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Indonesien
Krawalle in Jakarta – Feuertaufe des neuen alten Präsidenten

In Jakarta kam es im Verlaufe des 22. Mais zu einer mehr als handfesten Anfechtung des amtlichen Endergebnisses der Präsidentschaftswahlen vom 17. April. Unsere Indonesien-Expertin Almut Besold erklärt die Hintergründe.

Wer hat die Präsidentschaftswahlen gewonnen?

Am 17. April, also vor rund fünf Wochen, fanden in Indonesien Präsidentenwahlen statt. Zwei Kandidaten standen zur Wahl: Amtsinhaber Joko Widodo, genannt „Jokowi“, und sein Gegenkandidat Prabowo Subianto. Präsident Jokowi, seit 2014 im Amt, ist bei der Bevölkerung beliebt, gilt als nicht korrupt und hat in den vergangenen fünf Jahren gezeigt, dass er das bevölkerungsreichste muslimische Land der Erde voranbringen kann. Prabowo ist ein ehemaliger General der indonesischen Armee und vormaliger Schwiegersohn Suhartos, des zweiten Präsidenten Indonesiens, der den aus mehr als 17.000 Inseln bestehenden Inselstaat von 1967-1998 diktatorisch regierte. Hochrechnungen bereits am Wahltage ergaben, dass Jokowi auf etwa 55 Prozent und Prabowo auf rund 44 Prozent kommen würde – bei einer hohen Wahlbeteiligung von um die 80%. Ungeachtet dessen erklärte sich jedoch Prabowo noch am Wahltag zum Sieger und erntete damit viel Spott. Das amtliche Endergebnis, das eigentlich erst am 22. Mai hatte verkündet werden sollen, weicht nur minimal von den Hochrechnungen ab (55,5% - 44,5%) und wurde überraschend vorzeitig – aus Sicherheitsgründen – bereits am 21. Mai veröffentlicht.

Wieso kam es in Jakarta nun zu Straßenschlachten?

Obwohl das Endergebnis absehbar war und sich die Hochrechnungen ebenso wie schon bei der Wahl 2014 als sehr präzise erwiesen, machte Prabowo von Anbeginn Stimmung gegen die Glaubwürdigkeit des Ergebnisses. Damit wiederholt er sich im Übrigen – denn schon 2014 war er Jokowis Gegenkandidat und hatte seine damalige Niederlage nicht akzeptieren wollen. Damals wie heute ist er davon überzeugt, dass er der wahre Gewinner sei. Denn, so Prabowo, während der Wahlen sei es zu massiven Unregelmäßigkeiten gekommen. Aber die „Macht des Volkes“ werde dem wahren Gewinner zu Gute kommen und ihn als Sieger bestätigen. Bereits im Verlaufe des 21. Mai zeichneten sich in Jakarta Proteste ab, insbesondere vor dem Gebäude der Wahlaufsichtsbehörde eskalierten diese dann am 22. Mai. Aber auch andere Stätten im Zentrum waren betroffen. Mindestens drei Personen sind zu Tode gekommen, zahlreiche Menschen wurden verletzt, Autos gingen in Flammen auf, es kam zur Festnahme etlicher Verdächtiger.

Waren diese Proteste nicht absehbar?

Sie waren absehbar, und die Regierung hat schon etliche Tage im Voraus unterbunden, das gewaltbereite Demonstranten aus anderen Landesteilen in die Stadt hineinkommen konnten. Dennoch gelang es der Gegenbewegung, friedliche wie auch wohl gewaltbereite Mitstreiter zu mobilisieren. Die Regierung betonte von Anbeginn, dass sie keine Waffen einsetzen werde und alles daran setze, dass die Protestbewegung friedlich bleibe. Wie es dennoch zu den Todesfällen kommen konnte, wird bislang noch untersucht. Regierungsgegner streuen die Nachricht, dass von den Sicherheitskräften scharfe Munition eingesetzt worden sei – eines der Todesopfer weise eine Schussverletzung auf. Hinzukommt, dass Prabowo strikt die Meinung vertritt, dass er ausschließlich zu friedlichen Protesten aufgerufen habe und gezielte Provokationen seitens Regierungskreisen die Proteste in Gewalt hätten umschlagen lassen. 

