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Türkei
Guck dir den Hans an!

Can Dündar über Deutschland in der türkischen Presse
Der türkische Journalist Can Dündar und die Redaktion des Online-Magazins Özgürüz in Berlin arbeiten in Kooperation mit Journalisten des Recherchezentrums Correctiv daran, unabhängigen Stimmen von Deutschland aus Gehör zu verschaffen.
Der türkische Journalist Can Dündar und die Redaktion des Online-Magazins Özgürüz in Berlin arbeiten in Kooperation mit Journalisten des Recherchezentrums Correctiv daran, unabhängigen Stimmen von Deutschland aus Gehör zu verschaffen. © CC BY-NC-SA 2.0 Internaz/ Flickr/ bearbeitet

Dieser Artikel ist Teil der Publikation "Türkei im Wandel. Ein Land am Scheideweg - Beobachtungen aus Medien, Wirtschaft und Poliitk", veröffentlicht von Correctiv und der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit. 

Manchmal sieht es so aus, als erschöpfe sich das Phänomen regierungstreuer Presse in der Türkei in den schön gefärbten Blättern ohne größeren Verbreitunsggrad, die eigentlich nur gedruckt werden, damit Erdoğan sich freuen kann, wenn er sie liest. Tatsächlich taugt die regierungstreue Presse der Türkei aber auch für andere Zwecke. Zum Beispiel kann man aus ihr den Pulsschlag der Mächtigen ablesen. Wenn sie etwas zu sagen haben, steht es in den Schlagzeilen. Wird ein Politikwechsel vorbereitet, finden sich dessen Anzeichen in der Regimepresse. Bevor die Polizei im großen Stil zuschlägt, leakt sie Informationen über die Betroffenen an staatsnahe Medien.

Tatsächlich erscheinen diese Blätter wie ein Psychogram der Machthaber: Sind sie in Angriffsstimmung, kübeln die Schlagzeilen Hass aus; sind sie defensiv, werden Zeitungsbögen Stahlschilde.

Die regierungstreue Presse bietet also auch mehr als genug Material, um den Verlauf der deutsch-türkischen Beziehungen nachzuzeichnen.

Im vergangenen Jahr fanden in den beiden Ländern jeweils kritische Wahlen statt: In der Türkei das Verfassungsreferendum vom 16. April und in Deutschland die Bundestagswahlen vom 24. September. Diese beiden Daten bildeten Peaks der politischen Spannungen. In der Diskussion um die Rolle der Medien in den bilateralen Beziehungen kommt den Schlagzeilen der sechs Monate zwischen diesen beiden Wahlen eine besondere, politische Bedeutung zu.

Meine Analyse bezieht sich exemplarisch auf die Akşam (Der Abend). Diese Tageszeitung wird von Erdoğan besonders geschätzt. Wir dokumentieren, wie sich die Spannungen zwischen Deutschland und der Türkei in diesem Zeitraum auf den Titelseiten der Akşam widerspiegeln.

Ihre Auflage gibt die Akşam selbst mit 100.000 Exemplaren an, unabhängige Schätzungen liegen eher bei nur etwa 10.000 verkauften Exemplaren. Seit 2013 gehört das Blatt Ethem Sancak, dessen Medien-Gruppe Es Medya drei Tageszeitungen und zwei Fernsehsender besitzt. Sancak ist ein Erdoğan persönlich nahestehender Unternehmer. Er ist Vorstandsvorsitzender seiner Mediengruppe und gleichzeitig Mitglied im Parteivorstand der AKP. In einer Talkshow sagte er einmal, er habe sich in Erdoğans Ehrlichkeit verliebt, direkt als er ihn kennenlernte. „So eine göttliche Liebe kann es auch zwischen zwei Männern geben“, sagte er wörtlich. Es ist also davon auszugehen, dass die Redaktionspolitik der Akşam die Perspektive Erdoğans recht treu wiedergibt.

Sancak ist allerdings nicht nur Medienunternehmer. Ihm gehört auch die Gruppe BMC, die in der Rüstungsindustrie tätig ist. In einem Joint Venture mit Rheinmetall produziert BMC in der Türkei Panzer. Daher ist es sinnvoll, die hetzerischen Schlagzeilen der Zeitung und die Liebe ihres Besitzers zu Erdoğan auch aus dieser Perspektive zu betrachten.

