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Slowakei
Auf dem Weg zur illiberalen Demokratie?

Ein Jahr Fico zwischen Moskau und Machtzentralisierung
Robert Fico

Der slowakische Ministerpräsident Robert Fico.

© picture alliance / CTK | David Tanecek

Ein Jahr nach der Wahl und der erneuten Machtübernahme von Robert Fico zeichnet sich in der Slowakei ein deutlicher Trend zur illiberalen Demokratie ab. Mit seiner populistischen Agenda und einer pro-russischen sowie zunehmend autoritären Regierungsführung treibt Fico eine umfassende Kontrolle der Institutionen voran, was Kritiker zu Vergleichen mit den Entwicklungen in Ungarn und in Polen unter der PiS-Regierung veranlasst. Die umfassende Zentralisierung der Macht stößt auf Widerstand von Zivilgesellschaft, liberaler Opposition und europäischen Institutionen, die demokratische Prinzipien und Rechtsstaatlichkeit gefährdet sehen. Auch diese Stimmen versucht Robert Fico so effektiv wie möglich zum Schweigen bringen. 

Nach den vorgezogenen Parlamentswahlen im September 2023 wurde Robert Fico, der Vorsitzende der sozialdemokratischen, mittlerweile jedoch stark populistischen Partei SMER-SD (Richtung – Sozialdemokratie), zum vierten Mal (mit Unterbrechungen) zum Premierminister ernannt. Die Regierungskoalition besteht aus SMER-SD, HLAS-SD (StimmeSozialdemokratie, Partei des amtierenden Präsidenten Peter Pellegrini) und der SNS (Slowakische Nationalpartei), die rechtspopulistische bis rechtsextreme Positionen vertritt. Seit seiner Rückkehr zeichnet sich die slowakische Politik durch dynamische, aber polarisierende Entwicklungen aus, die bei vielen Beobachtern Assoziationen zu den (damals) polnischen und ungarischen Wegen zur illiberalen Demokratien weckendoch die Geschwindigkeit und Radikalität der Reformen in der Slowakei sind beispiellos. Ficos zunehmend autoritärer Regierungsstil zeigt sich insbesondere in der Kontrolle zentraler Institutionen und in einer Außenpolitik, die stark auf Russland und China ausgerichtet ist, was sicherheitspolitische Bedenken innerhalb der EU auslöst.

Machtübernahme und Kontrolle des Staatsapparats

Seit Oktober 2023 hat Fico den slowakischen Staatsapparat konsequent umgestaltet. Bereits am ersten Tag der Regierungsvereidigung wurde die Polizeiführung ausgetauscht. Darauf folgte eine Strafrechtsreform, die unter anderem die Auflösung der Sonderstaatsanwaltschaft für Korruptionsfälle und eine Senkung der Strafen für Korruptionsdelikte beinhaltete. Diese Reformen haben Bedenken seitens der EU ausgelöst, die ihre Kohäsionsfonds für die Slowakei zwischenzeitlich einfrieren wollte. Obwohl das slowakische Verfassungsgericht die Verfassungsmäßigkeit dieser Reformen bestätigte, musste Fico auf Druck der EU mindestens einige Anpassungen vornehmen, die unmittelbar mit der Stärkung des Schutzes der finanziellen Interessen der EU zusammenhängen. Die EU-Mittel wurden letztendlich freigegeben. Eine Reihe von problematischen Änderungen wurde jedoch unverändert übernommen; die Sonderanwaltschaft existiert nicht mehr  und beispielsweise die Senkung  der Strafen für Diebstähle ist dazu sehr wahrscheinlich der Grund für die Erhöhung der Kleinkriminalität in der Slowakei.

