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Internationales
Vom Chavismus zum „Madurismus“

Venezuela ein Jahr nach der Absetzung des Parlaments
Sozialistische Umformung Venezuelas: das erklärte Ziel von Nicolás Maduro.
Sozialistische Umformung Venezuelas: das erklärte Ziel von Nicolás Maduro. © CC BY-SA 4.0 commons.wikimedia.org/ Hugoshi

Ein Beitrag des Oppositionspolitikers Pedro Urruchurtu von der Partei VENTE Venezuela zum Jahrestag der Absetzung des Parlaments und der Einberufung der sogenannten verfassungsgebenden Nationalversammlung durch Präsident Maduro.  

Die sogenannte verfassungsgebende Versammlung wurde am 30. Juli 2017 im Amt bestätigt, nachdem Nicolás Maduro sie am 01. Mai 2017 einberufen hatte. 545 Mitglieder wurden gewählt. Diese Zahl wurde jedoch schrittweise reduziert, da viele von den Mitgliedern sodann Funktionen als Minister, Bürgermeister, Gouverneure, u.a. übernahmen. Die fragwürdige Einberufung der Versammlung war der negative Endpunkt einer Protestwelle, die von Zivilgesellschaft und der Opposition angeführt worden war. Sie dauerten vier Monate (April bis August 2017) und es gab 140 Tote, 5000 Gefangene, hunderttausende Verletzte, sowie über 300 politische Gefangene, Verbannte und verfolgte Anführer.

Im Grundsatz gegen das Volk

Die Idee einer solchen Versammlung ist nicht neu in Venezuela. Die momentane Verfassung ist das Produkt einer verfassungsgebenden Versammlung aus dem Jahr 1999 als Hugo Chávez an die Macht kam. Tatsächlich geht aus den Artikeln 347, 348 und 349 der venezolanischen Verfassung hervor, dass der Präsident eine derartige Versammlung einberufen kann. Um die Versammlung jedoch zu legitimieren, muss zunächst ein Referendum abgehalten werden, in dem das Volk gefragt wird, ob es eine neue Verfassung haben will. Da es ein derartiges Referendum 2017 nicht gab und die Mitglieder einfach direkt gewählt wurden, kann die jetzige Versammlung ohne Abstriche als verfassungswidrig bezeichnet werden. Abgesehen davon wurde die Wahl der Mitglieder geografisch und sektoral vorherbestimmt (Jugendliche, Arbeitnehmer, Frauen, Studenten usw.), womit klar gegen die Bestimmungen des allgemeinen und gleichen Wahlrechts in Venezuela verstoßen wurde. Ein weiterer Punkt waren die abgelaufenen Amtszeiten von drei der fünf Direktoren des Wahlausschusses, die zugleich Mitglieder der Regierungspartei waren und ihren Rücktritt verweigerten. Somit war auch jeder Beschluss des Wahlausschusses von vornherein illegitim. Die Einberufung der Versammlung als solches war einfach nur illegal und betrügerisch.

Wahlen ohne Wähler

Am 30. Juli 2017 – einem weiteren Tag voller Gewalt mit zehn Toten Demonstranten - wurden die Ergebnisse der Wahl bekanntgegeben. Laut Angaben der Regierung gingen 8,089,320 Venezolaner wählen (ca. 42% des Wählerverzeichnisses). Jedoch deuteten leere Straßen und eine sichtbar geringe Wählerpräsenz in den Wahllokalen darauf hin, dass diese Zahlen manipuliert wurden. Dies wurde drei Tage später sogar von Antonio Mugica, dem Geschäftsführer der Firma Smartmatic, die die Wahlmaschinen betreibt, bestätigt. Mugica erklärte, dass es mindestens eine Millionen Stimmen Unterschied zwischen der offiziellen und tatsächlichen Wahlbeteiligung gab. Da die Opposition zwei Wochen vorher eine Volksabstimmung organisiert hatte, der 7,676,894 Venezolaner ihre Stimme gaben, benötigte die Regierung bei der Wahl zur verfassungsgebenden Versammlung eine deutlich höhere Wahlbeteiligung, anders hätte sie ihr Vorgehen kaum legitimieren können.