Schauen wir also, wie die Schlagzeilen der türkischen Regimepresse in den sechs Monaten der historischen Krise von chauvinistischen Prahlereien zu offener Hate Speech anschwollen.

Mehr als sechs Krisen in sechs Monaten

In den kritischen sechs Monaten zwischen den beiden Wahlen ereigneten sich mehr als sechs Einzelkrisen:

  1. Die Bundesrepublik nahm Offiziere, die der Planung des versuchten Militärputsches verdächtigt werden, als Asylsuchende auf.
  2. Bestimmten deutschen Bundestagsabgeordneten wurde der Zugang zur Militärbasis Incirlik verwehrt, woraufhin Deutschland den Stützpunkt aufgab.
  3. DITIB-Imame wurden der Spionage verdächtigt.
  4. Erdoğan und seinen Ministern wurde nicht gestattet, in Deutschland Wahlkampfveranstaltungen abzuhalten.
  5. Der deutsche Menschenrechtsverteidiger Peter Steudtner wurde in Istanbul verhaftet.
  6. Erdoğan brachte Nazivergleiche gegen die Bundesregierung und rief dazu auf, keine Parteien zu wählen, die „Feinde der Türkei“ seien.
  7. Es wurde eine Liste mit deutschen Firmen veröffentlicht, die Parteigänger der Gülen-Bewegung sein sollten.
  8. Sigmar Gabriel rief deutsche Firmen dazu auf, keine Investitionen in der Türkei mehr zu tätigen.

Diese Krisen steigerten die Spannungen zwischen beiden Ländern täglich um eine neue Dosis. Sie fanden ihren Widerhall in den Schlagzeilen der regierungstreuen Presse, insbesondere der Akşam. Die Kriegspropaganda eines Medienunternehmers, der mit den Deutschen im Waffengeschäft zusammenarbeitet, wird sicher in die Pressegeschichte eingehen.

Wahlkampfauftritte

Die ersten Anzeichen für einen Flächenbrand gab Erdoğans Ankündigung, in Deutschland auf Wahlkampfveranstaltungen für sein Verfassungsreferendum auftreten zu wollen.

Am 6. März 2017 titelte die Akşam: “Letztes Wort: Ich komme nach Deutschland!” - “Wenn ich will, dann komme ich auch. Wenn ihr mich nicht zur Türe reinlasst, versetze ich die Welt in Aufruhr“, hatte Erdoğan gesagt. Gleichzeitig hatte er kritisiert, dass Cemil Bayık im Namen der PKK-Führung über Satellit eine Live-Botschaft an eine Versammlung in Deutschland abgeben durfte und beschwerte sich: „Mir werden Auftritte verboten, aber Bayık darf das. Deutschland muss wegen Terrorunterstützung verurteilt werden.“

Die Akşam verstand die Botschaft und kam, während die diplomatischen Beziehungen durch Nazivergleiche vergiftet wurden, mit einer Titelseite raus, die Merkel unter der Schlagzeile „Terrorschwester“ zeigte. Der zugehörige Artikel listet die in Deutschland erlaubten Veranstaltungen der PKK auf und gibt eine Aussage eines Sprechers des Präsidentenpalastes wieder, der Merkel mit „Nazi“ gleichsetzt.

Nur drei Tage später trifft das Adjektiv “Nazi” die Niederlande. Da die holländische Polizei die türkische Familienministerin nicht ins türkische Konsulat ließ und eine Demonstration mit Polizeihunden auflöste, lautete die Überschrift „Nazihunde“. Warum die Zeitung das Nazi-Wort plötzlich so gern verwendete, löste sie einige Tage später auf. Erdoğan sagte in der Akşam: „Wenn ihr mich Diktator nennt, dann nenn ich euch Nazi.“

Deniz Yücel

Die Akşam und allgemein die regierungsnahe Presse stürzen sich besonders häufig auf türkeistämmige deutsche Staatsbürger.

Personen wie Deniz Yücel, Cem Özdemir oder Sevim Dağdelen werden in erster Linie nicht als Deutsche, sondern als Türken gesehen und folglich als „Vaterlandsverräter“ beschimpft.

