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Überzeugungsarbeit in Parlament und Bevölkerung noch ausstehend

Im Gespräch über die Namens-Einigung zwischen Griechenland und Mazedonien
Endlich eine gemeinsame Schnittmenge im Namensstreit zwischen Griechendland und Mazedonien?

Endlich eine gemeinsame Schnittmenge im Namensstreit zwischen Griechendland und Mazedonien?

© Bakai / iStock / Getty Images Plus / Getty Images

Die Regierungschefs Griechenlands und Mazedoniens haben sich im Namensstreit geeinigt. Am vergangenen Sonntag unterzeichneten Alexis Tsipras und Zoran Zaev ein entsprechendes Abkommen. In der Vereinbarung willigt Mazedonien ein, seinem Landesnamen zukünftig ein „Nord“ voranzustellen. Im Gegenzug akzeptiert Griechenland die Nationalität und Sprache der Mazedonier – unter dem Hinweis, dass diese nicht mit den antiken Mazedoniern in Verbindung stehen – und stellt sich einem EU-Beitritt seines Nachbarlandes nicht mehr entgegen.

Zur Umsetzung des Abkommens müssen die Parlamente beider Staaten zustimmen und Überzeugungsarbeit in der Bevölkerung leisten. Freiheit.org hat mit dem für Griechenland zuständigen Projektmanager der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit, Markus Kaiser, und dem Projektleiter Südosteuropa, Daniel Kaddik, über die vermeintliche Einigung und ihre Folgen gesprochen.

Wieso ist die Interpretation der eigenen Geschichte beim Namensstreit zwischen Griechenland und Mazedonien eher ein Stolperstein als eine Brücke?

Kaddik: Zwar liest man überall, dass der Namensstreit beendet sei, jedoch haben wir in den vergangenen Jahren gelernt, dass zwischen Griechenland und Mazedonien ein „nach dem Streit“ auch immer ein „vor dem Streit“ ist. Schließlich hatten wir bereits 2010 den Kompromissentwurf „Obermazedonien“ auf dem Tisch. Die 2016 abgelöste mazedonische Regierung unter der nationalistischen VMRO-DPMNE und Premierminister Gruevski hat bewusst das Erbe von Alexander dem Großen ins Zentrum des Nation Buildings gestellt. Die Festigung der eigenen Geschichte wird für die Abgrenzung im Staatengeflecht – besonders in den jungen Staaten auf dem Balkan – als notwendig angesehen. Darüber hinaus lassen sich so vortrefflich Ressentiments gegen andere Länder oder Minderheiten schüren, um vom Fehlverhalten der eigenen Regierung abzulenken.

Kaiser: Jenseits der Folklore um die Abstammung Alexanders des Großen und was genau jetzt eigentlich „mazedonisch“ heißt, ist die vierhundert Jahre währende Fremdherrschaft der Osmanen tief im kollektiven Bewusstsein Griechenlands verankert. Zentralmakedonien – also der Landesteil, um den es bei dem Streit geht – ist erst seit rund hundert Jahren wieder Teil Griechenlands. Die damit verbundenen Vertreibungen haben tiefe Narben in der Bevölkerung hinterlassen. Die zweifellos irrationale Angst, dass eine Republik Mazedonien Ansprüche auf die griechischen Teile der historischen Region erheben könne, wird dadurch aber verständlicher. Irredentismus und Revisionismus sind seit jeher die Geißeln des Balkans.

Zwischen Griechenland und Mazedonien ist ein „nach dem Streit“ auch immer ein „vor dem Streit“.

Daniel Kaddik
Daniel Kaddik, Projektleiter Südosteuropa der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit

Wie hat sich Brüssel im Namensstreit als „ehrlicher Makler“ eingebracht?

Kaiser: In Griechenland hat sich die Europäische Union öffentlich sehr zurückgehalten. In dem hier vorherrschenden Klima gegenüber europäischer Einmischung in nationale Politik hätte die EU nur verlieren können. Die Rolle der Vereinten Nationen wurde hingegen sehr positiv gesehen. Griechenland hat einige Erfahrung mit UN-Vermittlungen –  es sitzt ja auch bei der Zypernfrage mit am Tisch. Insoweit ist das vorgelegte Abkommen ein Lösungsvorschlag für eine der großen nationalen Fragen, die nun abschließend beantwortet werden kann.

Kaddik: Aus mazedonischer Perspektive muss die realistische Antwort hier lauten: Makler ja, ehrlich nein. Nicht zuletzt in der Flüchtlingskrise wurde die massive Tendenz der Autokratisierung Mazedoniens von Europa weitgehend ignoriert. Massivste Fälle von Korruption, Eingriffe in die Privatsphäre, Bedrohung von Journalisten und nicht zuletzt die ausgeprägte Kleptomanie des Gruevski-Regimes wurde zu wenig kommentiert und teilweise über Gelder aus Europa auch kofinanziert. Erst nach dem Wechsel zur neuen Regierung hat die EU die Gunst der Stunde genutzt. Insbesondere der bulgarische Vorstoß zur Streitbeilegung und die zunehmende Fokussierung der EU auf den Westbalkan während der bulgarischen EU-Ratspräsidentschaft kann man hier als Türöffner sehen.

Das vorgelegte Abkommen ist ein Lösungsvorschlag für eine der großen nationalen Fragen, die nun abschließend beantwortet werden kann.

Viele Griechen fühlen sich im Stich gelassen
Markus Kaiser, Projektmanager Griechenland der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit

Was behindert gegenwärtig noch intensiviere Beziehungen zwischen Griechenland und Nordmazedonien?

Kaiser: Die Vorbehalte in der griechischen Bevölkerung sind nach wie vor immens. Umfragen zufolge lehnen rund 70 Prozent das Abkommen ab. Die konservative Opposition stellte im Parlament deshalb sogar die Vertrauensfrage. Die griechischen Parteien geben hier leider ein Trauerspiel ab. Anstatt dem tief gespaltenen und verunsicherten Land Einheit und eine nach vorne gerichtete Aussöhnung vorzuleben, wird diese für das Zusammengehörigkeitsgefühl Griechenlands so wichtige Frage parteipolitisch vereinnahmt. Zumindest die liberale Oppositionspartei „To Potami“ hat bereits angekündigt, aus einem positiven Patriotismus heraus für das Abkommen zu stimmen. Auch für die wirtschaftliche Entwicklung Griechenlands kann es nur förderlich sein, normalisierte Beziehungen zu seinem nördlichen Nachbarn zu unterhalten.

Wird der lang erwartete politische Kompromiss in Mazedonien dieses Mal durchkommen?

Kaddik: Dem europäischen Hochgefühl der Einigung von Tsipras und Zaev steht in der Tat die mazedonische Realität gegenüber. Über zehn Jahre hinweg hatte die VMRO-DPMNE den Staat auf sich ausgerichtet und die Identitätsfrage dabei für sich benutzt. Der Umbau der Hauptstadt zu einem nationalistischen Disneyland mit Alexander dem Großen im Zentrum, Autobahnen mit seinem Namen, Geld mit seinem Konterfei, zusammen mit der stetigen nationalen Abgrenzung und einer weitgehend gleichgeschalteten Presse haben natürlich einen Effekt auf die Stimmung im Land. Die kann für das Referendum im September entscheidend sein. So haben Hooligans bereits versucht, bei Protesten das Parlament zu stürmen. Die VMRO-DPMNE indes versucht, alle ihr verbliebenen Register zu ziehen – einerseits mit gesteuerten Protesten, anderseits über den politischen Weg. Präsident Ivanov hat angekündigt, dem Kompromiss nicht zuzustimmen.