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Slowakei
Militärabkommen Slowakei-USA: Fruchtbarer Boden für Desinformation

Slowakei: Das Parlamentsgebäude in Bratislava
Das Parlamentsgebäude in Bratislava © picture alliance / Daniel Kalker | Daniel Kalker

Drohungen an Regierungsabgeordnete mit einer Patronenhülse im Briefkasten und mit Hass-Parolen direkt an der Haustür. Zahlreiche riesige Demonstrationen, Pfeifkonzerte und Skandieren von „Yankee go home“ und „Stop US Army!“.Oder eine Prügelei zwischen Oppositions- und Regierungsabgeordneten direkt im Parlament. Diese Reaktionen wurden in den vergangenen Wochen durch das neue amerikanisch-slowakische Militärabkommen innerhalb der slowakischen Gesellschaft ausgelöst. Obwohl die Bedingungen des Abkommens für die Slowakei günstig sind, ist es zum Hauptziel von Desinformationskampagnen geworden, vor allem derjenigen über einen vermeintlichen Souveränitätsverlust des Landes. Ist dies ausschließlich das Ergebnis russischer Propaganda oder handelt es sich um ein viel komplexeres Thema?

(Un)kontroverses Abkommen

Die slowakisch-amerikanische Verteidigungszusammenarbeit besteht bereits seit 1993, hatte aber nie einen festen Rahmen, auf dem sie aufbauen konnte. Das hieß letztlich, dass die einzelnen Aktivitäten stets neu ausgehandelt werden mussten, was für beide Seiten hinderlich war, sich umfassend mit den inhaltlichen Aspekten der Kooperation zu befassen. Dies soll sich ändern. Wie die meisten NATO-Mitgliedstaaten einschließlich Polen und Ungarn hat nun auch die Slowakei Anfang Februar ein bilaterales Militärabkommen mit den USA geschlossen.

Laut dem slowakischen Verteidigungsministerium besteht das Hauptziel des Abkommens darin, einen angemessenen Rechtsrahmen zu schaffen. Das Abkommen definiert die Rechte, Pflichten und Möglichkeiten beider Seiten für militärische Aktivitäten wie Übungen, Entwicklung von Verteidigungsfähigkeiten und Informationsaustausch all dessen ,was bereits ohne Rahmenabkommen stattgefunden hat. Zu den neuen Bereichen der Zusammenarbeit zählen z. B. die Möglichkeit gemeinsamer Bauvorhaben auf Grundstücken des slowakischen Militärs und die Nutzung der Infrastruktur von zwei slowakischen Flughäfen, für deren Modernisierung die USA ebenfalls 100 Mio. USD aufwenden werden.

Obwohl es sich um ein für beide Seiten vorteilhaftes Abkommen handelt und wie der slowakische Außenminister Ivan Korčok befand, und „die Stärkung der Verteidigungszusammenarbeit mit dem wichtigsten Sicherheitsgaranten, insbesondere in einer Zeit zunehmender Unsicherheit und geopolitischer Spannungen, ein natürlicher Schritt für die slowakische Republik ist“ beunruhigt das Abkommen sowohl die slowakische Bevölkerung als auch die politische Opposition.

Desinformationschaos in der gespaltenen Slowakei

In einer jüngst durchgeführten Umfrage sprechen sich 54 % der Slowaken gegen das Abkommen aus, während 32 % der Befragten dafür sind. Auch im Parlament war die Einigung nicht einfach: 79 der 140 anwesenden Abgeordneten stimmten dafür, 69 dagegen. Für die Zustimmung waren die Stimmen von mindestens 76 Abgeordneten erforderlich, was einer absoluten Mehrheit der 150 Mitglieder der slowakischen Parlamentskammer entspricht.