Am 14. März schießt die Akşam gegen Deniz Yücel, der im Gefängnis von Silivri in Einzelhaft gehalten wird, ohne dass (seit mittlerweile über 300 Tagen) eine Anklage verlautbart wurde. Es ist ein Beispiel für die Zusammenarbeit der Presse mit Polizei und Staatsanwaltschaft, denn Yücel werden in dem Artikel „schmutzige Beziehungen“ vorgeworfen. Unter der Überschrift „Das sind Deniz‘ Qualifikationen“ werden, vermutlich aus den Ermittlungsakten geleakte, Details über Telefongespräche veröffentlicht, die Yücel mit der PKK zugerechneten Personen geführt haben soll. Dazu gibt es ein Foto, das ihn in einer Interviewsituation zeigt, mit der Frage: „Und das soll ein Journalist sein?“

Am nächsten Tag kommt die Vorverurteilung wieder direkt in die Überschrift: “FETÖ-Liebhaber und PKK-Freund”. Anlass ist die Nachricht, dass bei einer Durchsuchung der Wohnung von Deniz Yücel in seinem Bücherregal ein verstecktes Buch von Fethullah Gülen gefunden worden sei. Nach den strengen Maßstäben der regimetreuen Presse ist das Beleg genug dafür, dass hier jemand ein ausgemachter „FETÖ-Liebhaber“ sein muss. Ebenso wie die Nachricht, dass in Äthiopien sechs von der Gülen-Bewegung geführte Privatschulen, nachdem sie schließen mussten, von deutschen Investoren übernommen wurden, dazu ausreichte, Merkel in einer Schlagzeile als „Kanzlerin von Pennsylvania“ zu bezeichnen (dort lebt Gülen).

Als im April die Bundestagsabgeordnete Sevim Dağdelen eine kleine Anfrage stellt, die zu Ermittlungsverfahren gegen 20 mutmaßliche türkische Spione führt, heißt es für die Akşam: “McCarty [sic] spukt in Deutschland wieder“ und es wird von einer „Hexenjagd in Berlin“ geschrieben.

Der „Spionagekrieg“ zwischen Ankara und Berlin füllt eine lange Zeit die Titelseiten. Da soll der türkische Geheimdienst dem deutschen eine „Liste mit FETÖ-Mitgliedern“ übergeben und das die deutschen Geheimdienstler vor einigen der Namen gewarnt haben, und daraus wird: „Deutschland übertreibt es mit seiner blinden Liebe zur FETÖ“. In der gleichen Ausgabe wird übrigens berichtet, dass Mesut Özil darüber klage, aufgrund seiner türkischen Abstammung bei der WM-Qualifikation benachteiligt worden zu sein.

Das Referendum

Dass Erdoğan das Referendum über die Einführung des Präsidialsystems in der Türkei um Haaresbreite gewann, führte bei den regimetreuen Medien aber nicht zu einem Abklingen der Streitlust mit Deutschland. Zwei Tage nach dem Volksentscheid schafft es Merkel mit der Überschrift „Verdauungsschwierigkeiten“ wieder auf die erste Seite der Akşam. Berichtet wird, dass „Der Westen“ monatelang daran gearbeitet habe, dass beim türkischen Verfassungsreferendum ein „Nein“ herauskommt und jetzt eine „Wahrnehmungsoperation“ durchführe, um die Legitimität des Ergebnisses zu untergraben. Das Foto von Merkel, das dazu veröffentlicht wird, spricht allerdings eher für eine „Wahrnehmungsoperation“ anderer Art.

Es geht weiter mit der Nachricht über „PKK-Beobachter“ am nächsten Tag. Der Linken-Abgeordnete Andrej Hunko, der als Wahlbeobachter beim Referendum vor Ort war, habe sich mit einer PKK-Flagge ablichten lassen. Das Foto dient als Beweis dazu, dass alle europäischen Beobachter nur das Referendum in ein schlechtes Licht rücken wollten und „PKK-Anhänger, Faschisten und bestechlich“ seien.

