kämen trotzdem zu einem wesentlichen Anteil aus chinesischen Bergwerken – oder zumindest aus Bergwerken mit chinesischer Teilhabe. Das gilt aber nicht nur für Ressourcen, die beim Bau von Solarpanelen benötigt werden: Tatsächlich wird der Weltmarkt für viele Ressourcen von chinesischen Unternehmen dominiert. Bewusst wird man sich der Tragweite dieser Entwicklungen erst, wenn man sich die Prognosen für den zukünftigen Verbrauch eben dieser Ressourcen vor Augen führt. So wird beispielsweise die Nachfrage nach seltenen Erden bis 2040 voraussichtlich um das Drei- bis Siebenfache steigen – aktuell stammen rund 100 Prozent der in Europa verwendeten seltenen Erden aus China. Diese werden für die gesamte Bandbreite von modernen, smarten und effizienten Hochtechnologien benötigt. In anderen Worten: Egal ob in der Produktion von Computerchips, Elektromotoren oder Photovoltaikanlagen – sie alle benötigen eine zuverlässige Versorgung mit diesen Ressourcen.

Wo liegt das Problem?

Daran, dass Lieferketten global ausgestaltet sind, haben wir uns gewöhnt – mehr noch: Diese internationale Aufgabenteilung hat viel des Wirtschaftswachstums der letzten 40 Jahre überhaupt erst ermöglicht. Das gilt sowohl für den Wohlstandszuwachs hierzulande wie auch für die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen bei unseren Partnern. Fest steht daher: Problematisch ist nicht die Vernetzung an sich, sondern vielmehr die Abhängigkeit von einem einzelnen Akteur. In der Volkswirtschaftslehre spricht man hierbei von Klumpenrisiken – denn der Ausfall eines einzelnen Lieferanten betrifft unterschiedlichste Lieferketten und kann in diesem Fall die Wirtschaft noch weit stärker zum Taumeln bringen, als wir es aktuell in der Gaskrise sehen.

Besonders prekär wird die Lage allerdings, wenn man dabei die Rolle Chinas mit in Betracht zieht. Eine massive Ausweitung des eigenen Machteinflusses ist längst chinesische Doktrin. Dabei werden Industrie, Finanzwirtschaft und Militär diesem Zweck untergeordnet. Deutschland und Europa sollten aus dem Debakel der russischen Energieabhängigkeit lernen und diversifizieren, bevor es zu spät ist. Nur so kann die wirtschaftliche und politische Entscheidungsfreiheit garantiert werden.

Was kann getan werden?

Letztlich sind die Anpassungen, die nun präventiv vorgenommen werden sollten, ähnlich denen, die als Antwort auf die Gaskrise gefunden wurden. Allem voran müssen neue Rohstoffquellen aufgetan werden. Das kann sowohl im Ausland bei zuverlässigen Partnern als auch im europäischen Inland geschehen. Außerdem sollte die Ressourceneffizienz gesteigert werden – das kann insbesondere auch durch eine Umstellung auf ein zirkuläres Wirtschaftssystem geschehen. Was genau das bedeutet und welche anderen Möglichkeiten bestehen, um die europäische Ressourcensouveränität zu steigern, beschreibt ein neues Gutachten, das das Ecologic Institut im Auftrag der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit erarbeitet hat.