EN

Osteuropa
Frischer Wind in Rumäniens Politik

Parteien und Zivilgesellschaft kämpfen für die Liberalisierung des Wahlgesetzes
Die Teilnehmer beim Vorbereitungstraining in der Evangelischen Akademie Siebenbürgen (EAS). Andrei Covaci (Mitte) zeigt stolz sein T-Shirt mit einer Million. Er ist sowohl Koordinator der USR-Freiwilligen, wie auch Gründungsmitglied der Initiative Rumänie

Die Teilnehmer beim Vorbereitungstraining in der Evangelischen Akademie Siebenbürgen (EAS).

© EAS

Auch nach anderthalb Jahren der Proteste gegen die Umtriebe der rumänischen Regierung und zuletzt blutigen Ausschreitungen bleibt die rumänische Zivilgesellschaft weiterhin aktiv. Am 10. September wird eine Koalition aus neuen politischen und bürgerlichen Kräften Rumänien eine Unterschriftenaktion zur Vereinfachung des restriktiven Wahlgesetzes lancieren. Einer neuen Generation von bislang politikfernen Bürgern soll so der Zugang zu gesellschaftspolitischem Engagement erleichtert werden. Damit das Bürgerbegehren vom Parlament diskutiert werden muss, sind landesweit 100.000 Unterschriften notwendig. 

120 Vertreter beim Vorbereitungstraining in Hermannstadt

Um dieses Ziel zu erreichen, rief das Netzwerk Contract Romania– ein Zusammenschluss von zivilgesellschaftlichen Organisationen, das sich aus den Protestbewegungen der letzten Jahre in Rumänien gegründet hatte – zu einem Treffen der neuen demokratischen Kräfte in Rumänien auf. Die Vereinfachung und Liberalisierung des Wahlgesetzes stand schon bei der Gründung der Koalition an oberster Stelle und wurde von der Friedrich-Naumann-Stiftung in allen Vorbereitungsetappen unterstützt. 

Die populären ehemaligen Minister der Cioloș-Regierung Dragoș Pâslaru (Arbeit und Familie) und Vlad Voiculescu (Gesundheit) bekunden ihre Unterstützung.

Die ehemaligen Minister der Cioloș-Regierung Dragoș Pâslaru und Vlad Voiculescu bekunden ihre Unterstützung.

© EAS

Zur Bündelung der Anstrengungen kamen nun am Sitz der Evangelischen Akademie Siebenbürgen in Hermannstadt (rum. Sibiu) über 120 Vertreter der Union zur Rettung Rumäniens (USR) – der Partei des ehemaligen Premierministers Dacian Cioloș –, der Bewegung Gemeinsames Rumänien (RO+), der lokalen Partei der Freien Leute (POL) aus Neumarkt (rum. Târgu Mureș), der Partei Bürgeraktion der Jungen Leute (PACT) sowie von 28 NGOs zusammen. Dabei ging es nicht nur um den Gesetzentwurf selbst, sondern insbesondere auch um die Vorbereitung der gemeinsamen Kampagne und öffentlichen Kommunikation der Aktion, die unter dem Motto „Neue Leute in der Politik“ stattfindet wird. Man will die Bürger nicht nur um ihre Unterschrift bitten, sondern sie auch für eine neue Art von Politik begeistern.

Was wird geändert?

Wahlgesetzänderungen haben in der Vergangenheit die Parteien, die bereits Machtpositionen innehatten, begünstigt. So hat beispielsweise die Abschaffung der zweiten Runde bei der Bürgermeisterwahl zumeist zur Wiederwahl des amtierenden Bürgermeisters geführt. Für die notwendige relative Mehrheit der Stimmen wurden von teilweise korrupten Amtsträgern sehr oft administrative Ressourcen eingesetzt und Newcomer so gleich doppelt benachteiligt. Diese Änderung soll nun widerrufen werden. 

Auch die ca. vier Millionen im Ausland lebenden und arbeitenden Rumänen haben so gut wie keinen Zugang zu den lokalen und nationalen Wahlen. Gefordert wird, dass diese bei den Parlamentswahlen auch aus dem Ausland für ihren Wahlkreis stimmen dürfen und dass die Zahl der Abgeordneten und Senatoren, welche die Diaspora vertreten, von derzeit sechs auf zwölf verdoppelt wird. 

Für mehr Qualität in der politischen Repräsentation soll die reine Listenwahl abgeschafft werden. Zusätzlich zu den von der Parteispitze bestimmten Listen soll auch die Direktwahl (offene Listen) ermöglicht werden, damit die Bürger ihren Wunschkandidaten wählen können. Außerdem fordert man unter dem Motto „Chancengleichheit“ die Abschaffung der Fünfprozenthürde für die Kommunal- und für die Europawahlen. 

Am wichtigsten bleibt aber die Reduzierung der benötigten Anzahl der Unterschriften, um überhaupt bei Wahlen antreten zu dürfen. Zwar hatte der POL-Vorsitzende Dan Masca beim Verfassungsgericht einen Sieg errungen, so dass nun nur drei Personen ausreichen, um eine Partei gründen zu können. Die altgedienten Parteien haben den jungen Parteien dennoch große Steine in den Weg gelegt. Einerseits durch den Erhalt der allgemeinen Wahlhürden von 5 Prozent, anderseits durch die hohe notwendige Unterschriftenzahl, um überhaupt kandidieren zu können. Bei den Europawahlen braucht ein unabhängiger Kandidat 100.000 und eine Partei 200.000 Unterschriften. Jeder Bürger darf dabei nur für eine Partei unterschreiben. Durch diese Regelung werden im nächsten Jahr die konkurrierenden USR und RO+ zusammen über 400.000 Unterschriften der insgesamt 18,9 Millionen Stimmberechtigten benötigen, sollten sie gesondert antreten. Über 4 Millionen davon leben allerdings im Ausland.

Wie geht es weiter?

Am 10. September werden die beiden Parteivorsitzenden Dan Barna (USR) und Dacian Ciolos (RO+) gemeinsam mit den anderen Bündnisvertretern im Rahmen einer Pressekonferenz mitten auf dem Bukarester Universitätsplatz den Start der Unterschriftenaktion verkünden. Es folgen lokale Aktionen im ganzen Land. Obwohl man laut Gesetz bis Februar Zeit hätte, will man die Aktion bis Ende November beenden. Bereits im nächsten Jahr beginnt schon eine neue Unterschriftenaktion, diesmal für die EU-Wahlen. Der Gesetzentwurf muss dann vom Parlament besprochen werden; eine Ablehnung ist nicht unwahrscheinlich. Die Änderungen werden aber früher oder später Realität werden, so das Versprechen der Koalitionspartner an die Bürger. Notfalls werde man es nach den nächsten Wahlen selbst umsetzen.

Über den Erfolg der Unterschriftensammlung hingegen machen sich die Partner keine Sorgen. Jüngst ging eine ähnliche Aktion der USR erfolgreich zu Ende. Dem Aufruf „Ohne Straftäter in öffentlichen Ämtern“ folgten fast eineinhalb Millionen Rumänen. Dabei ging es um die Sammlung von 500.000 Unterschriften, um eine Verfassungsänderung durchzusetzen, die verurteilten Straftätern den Zugang zu öffentlichen Ämtern verwehrt. Unterstützt wurde auch diese Aktion von allen oben genannten Partnern. Nun, da alten Kleptokraten der Zugang zur Politik verwehrt werden soll, ist nun der nächste Schritt, den Zugang einer neuen Generation von Politikern zu erleichtern.