Auf der gleichen Seite erfahren wir, dass die deutsche Presse „Geschütze gegen die mit Ja stimmenden Auslandstürken“ auffahre und zwar mit so unverschämten Behauptungen wie „Sie stimmten für einen Despoten.“

Der Showdown

Nach dem Referendum hätte man eine Milderung des Klimas erwarten können, doch das Gegenteil traf ein: Die Spannungen stiegen erst so richtig und jetzt sprachen beide Seiten so manches letzte Wort aus. Auf den Beschluss des Europarates, aufgrund der antidemokratischen Maßnahmen des türkischen Ausnahmezustandsregimes, die Türkei wieder unter Beobachtung zu stellen, reagierte die Akşam mit einer Form von Erpressung, die Erdoğan häufig anwendet:

“Es reicht! Macht die Tore auf”, lautete die Schlagzeile, unter der angedroht wurde, dass die Türkei das Rücknahmeabkommen aufkündigen und alle Geflüchteten nach Europa „schicken“ würde.

Mitte Mai bekamen dann einige der Bundestagsabgeordneten, die den deutschen Luftwaffenstützpunkt Incirlik besuchen wollten, von Ankara keine Einreiseerlaubnis und die Beziehungen waren belastet bis zu dem Punkt, an dem Merkel ankündigte, man wolle den Stützpunkt in der Türkei insgesamt aufgeben. “Dann geht doch woanders hin”, antwortete die Akşam in einer Schlagzeile, und nachdem Sigmar Gabriel noch einen letzten Besuch in der Hoffnung auf eine Verständigung absolviert hatte, quittierte die Akşam das mit einer Schlagzeile, die offensichtlich innenpo-litisch motiviert war: „Türkei setzt Gabriel vor die Tür“.

Ein Mann namens Hans

Erdoğan hat in seinen Reden manchmal darauf hingewiesen, dass er sich nicht nach einem Hans oder einem George richte, wenn er Entscheidungen fälle. Spätestens seither werden die Deutschen kollektiv als „Hans“ bezeichnet. Ich muss an dieser Stelle loswerden, dass ich in meiner Zeit hier in Deutschland noch keinem einzigen Mann begegnet bin, der den Namen Hans trägt. Aber als ich deutsche Reisedokumente erhielt, rief die regimetreue Presse: „Aus Can wurde Hans!“

Als die Deutschen dann am 8. Juni Incirlik verließen, titelte Akşam: “Güle güle Hans”. Und als Bundesinnenminister zuließ, dass am Rande des G20-Gipfels in Hamburg gegen die Türkei protestiert wurde, bekam auch er von der Zeitung seinen neuen Vornamen in Form der Schlagzeile “Guck dir den Hans(el) an”.

Die Prinzeninsel-Kampagne

Die wirkungsvollste Kampagne im sechsmonatigen Zeitraum, den wir uns angeschaut haben, ist die gegen das Seminar auf der Prinzeninsel Büyükada, das in Deutschland durch die Inhaftierung Peter Steudtners bekannt wurde. Eine Zeit lang wurde die Akşam quasi auf Grundlage der vom türkischen Geheimdienst bereitgestellten Informationen und Dokumente betrieben und betrieb systematische Vorverurteilung.

Am 7. Juli finden wir die Titelseite mit einem Erdoğan-Zitat als Aufmacher: „Deutschland ist zu einem Gastgeber für den Terror geworden“, wieder mit einem Foto von Merkel, und direkt darunter erfahren wir, dass „auf der Büyükada 11 Personen festgenommen wurden, die einen finsteren Plan zu einer Provokation umsetzen wollten“.

Die eigentliche Nachricht über den Einsatz erschien erst am nächsten Tag: “Vor der Landkarte festgenommen“, hieß es, denn „die an der geheimnisvollen Zusammenkunft auf der Büyükada Beteiligten wurden geschnappt, als sie gerade vor sich eine riesige Türkeikarte ausgebreitet hatten, auf der sie planten, das Land in Chaos zu stürzen.“ Dem Bericht zufolge sei es der deutsche Staatsbürger Peter Steudtner gewesen, der den Aufstand organisiert habe. Deshalb nannte die Zeitung ihn in einer Titelzeile „Der professionelle Aufrührer“.

Am gleichen Tag sprach Erdoğan davon, dass das Seminar auf der Büyükada als “Fortsetzung des 15. Juli [Putschversuch]” zu sehen sei.