Über 40 Länder (die EU, die OAS, Mercosur und Unasur) haben inzwischen die Vorgänge in Venezuela verurteilt. Unterstützung für das Regime kamen hingegen von Bolivien, China, Kuba, Russland, Ecuador, Nicaragua, Syrien, dem Iran und El Salvador. Die Ablehnung der Anerkennung der Wahlergebnisse und die sukzessive Unterdrückung der Opposition durch die Regierung führten zu weitreichenden internationalen Reaktionen. Es kam zur Aktivierung der Interamerikanischen Demokratischen Charta der OAS, zur Anwendung der Demokratie Klausel des Mercosur, zu Sanktionen durch die USA, Kanada und die EU gegen Regierungsmitglieder sowie zur Gründung der Lima Gruppe zur Beendigung der Krise in Venezuela.

Verfassungsautoritarismus von der ersten Stunde

An erster Stelle steht die Verabschiedung einer Verfassung, die es erlaubt Venezuela nach sozialistischem bzw. kommunistischem Modell umzustrukturieren; die derzeitige Verfassung erlaubt derartige weitreichende Umgestaltung des gesamten Landes und seiner Institutionen nicht.
Daraus würden Veränderungen für Wirtschaft, Privateigentum, Regional- und Kommunalwahlen, Landtage und kommunale Gebietskörperschaften resultieren. Eine noch größere staatliche Kontrolle der Wirtschaft sowie uneingeschränkte Macht für die Exekutive kämen hinzu. Bis dahin übernimmt die Versammlung außerdem die Funktionen des von der Opposition dominierten entmachteten Parlaments. Im Gegensatz zu anderen verfassungsgebenden Versammlungen blieben in Venezuela alle Gewalten intakt, sie sind jedoch der Versammlung untergeordnet. Dies ist ein wohl einzigartiger Fall von Verfassungsautoritarismus schon in der Entstehungsphase. 

Eine Bilanz des Unrechts, Terrors und der Einschüchterung

  • die Entlassung des Justizministers und die Aufhebung der Immunität mehrerer Abgeordneter, womit man sich selbst richterliche Funktionen gab.
  • die Schaffung einer Kommission für Wahrheit, Recht und Entschädigung für Opfer, um die offizielle Version der Proteste, nämlich die von ausländischer Verschwörung und Terrorismus, besser zu legitimieren. 
  • die Einberufung von Wahlen für Gouverneure, Bürgermeister und Stadträte; die Mehrheit der Opposition wird an diesen Wahlen nicht teilnehmen, um der Versammlung nicht eine indirekte Anerkennung zu leisten. Die Ergebnisse all dieser Wahlen werden genauso wenig anerkannt werden. Dies betrifft auch die Wiederwahl Maduro’s, der am 20. Mai diesen Jahres mit einer Wahlbeteiligung von knapp 20% und vielen Unstimmigkeiten als Präsident wiedergewählt wurde.
  • ein Verbot der Oppositionsparteien, da sie angeblich Gewalt fördern; hiermit gab sich die Versammlung erneut eine richterliche Funktion.
  • die Verabschiedung eines Gesetzes gegen Hass und für friedliche Koexistenz und Toleranz;  dieses Gesetzeswerk ermöglicht es Kommentare in sozialen Netzwerken als Angriff gegen das Land und als Terrorismus zu klassifizieren und die Urheber festzunehmen.  
  • die Abschaffung der Stadträte in den großen Stadtgemeinden, da diese überwiegend von der Opposition regiert werden.
  • die Ausarbeitung eines Vorschlags zur Vorbereitung von „Rückruf-Referenden“ gegen Abgeordnete der Opposition im entmachteten Parlament, um so dessen endgültige Auflösung vorantreiben zu können.

Die sog. verfassungsgebende Versammlung hat die staatlichen Institutionen Venezuelas abgebaut, die Opposition verfolgt, unterdrückt und die Verbreitung von Angst und Furcht zur staatlichen Politik gemacht. Zum jetzigen Zeitpunkt wird die Annahme einer neuen Verfassung organisiert. Dies soll bis Ende 2018 geschehen, damit Venezuela dann endgültig sozialistisch umgeformt werden kann.

Die Opposition wird auch weiter versuchen – mit Unterstützung der internationalen Gemeinschaft – dagegen mit allen politischen Mitteln vorzugehen, damit das Land seine Freiheit wiedererlangt und sich das erklärte Ziel von Nicolas Maduro, den „Chavismus“ zum „Madurismus“ weiterzuentwickeln nicht zur Realität wird.