Zusätzlich wurde das Nationale Kriminalamt (NAKA) aufgelöst, das zuvor zahlreiche Korruptionsfälle untersucht hatte, in die prominente SMER-Mitglieder verwickelt waren. Stattdessen wurde eine neue Einheit zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität geschaffen. Auch der Geheimdienst geriet unter Ficos Kontrolle: Ein politisch stark vernetzter Leiter – der Sohn eines SMER-Abgeordneten – wurde ernannt, und dies ohne Zustimmung der damaligen Präsidentin Zuzana Čaputová. Diese Vorfälle deuten klar darauf hin, dass politische Loyalität in der bedeutendsten Institutionen im Lande über Kompetenz und Transparenz gestellt wird, was deutlich die rote Linie der Zuständigkeit einer Regierung eines demokratischen Landes überschreitet. Politische Loyalität und Nepotismus in Schlüsselpositionen des Staatsapparats gehören zu den wichtigsten Merkmalen eines autoritären Staates.

Medien und Zivilgesellschaft unter Druck

In puncto Medien- und Meinungsfreiheit zeichnet sich eine ähnliche Entwicklung ab. Kritische Stimmen werden zunehmend eingeschränkt und unabhängige Medien als „feindliche Akteure“ und „ausländische Agenten“ klassifiziert. Ein Beispiel dafür ist der private TV-Sender Markíza, der unter Druck gesetzt wurde und dessen politische Berichterstattung weitgehend neutralisiert wurde. Politische Talkshows, wie die populäre Sendung „Na telo“ („Am Leib“) mit dem populären Moderator Michal Kovačič, wurden eingestellt oder umgestaltet; Kovačič äußerte vor dem Sommer öffentlich, dass die slowakischen Medien „orbanisiert“ würden. Kurz darauf wurde die Zusammenarbeit mit ihm beendet, und die Sendung kehrte erst im Herbst mit einer neuen Moderatorin zurück, die weniger kritische Fragen stellt und regierungsfreundliche Narrative fördert. Auch der staatliche Rundfunk RTVS (Radio und Fernsehen der Slowakei) wurde neu strukturiert: Er wurde abgeschafft und durch den neuen Sender STVR (Slowakisches Fernsehen und Radio) ersetzt, der überwiegend neutrale bis regierungsfreundliche Inhalte sendet. Dies wird als Versuch gewertet, die Berichterstattung der Medien im Sinne der Regierung zu kontrollieren und die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Zensur und Propaganda –  ein weiteres klares Kennzeichen eines illiberalen und sogar autoritären Regierungsstils.

Auch NGOs und Vertreter der Zivilgesellschaft werden zunehmend eingeschüchtert. Seit Monaten diskutiert die Koalition über die Einführung eines „Agentengesetzes“ nach russischem Vorbild (oder wiederum nach dem Beispiel von Ungarn oder Georgien), das darauf abzielt, Organisationen, die finanzielle Unterstützung aus dem Ausland erhalten, zu registrieren und so ihre Glaubwürdigkeit in der Bevölkerung zu untergraben. Bereits jetzt misstrauen viele Slowaken NGOs und den unabhängigen Medien, sogar 50 Prozent der Gesellschaft, wie die letzte Globsec Trends Studie zeigt. Das bestätigt, wie effektiv die derzeitige Regierung die Bevölkerung manipulieren konnte.

Slowakische Liberale als ein Dorn in Ficos Auge

Ein weiterer großer Gegner und eine Bedrohung für Ficos Machtpläne sind die slowakischen Liberalen, die Partei Progressive Slowakei (PS). Was vor kurzem noch eine kleine außerparlamentarische Bewegung war, die liberale Werte in einem konservativen Land vertritt, ist heute die stärkste Oppositionspartei und sitzt Fico im Nacken. In den jüngsten Umfragen von November 2024 liegt die PS sogar an erster Stelle. Dieser Trend ist jedoch vermutlich auch auf die Tatsache zurückzuführen, dass die Regierung die Steuern erheblich angehoben hat. Der Basis-Mehrwertsteuersatz wird von derzeit 20 Prozent auf 23 Prozent erhöht. Außerdem werden juristische Personen künftig eine Steuer auf Finanztransaktionen entrichten müssen. Darüber hinaus hat die PS auch die Wahlen zum Europäischen Parlament mit fast 28 Prozent gewonnen, was sie zur stärksten liberalen Kraft in Europa macht. Die PS unter Führung von Michal Šimečka leistet derzeit relativ gute Arbeit, indem sie auf die autoritären Praktiken der aktuellen Regierung hinweist und regierungsnahe Desinformationen widerlegt.