Das Misstrauen in der Bevölkerung liegt in einer starken Welle von Desinformationen gegen das Abkommen begründet, die in den vergangenen Wochen massiv verbreitet wurde. Laut Victor Breiner, dem Berater für hybride Bedrohungen im Büro des Verteidigungsministers, gehören zu den häufigsten unwahren Behauptungen die Lagerung von US-Atomwaffen auf slowakischem Territorium sowie die angebliche Hilflosigkeit slowakischer Behörden im Falle einer Verletzung des Abkommens von US-Seite. Am meisten Resonanz findet jedoch die alarmistische Botschaft über den „Verlust der Souveränität“.

Der ehemalige slowakische Ministerpräsident Robert Fico, ganz politischer Opportunist, kritisiert das Abkommen am lautesten, obwohl die Slowakei mit den Verhandlungen begann, als seine Partei Smer-SD noch an der Macht war. Außerdem kaufte die Slowakei während der  Regierungszeit seiner Partei Militärhubschrauber und Kampfjets von den USA. Daraufhin setzte Präsidentin Zuzana Čaputová die sogenannte „Interpretationsklausel“ zu dem Abkommen durch. Darin heißt es, dass die slowakische Regierung bzw. das Parlament weiterhin über die Präsenz der US-Truppen im Land entscheidet und und die USA weder Militärbasen in der Slowakei einrichten noch Kernwaffen auf dem slowakischen Gebiet stationieren darf. Die Wirkung der Desinformation wurzelt indes in einem tiefer liegenden Problem.

Slowakische Sympathie zu Russland

Sollte die slowakische Gesellschaft mit einem Wort beschrieben werden, dann lautet dieses:  „gespalten“. Nach dem Bericht GLOBSEC Trends 2021 ist die Slowakei das einzige Land in der Region, in dem die Unterstützung für EU und NATO seit 2017 leicht gestiegen ist. Allerdings gilt Russland für 47 % der Bürgerinnen und Bürger als strategischer Partner und 55 % sehen Vladimir Putin positiv.

Es hat den Anschein, dass Russland eine große Schar von Trollen und sonstigen Verfassern von Desinformationen rekrutiert hat. Und obwohl sich nach Angaben des slowakischen Informationsdienstes  die Verbreitung prorussischer Narrative im virtuellen Raum verstärkt hat, werden die „Fake News“ von russischen Medien lediglich inspiriert, aber von slowakischen Autoren verbreitet.

Für die slowakische Bewunderung und Sympathie für Russland gibt es mehrere Gründe. Ein Teil der slowakischen Gesellschaft hat romantische Vorstellungen eines Panslawismus des 19. Jahrhunderts, als sich ein idealistisches und naives Bild von Russland in das slowakische Bewusstsein einprägte und in den Schulen vermittelt wurde. Ebenso wichtig sind die rosarote Brille in der Rezeption des Kommunismus und die Wahrnehmung von Russland als Nachfolgerin der Sowjetunion. Bis zu 41 % der Öffentlichkeit haben nostalgische Erinnerungen an niedrige Preise, angebliche Vollbeschäftigung  und günstigen Wohnraum. Und sie sind von der westlichen politischen Kultur, die ihnen fern und unpersönlich ist, enttäuscht.

Der Weg in die Europäische Union

Die Neigung der Slowakei hin zu Russland ist ein klarer Trend, keine kurzfristige Schwankung und sollte nicht auf die leichte Schulter genommen werden. Im Falle der Slowakei kann nicht von einer „mentalen Rückkehr“ in die EU gesprochen werden, der Großteil der slowakischen Gesellschaft muss überhaupt erst einmal in der EU ankommen. Politik und Gesellschaft der Slowakei befinden sich in einem Chaos, das von einer Art Identitätskrise geprägt ist. Die slowakische Republik braucht von der EU mehr als Richtlinien und Finanzmittel; vor allem sollte sie sich am Know-how und Vorbild erfahrenerer Demokratien orientieren und in einer EU, die ihre Menschen verbindende Kraft jenseits von Buchstaben und Gesetzen wieder offener und stärker demonstriert, zu sich selbst finden.

Ester Povýšilová ist Projektmanagerin der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit im Büro für die Mitteleuropäischen und Baltischen Staaten in Prag.