Die Akşam nutzte dann das Foto von „der augebreiteten Landkarte des Hochverrats“ im Zusammenhang mit der Titelzeile „Diese Beweise machen eine Begnadigung unmöglich“. Wobei das türkische Wort für Begnadigung oder Amnestie natürlich eine Anspielung auf Amnesty International sein sollte. Die Karte, aus der man den Plan konstruieren wollte, die Türkei zu spalten, entpuppte sich übrigens innerhalb kürzester Zeit als eine Karte der Regionalsprachen – eine Information, die ihren Weg nicht auf die Seiten der Akşam fand.

Und am 21. Juli fand ich mich selbst in den schreienden Lettern der Akşam wieder. “Ihr geistiger Ziehvater ist Ajan Dündar”. Ein Wortspiel mit meinem Namen, wobei Ajan Agent heißt und mit Jan statt Can meinem Namen ein ausländischer, untürkischer Beigeschmack gegeben werden sollte. Man wollte mich mit dem Seminar auf der Prinzeninsel in Verbindung bringen. Belege?

Ich hatte ein Interview mit Salil Shetty, dem Generalsekretär von Amnesty International gemacht und auf einem gemeinsamen Foto bestanden. Das war‘s …

Die Zeitung bezeichnet Amnesty und die Reporter ohne Grenzen als „tiefe Strukturen“ [geheimdienstliche Netzwerke] und kürt Deutschland zum „Knotenpunkt des Ganzen“, und als Außenminister Gabriel einen Reisehinweis für deutsche Staatsbürger veröffentlicht, die in die Türkei fahren wollen, schreibt die Akşam: „Die Deutschen sind durchgedreht“.

Die Aussagen von Peter Steudner gibt die Akşam mit der Schlagzeile „Deutscher Chip für die Spione“ wieder. Im Artikel selbst wird ausgeführt, was mit „Schock-Fakt bei Vernehmung“ gemeint war. Und zwar, dass das deutsche Konsulat mittels einer auf seinem Telefon installierten App Steudtners Standort nachverfolgen konnte.

Die Freilassung der auf diese Weise vorverurteilten acht Menschenrechtsverteidiger*innen einschließlich Steudner im Oktober konnte dann aber in der Akşam auf einen Einzeiler unter dem Header „Überraschende Haftentlassung“ runtergebrochen werden.

Angst vor dem Embargo

Eine wichtige Eigenschaft der Akşam ist, direktes Sprachrohr Erdoğans zu sein, eine andere hingegen, dass ihr Inhaber in der Rüstungsindustrie deutsche Geschäftspartner hat. Das heißt, während die Zeitung diese ganze laute Kampagne gegen Deutschland fährt, tätigt ihr Verleger im Stillen Investitionen mit Deutschen, ohne dass es jemand mitbekommt.

Als dann infolge der angestiegenen Spannungen Berlin deutsche Firmen davor warnt, Investitionen in der Türkei zu tätigen, findet auch das seinen Niederschlag in den Überschriften. Zunächst in Form der Pressemitteilung der Handelskammer Istanbul, die darauf hinweist, dass die deutsche Geschäftswelt an dem Gebaren Berlins Anstoß nehme. Dann in einem größeren Aufmacher über Premierminister Yıldırıms Worte an die Vorstände von 19 großen deutschen Firmen, die in der Türkei aktiv sind: „Ihr seid keine deutschen, sondern türkische Firmen“. Siemens, die gerade eine milliardenschwere Ausschreibung zur Erzeugung von Windenergie gewonnen haben, bekommen einen Ehrenplatz oben auf der Seite, deutsche Urlauber, die allen Umständen zum Trotz noch in die Türkei kommen, kriegen ein dickes Lob ausgesprochen und der ehemalige Bild-Chefredakteur Kai Diekmann, der die Türkei eine Diktatur genannt hatte, wird aufgrund des Umstandes, dass er seinen Urlaub in Bodrum verbracht hat, als „Bild-Wendehals“ bezeichnet.