Aufgrund ihres Einflusses ist die PS zur Zielscheibe der Regierung geworden: Šimečka wurde kürzlich aus dem Amt des stellvertretenden Parlamentspräsidenten entlassen, offiziell wegen angeblicher Verfehlungen seiner Familie, für die es jedoch keine Beweise gibt. Die Regierung hat Šimečkas Familie beschuldigt, staatliche Mittel zu ihrem persönlichen Vorteil zu missbrauchen. Diese Taktik der Regierung dient dazu, politische Gegner zu diskreditieren und zu marginalisieren. Die Angriffe der Regierung auf oppositionelle Kräfte, die Medien und die Zivilgesellschaft haben sich nach dem Attentatsversuch auf Robert Fico im Mai dieses Jahres weiter intensiviert. Fico selbst macht die liberalen Parteien und die Medien für die Verschärfung der politischen Lage in der Slowakei verantwortlich. Liberale und progressive Werte werden zunehmend als Bedrohung für die slowakische Nation dargestellt, oft im Zusammenhang mit den Rechten von Minderheiten wie der LGBTQIA+-Gemeinschaft. Der Staat setzt auf eine homogene politische Meinung, die sich um Nationalstolz, christliche Werte und slowakische Folklore zentriert – ein Muster, das auf die Unterdrückung politischer Pluralität und Minderheitenrechte abzielt und damit Merkmale einer illiberalen Demokratie aufweist. Dieser Trend wird auch durch den jüngsten Vorschlag zur Änderung des Wahlgesetzes in der Slowakei seitens des Premierministers bestätigt. Fico äußert offen, dass die Zahl der Parteien im Parlament reduziert werden müsse, und schlägt daher vor, die Wahlhürde von 5 auf 7 Prozent zu erhöhen. Eine zweite Maßnahme sieht eine Erhöhung der Kaution, die für eine Wahlkandidatur zu hinterlegen ist, von derzeit 17.000 auf eine halbe Million Euro vor. Für ein kleines Land wie die Slowakei wäre dies ein sehr strenges Wahlgesetz.

Ficos außenpolitischer Kurs und Annäherung an Russland

Ficos Außenpolitik unterscheidet sich stark von den meisten EU- und NATO-Staaten, insbesondere in Bezug auf die Ukraine und Russland. Die Regierung kritisiert die EU und NATO für ihre Unterstützung der Ukraine und drängt auf Friedensverhandlungen mit Russland, inspiriert vom ungarischen Modell unter Viktor Orbán. Hochrangige Treffen slowakischer Regierungsmitglieder mit russischen Vertretern, etwa durch den slowakischen Außenminister und Moskau-Besuche von mehreren Politikern, signalisierten Kreml-freundliche und kooperationsbereite Absichten. Die Regierung betont, eine unabhängige und souveräne  Außenpolitik zu verfolgen, die sich auf alle Weltregionen erstreckt. Sie lehnt es ab, sich von außen vorschreiben zu lassen, mit welchen Ländern sie Partnerschaften eingehen darf, und weist insbesondere jede Einmischung seitens Brüssels zurück.

Ľuboš Blaha, ein EU-Abgeordneter der SMER, fällt dabei als prominente pro-russische Figur auf und verbreitet in sozialen Medien antieuropäische und pro-russische Propaganda, wie zuletzt in einem Video aus Moskau, indem er Russland für die „Befreiung der Slawen vom westlichen Faschismus“ lobt und den Westen für „harte Russophobie“ kritisiert. Er genießt eine enorme Reichweite in den sozialen Medien. Premierminister Fico selbst wiederholte kürzlich ähnliche Aussagen in einem Interview mit dem russischen Propagandafernsehen Rossiya-1, wo er auch versprach, an den Feierlichkeiten zum Ende des Zweiten Weltkriegs im nächsten Jahr in Moskau teilzunehmen. Dies ist der erste derartige Auftritt eines Staatsoberhauptes eines EU-Mitgliedstaates seit dem Beginn der russischen Invasion in der Ukraine im Jahr 2022. Solche Botschaften untergraben nicht nur die europäische Einheit und dienen der russischen Propaganda, sondern tragen auch zur Polarisierung der Gesellschaft im Land bei und unterminieren so das Vertrauen in die EU. Studien wie die Globsec Trends zeigen, dass die Slowaken in der Region der Mittel- und Osteuropa am stärksten pro-russische und antiwestliche Ansichten vertreten – 44 Prozent der Slowaken sehen die westliche Lebensweise und die USA als Bedrohung an.

