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Jahrestag
Vor 70 Jahren: Theodor Heuss erstmals zum Bundespräsidenten gewählt

Der erste Bundespräsident der Bundesrepublik schaffte es, dieses neue Amt mit Leben zu füllen.
Theodor Heuss auf der Einweihungsfeier der Heimvolkshochschule der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bergneustadt, 28. Februar 1956

Theodor Heuss auf der Einweihungsfeier der Heimvolkshochschule der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bergneustadt, 28.02.1956

© Foto Darchinger. Nutzungsrecht Friedrich-Naumann-Stiftung, ADL, Fotosammlung, FD-135

Ein Liberaler an der Spitze eines deutschen Nationalstaats, das hatte es bislang noch nicht gegeben. Die Wahrscheinlichkeit, dass es 1949 anders sein würde, war angesichts der politischen Stärkeverhältnisse in der neu gegründeten Bundesrepublik auch nicht sehr hoch: Die Freien Demokraten waren zwar mit knapp 12 Prozent als drittstärkste Fraktion aus der ersten Bundestagswahl hervorgegangen, lagen damit aber fast 20 Prozentpunkte hinter CDU/CSU und gut 17 Prozentpunkte hinter der SPD.

Von der SPD war ursprünglich der erste Anstoß hervorgegangen, den Vorsitzenden der FDP zum Bundespräsidenten zu wählen. Denn Theodor Heuss hatte sich im Parlamentarischen Rat als geschickter Mediator zwischen den großen Blöcken rechts und links gezeigt und so den liberalen Einfluss auf die Beratungen gestärkt. Wichtiger war natürlich aus SPD-Sicht ein anderes Argument: Mit einem Kandidaten Heuss ließ sich möglicherweise Konrad Adenauer als Staatsoberhaupt verhindern.

Adenauer hatte aber selbst ganz andere Pläne und konnte sich mit einer Kandidatur von Heuss schon deshalb anfreunden, weil dies die kleine „bürgerliche“ Koalition von Christ- und Freien Demokraten stärken würde und er nicht eine ungeliebte Große Koalition eingehen musste, für die es in seiner eigenen Partei durchaus Sympathien gab.

So bot der CDU-Chef den Liberalen das Präsidentenamt an, die natürlich gern zugriffen; Gegenkandidat war nun der SPD-Vorsitzende Kurt Schumacher. Vorbehalte gegen Heuss kamen nicht nur von den Unionsvertretern, die für ein Zusammengehen mit der Sozialdemokratie waren, sondern auch aus katholischen Kreisen: Für sie erschien der Liberale ein kirchenferner Freigeist. Adenauer hingegen war die kulturprotestantische Prägung von Heuss nicht verborgen geblieben und unterstützte ihn auch aus Gründen der Konfessionsproporzes. Die christdemokratischen Vorbehalte wurden im ersten Wahlgang deutlich, als Heuss nur 47 Prozent der Stimmen auf sich vereinte. Erst im zweiten Wahlgang wurde mit knapp 52 Prozent die vorgeschriebene absolute Mehrheit in der Bundesversammlung von ihm erreicht, Schumacher kam jeweils auf knapp 39 Prozent.

Flugblatt des FDP-Kreisverbands Bergstraße zur Landtagswahl 1950 in Hessen

Flugblatt des FDP-Kreisverbands Bergstraße zur Landtagswahl 1950 in Hessen

In seinen Antrittsreden vor der Bundesversammlung und später vor den Bürgern auf dem Bonner Marktplatz erinnerte Heuss demonstrativ an Friedrich Naumann, von dem er sich neben seinem Vater in seinen politischen und religiösen Überzeugungen am meisten geprägt fühlte. Zumindest in dieser Hinsicht ging Adenauers Kalkül vollkommen auf: Der Bundespräsident Heuss machte sich um die Einbindung des protestantischen Bevölkerungsteils, dessen Ursprungsgebiete in den jetzt abgetrennten Ostregionen Deutschlands lagen und der seine auch demographisch führende Position verloren hatte, sehr verdient, sprach vor Kirchentagen und in Evangelischen Akademien und verteilte Bibeln an neu- oder wiedererrichtete evangelische Kirchen.

Eine weitere, notgedrungen auf ihn fallende Aufgabe war allerdings weit schwieriger: Heuss musste das neu geschaffene Präsidentenamt mit Form und Leben füllen. Das Problem war dabei ein doppeltes: Als Vorgänger an der deutschen Staatsspitze hatten in den vorhergehenden 50 Jahren ein sprunghafter, geistig labiler Monarch, ein betagter Feldmarschall und ein größenwahnsinniger und mörderischer Diktator sowie ein diesem willfähriger Großadmiral gestanden. Einzig der erste, von 1919 bis 1925 amtierende Präsident der Weimarer Republik, Friedrich Ebert, konnte in dieser „Ahnengalerie“ nun als Anknüpfungspunkt dienen.

Allerdings hatte Ebert als Weimarer Reichspräsident über politische Kompetenzen und somit Einfluss auf die Staatsgeschäfte verfügt, die der neue Bundespräsident nach Willen der Väter und Mütter des Grundgesetzes – eingedenk der Erfahrung am Ende von Weimar – nicht haben sollte. Politisches Gewicht konnte das Staatsoberhaupt der Bundesrepublik nur durch – modern gesprochen – „soziales Kapital“ gewinnen.

Die äußere Freiheit der Vielen lebt aus der inneren Freiheit der Einzelnen.

Theodor Heuss

Genau dieses erwarb sich Heuss sehr rasch, wobei ihm seine breite Bildung und sein Redetalent sehr zustatten kamen. Reden und symbolische Handlungen wurden durch ihn zu den wichtigsten Instrumenten, wodurch ein Bundespräsident Einfluss auf das öffentliche Leben nehmen kann. Gleichzeitig gab Heuss der Staatsspitze ein bürgerlich-liberales Gepräge, das bis dato in Deutschland unbekannt war. Sein Einfluss auf die Ausbildung einer freiheitlich-pluralistischen politischen Kultur ist daher auch kaum zu überschätzen. Ähnliches gilt auch für seine Ehefrau Elly Heuss-Knapp, die zwar schon 1952 starb, mit der die Deutschen aber erstmals eine Art First Lady bekamen, auch wenn dieses Amt im Grundgesetz eigentlich gar nicht vorgesehen ist.

Beide wirkten je auf ihre Weise im wahrsten Sinne des Wortes „stilbildend“, allerdings konnte nur Theodor Heuss in gewisser Weise noch die Früchte seines Wirkens ernten: Bei der zweiten Bundespräsidentenwahl bekam er 1954 ohne ernsthaften Gegenkandidaten auf Anhieb mehr als 85 Prozent der Wahlmänner und –frauen, eine bis heute in der Bundesversammlung nicht mehr erreichte Zustimmungsquote.

Die Rede von Theodor Heuss auf dem Bonner Marktplatz:

Ansprache von Theodor Heuss auf dem Bonner Marktplatz, Seite 1
Ansprache von Theodor Heuss auf dem Bonner Marktplatz, Seite 2
Ansprache von Theodor Heuss auf dem Bonner Marktplatz, Seite 3
Ansprache von Theodor Heuss auf dem Bonner Marktplatz, Seite 4