In jenen Tagen druckte der Focus Aussagen des CHP-Vorsitzenden Kılıçdaroğlu ab, der in der Türkei „keine Garantien für Leben und Eigentum“ mehr sehen könne. Kılıçdaroğlu dementierte diese Aussagen, worauf der Focus mehrere Tage lang nicht reagierte. Die Akşam fand die sinnige Überschrift “Hokus, Focus” für einen Artikel darüber, wie das deutsche Magazin den türkischen Politiker Kılıçdaroğlu in Schutz nehme, und schoss gegen den Korrespondenten Frank Nordhausen, der das Interview geführt hatte, und nun „Frankenstein“ heißen müsse. Leider veröffentlichte der Focus am nächsten Tag ein Transkript des Interviews und eine Mail, in der die CHP es autorisiert. Aber auch das ist der Akşam einen Aufmacher wert, ganz so als wäre sie es gar nicht selbst gewesen, die das Magazin in Grund und Boden kritisiert hatte.

Hitler und die Nazis

Als in Deutschland die Wahlen ins Haus stehen und die Türkeipolitik zu einem Top-Wahlkampfthema avanciert, erhöht auch die türkische Presse und besonders die Akşam ihre tägliche Dosis Berlinkritik. Es kommt sogar zu beeindruckenden Doppelpässen zwischen Erdoğan und der Zeitung.

Am 18. August reagierte man auf Merkels Aussage, das Nein-Lager habe berechtigte Erwartungen an die Bundesrepublik mit der Schlagzeile „Deutsche Staatspolitik: Türkeifeindlichkeit“. Natürlich haben sie wieder eigens ein besonderes Foto ausgewählt.

Am nächsten Tag kommt Erdoğans Aufruf „Keine Stimme den Türkeifeinden“. Unter der Überschrift „Mögen Türken ihnen an der Urne einen Denkzettel verpassen“ gab es zunächst die Zeile „Die Deutschen sind verrückt geworden“ zu lesen. Am gleichen Tag gibt Erdoğan von sich, die Deutschen könnten vor lauter Wut nicht mehr stillsitzen, und diese Stilblüte wird am nächsten Tag zur Schlagzeile. Es ging um eine Äußerung, in der Erdoğan Außenminister Gabriel angegangen war: “Wer bist du überhaupt, dass du mit dem Präsidenten der Türkei sprichst? Kenne deine Grenzen. Was ist deine politische Vergangenheit? Wie alt bist du überhaupt?“, hatte er gesagt.

Diese Wut auf Gabriel führte die Akşam am nächsten Tag mit der Schlagzeile „Grenzenlose Unverschämtheit“ fort und arbeitete sich an der Initiative des Außenministers ab, den in Spanien festgenommenen Schriftsteller Doğan Akhanlı nicht an die Türkei auszuliefern.

Je näher die Wahlen rücken, desto heftiger wird die Kritik und in den letzten Wochen macht die Akşam regelmäßig mit einem Angriff auf Deutschland auf.

Am 22. August gab es das Statement eines Günther Meinel, Präsident der „Diplomaten DMW International“, der sagte, Deniz Yücel sei kein Journalist, und am 30. August wurde Merkel als „Kanzlerin mit Obsession für Deniz“ betitelt.

Als sie dann Ankaras Forderung, das Vermögen von Gülen-Anhängern in Deutschland einzufrieren, nicht entsprach, bekam sie sogar den Titel „Neo-FETÖ Merkel“ verliehen. Und über ihr Duell mit Martin Schulz wurde unter der Überschrift „Gemeinsamer Nenner: Türkeifeindschaft“ berichtet.

Und schließlich, als die deutschen Vorbehalte gegen Erdoğans Machtausbau Widerhall in der EU fanden, brachte Akşam unter der Headline „Hitlerüberreste“ ein Foto von Merkel verziert mit Hitlerbärtchen und Hakenkreuz.

Das Wahlergebnis kommentierte die Akşam mit der Beobachtung „Der Nazismus geht wieder um“, und die Schwierigkeiten bei der Koalitionsbildung „feierte“ die Zeitung mit einer Fotomontage, auf der Merkel kopfüber hinabstürzt.

Die Akşam ist nur eine von Dutzenden regierungstreuen Medienoutlets. Wenn man sich vorstellt, was für eine geballte Hasskampagne hinter der Gesamtheit dieser Institutionen steht, versteht man vielleicht besser, was für eine Propagandamaschine da in Gang gesetzt worden ist.