Vor wenigen Tagen kehrte Fico von einem offiziellen Besuch in China zurück, bei dem ihn eine rund 70-köpfige Delegation aus Ministern und Geschäftsleuten begleitete – eine der größten Delegationen in der Geschichte der Slowakei. Aus den spärlich veröffentlichten Informationen über die Reise geht hervor, dass China ein Interesse daran hat, den Ausbau neuer Fabriken im Bereich der Automobilindustrie in der Slowakei zu unterstützen sowie in die Renovierung und den Bau von Infrastrukturen zu investieren. Die Infrastruktur ist wirklich eines der brennendsten Themen in der Slowakei, Straßen und Eisenbahnen sind in einem schrecklichen Zustand und das Autobahnnetz ist sehr unterentwickelt. Fico äußerte zudem seinen Respekt für das chinesische Regime und betonte, er habe nicht die Absicht, sich in interne Angelegenheiten wie Menschenrechtsverletzungen einzumischen, was er ebenso von westlichen Partnern erwarten würde.

Dies verdeutlicht Ficos eigentliche Priorität: Die Außenpolitik ist ihm eigentlich egal. Fico ist ein Opportunist. Er arbeitet mit denen zusammen, die seinem innerpolitischen Ziel dienlich sein können. Er sagt nur das, was ihm beim heimischen Publikum Pluspunkte einbringt. Sein ganzes Bemühen konzentriert sich einfach darauf, seine Macht in seinem Staat zu festigen. Auch das ist ein Zeichen für einen autoritären Regierungsstil.

Fazit

Viele slowakische Experten, darunter der Soziologe Michal Vašečka, sehen in Fico einen autoritären Anführer, dessen Hauptziel die Machtkonsolidierung ist. Nach über 30 Jahren in der Politik, vom Kommunismus über die kontroverse Regierung von Vladimír Mečiar in den 1990ern bis hin zu EU-Beitritt und Eurozone, hat Fico sämtliche Krisen, auch seinen erzwungenen Rücktritt nach dem Journalistenmord 2018, überstanden und kehrt nun aggressiver und populistischer zurück. Obwohl seine Dominanz spürbar ist, trifft er auf starken Widerstand seitens Medien, Zivilgesellschaft und Opposition. Diese Kräfte sieht er als seine Hauptgegner, was seinen zunehmend repressiven Stil untermauert. Die umfassende Kontrolle über Medien, Justiz und öffentliche Institutionen deutet darauf hin, dass sich die Slowakei auf dem Weg in eine illiberale Demokratie befindet.

Aber noch ist nicht alles verloren. Die Slowaken haben in der Geschichte mehrfach bewiesen, dass sie es schaffen, sich im letzten Moment auf die richtige Seite zu schlagen, so auch während des Kampfes für den Sturz des Kommunismus - der Samtenen Revolution -, deren 35-jähriges Jubiläum die Slowakei gerade in den nächsten Tagen feiert. Der pro-europäische Teil der Slowakei setzt große Hoffnungen in die Progressive Slowakei, die derzeit die vernünftigste Alternative zur Regierung von Robert Fico zu sein scheint. Die kommenden Jahre werden zeigen, ob der Widerstand in der Zivilgesellschaft und die europäischen Institutionen in der Lage sind, die demokratische Struktur der Slowakei zu schützen und die Machtbalance wiederherzustellen.

Barbora Krempaská ist Projektmanagerin im FNF Büro für Mitteleuropa in Prag mit Zuständigkeit für die Slowakei und Polen.

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Florian von Hennet
Florian von Hennet
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