Was tat die Regierung dafür, um eine Eskalation der angekündigten Proteste zu unterbinden?

Die Regierung hat immer betont, dass das Wahlergebnis natürlich offiziell angefechtet werden könne - über den regulären Weg, der über das Verfassungsgericht führt. Es wurde auch kein Hehl daraus gemacht, dass es angesichts der Größe des Landes und, mehr noch aufgrund der Insellage, die Wahlen nicht einfach zu organisieren und zu überwachen sind. Dennoch sind sich internationale Wahlbeobachter – und im Übrigen auch die indonesische Bevölkerung – mehrheitlich darüber einig, dass die Wahlen frei und fair und somit transparent und ordnungsgemäß verliefen. Als die Lage am 22. Mai eskalierte, wurde am Nachmittag die Nutzung der Internetplattformen Whatsapp, Facebook und Instagram unterbunden, um den Demonstranten die Kommunikation zu erschweren und mehr noch die Möglichkeit für das Verbreiten von Falschmeldungen zu beschränken. Schon Tage vor dem 22. Mai hatte die Regierung Tausende von Sicherheitskräfte aus anderen Landesteilen nach Jakarta beordert.

Wie wirken sich diese Verhältnisse auf die normale Bevölkerung Jakartas aus?

Die Bevölkerung hat die Ausschreitungen von 1998 mit mehr als tausend Toten noch sehr gut im Gedächtnis. Damals hatten Nahrungsmittelknappheit und Massenarbeitslosigkeit landesweit große Unruhen ausgelöst, die letztlich zum Rücktritt von Präsident Suharto führten. Insbesondere bei älteren Indonesiern ist das unvergessen. Sie mahnen ihr Umfeld, sich keiner Gefahr auszusetzen. Da Jakarta eine flächen- und bevölkerungsmäßig sehr große Stadt ist, änderte sich jedoch nur die Routine derjenigen, die in der Nähe der Wahlaufsichtsbehörde in der Innenstadt arbeiten oder zu tun hatten oder auch diese Gegend einfach nur passieren müssen. Alles wurde sehr unkompliziert und flexibel gehandhabt: mancherorts wurden Schulkinder früher nach Hause geschickt oder gingen gar nicht erst in die Schule, Erwerbstätige meldeten sich von der Arbeit früher ab, um gar nicht erst irgendwo im Verkehr stecken zu bleiben. 

Wie geht es nun weiter?

Die Menschen sind erleichtert, dass bislang Schlimmeres ausgeblieben ist. Sie sind zum Teil erschreckt und darüber hinaus auch peinlich berührt, dass es überhaupt zu diesen Ereignissen kommen konnte. Das Wahlergebnis ist eindeutig, und die Menschen sind an einem reibungslos ablaufenden, ruhigen Alltag interessiert – allzumal es auch noch Ramadan ist. Meldungen besagen, dass es Hinweise darauf gibt, dass die Gewaltkomponente der zunächst friedlichen Proteste von Unterstützern des Islamischen Staates systematisch geplant und umgesetzt worden sei. Indonesische Sicherheitskräfte gehen generell routiniert und hart gegen islamische Extremisten vor und tun alles dafür – auch in enger Kooperation insbesondere mit Australien und den Amerikanern – deren Netzwerke unter Kontrolle zu haben. Was nun ansteht ist eine saubere Aufarbeitung der Geschehnisse, um Gerüchten den Boden zu nehmen und Klarheit über die Abläufe zu bekommen. Jokowi hat jedenfalls nicht nur die Präsidentschaftswahlen klar gewonnen, sondern sich auch während der unfreiwilligen Feuertaufe bewährt und erneut als umsichtiger Staatsmann gezeigt.

Allerdings sind die Proteste noch nicht beendet. Es bleibt zu hoffen, dass zumindest der materielle Schaden nicht noch mehr zunehmen wird. Der ideelle Schaden ist bereits angerichtet und rückt Indonesien als starke islamische Demokratie mit um die 190 Millionen Wählern in ein unverdient schlechtes Licht.

 

Almut Besold leitet die Arbeit der Friedrich Naumann Stiftung für die Freiheit in Indonesien.