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Europa
Wie „europäisch“ entwickelt sich Georgien?

Fragwürdige Wahlen und zweifelhafter Umgang mit Minderheitenrechten

Georgische Politiker betonen bei jeder Gelegenheit, dass sich das Land konsequent auf dem Weg nach Europa befindet. Das erklärte Ziel – und dies über Parteigrenzen hinweg – ist die EU-Mitgliedschaft. Doch wie europäisch entwickelt sich das Land? Für Peter-Andreas Bochmann, Projektleiter der Stiftung im Südkaukasus, zeigt sich, dass ein Jahr vor den Parlamentswahlen europäische Werte auf dem Prüfstand stehen.

„Wir meinen, dass Georgien diesen Test bestanden hat“, sagte der georgische Premierminister Mamuka Bakhtadze, am Tag nach der Wahl am 19. Mai 2019, bei denen die Kandidaten der Regierungspartei „Georgian Dream“ (GD) durchweg die meisten Stimmen bekamen. „Es ist die Regierung, die dafür verantwortlich ist, die höchsten Wahlstandards in Georgien zu gewährleisten.“ Georgien habe erneut freie und demokratische Wahlen abgehalten, so funktioniere der hohe Standard an Demokratie, erklärte der Regierungschef. „Erneut“ freie und demokratische Wahlen? Erinnern wir uns an die Präsidentschaftswahl 2018: Damals wurden Einschüchterungen von Wählern, Stimmenkauf und aggressive Wahlkampfrhetorik von lokalen und internationalen Wahlbeobachtern protokolliert. Die Regierung sicherte zu, diese Hinweise sehr ernst zu nehmen.

Insgesamt korrekter Abstimmungsverlauf

Leider hat der Verlauf der Nachwahl am Sonntag keine atmosphärische Änderung im Wahlkampf spüren lassen. Gewählt wurden die Bürgermeister von fünf Städten, Abgeordnete in acht Gemeinde- und Stadtparlamenten sowie ein Sitz im georgischen Parlament (in Tiflis). Und erneut wurden viele der bei der Präsidentschaftswahl kritisierten Mechanismen überwiegend von Vertretern beziehungsweise Anhängern der Regierungspartei eingesetzt.

Dabei bestätigen unabhängige Beobachter, dass der technische Wahlverlauf durchaus als korrekt bezeichnet werden kann. Auch sei es im Abstimmungsverfahren zu keinen größeren Verstößen und bei der Auszählung nicht zu Wahlfälschungen gekommen. Jedoch hätte die Anwesenheit so genannter „Koordinatoren“, teilweise ausgestattet mit Wählerlisten, negativen Einfluss auf den Wählerwillen gehabt, berichtet die NGO „Georgians Young Lawyers Association“ (GYLA). Berichtet wurde unter anderem von Stimmenkauf, insbesondere in ländlichen Gebieten, sowie Druck auf öffentlich Bedienstete zur „richtigen“ Stimmabgabe.

In diesem Umfeld kann es schon als kleine Sensation bezeichnet werden, dass es einzig bei der Nachwahl in Tiflis zu einer Stichwahl kommt, während sonst überall die Kandidaten des „Georgischen Traums“ gewannen. Im Zentrum der georgischen Hauptstadt Tiflis bewarben sich insgesamt sechs Kandidaten für den Parlamentssitz, der durch die Wahl von Salome Surabischwili Ende 2018 zur Staatspräsidentin neu zu besetzen war. Shalva Shavgulidze, der Kandidat des Oppositionsbündnisses aus „European Georgia“ und den „Free Democrats (FD) lag mit 36,8 Prozent knapp hinter dem Kandidaten des Georgischen Traums mit 41 Prozent. Der Liberale hat nun Chancen, in der zweiten Runde zu gewinnen, denn auch die nächstplatzierten Oppositionskandidaten erzielten mit 6,6 und 4,8 Prozent durchaus bemerkenswerte Prozentzahlen. Es ist nicht davon auszugehen, dass deren Anhänger dem Kandidaten der Regierungspartei ihre Stimmen geben werden.

Sollte Shavgulidze in der Stichwahl gewählt werden, wäre es ein Signal dafür, dass Allianzen innerhalb der Opposition zum Erfolg führen können. Offen solidarisch mit Shalva Shavgulidze erklärten sich unter anderem auch der ehemalige Parlamentspräsident Davit Usupaschwili sowie der ehemalige Staatspräsident Giorgi Margwelaschwili. Insgesamt war bei den Nachwahlen ein Umdenken innerhalb der zum Teil sehr unterschiedlich ausgerichteten Oppositionsparteien zu beobachten – ein Novum in der georgischen Politik, das als Vorbild für die Parlamentswahlen 2020 taugen könnte.

Free Democrats 17

Shalva Shavgulidze, der Kandidat des Oppositionsbündnisses.

© Free Democrats 17

Neue Allianzen und Kooperationen innerhalb der Opposition

Während in Tiflis die Parteien „European Georgia“ und „Free Democrats“ erstmals kooperierten und einen gemeinsamen Kandidaten ins Rennen schickten, verzichtete das „United National Movement“ (UNM) – die größte Oppositionspartei – auf einen eigenen Kandidaten und konzentrierte sich auf die Bürgermeisterwahl im westgeorgischen Zugdidi, wo wiederum die anderen Oppositionsparteien auf eigene Kandidaten verzichteten und so der Oppositionskandidatin ein respektables Ergebnis bescherte.

In Zugdidi kandidierte mit Sandra Elisabeth Saakaschwili-Roelofs die Ehefrau des Parteigründers und ehemaligen Präsidenten Michail Saakaschwili und unterlag mit beachtlichen 42,8 Prozent dem Kandidaten des „Georgischen Traums“. Da dieser über fünfzig Prozent der Stimmen auf sich vereinen konnte, kommt es nicht zu der erhofften Stichwahl. Nach ihrer Niederlage verkündete Sandra Roelofs, dass von Zugdidi aus eine Protestwelle über das ganze Land gestartet werde, die erst vor dem Palast des Parteichefs des „Georgischen Traums“, dem Milliardär Bidsina Iwanischwili, enden werde. Diese Ankündigungen – ähnliche erfolgten schon so oft – sorgen selbst innerhalb der eigenen Partei für kontroverse Diskussionen.

Sanndra

Die Kandidatin Sandra Elisabeth Saakaschwili-Roelofs

© UNM

Keine anti-homophoben Plakate auf hauptstädtischen Werbetafeln

Während auf vielen Plakatwänden der georgischen Hauptstadt die Kandidaten um die Wette lächelten, weigerte sich eine große Werbefirma, anti-homophobe Slogans auf ihren Werbeflächen zu veröffentlichen. Geplant war, am Internationalen Tag gegen Homophobie (17. Mai) mit Infotafeln zur Förderung der Gleichstellung zur werben. Wie die federführende NGO „Equality Movement“ mitteilte‚ nannte die Werbefirma Angst vor Vandalismus und die Sorge um die Sicherheit der Fahrgäste an den Bushaltestellen als Grund. Die sei nichts weiter als ein Vorwand, erklärte „Equality Movement“ und warf dem Unternehmen Diskriminierung vor, da der Vertrag eine Klausel enthalten hätte, wonach die NGO für Beschädigungen aufgekommen wäre.

Die anti-homophoben Plakate sollten die einzige Aktion der georgischen LGBTQI+-Bewegung an diesem Tag sein. Nach massiven Bedrohungen durch rechte Gruppen hatte man aus Sicherheitsgründen auf öffentliche Veranstaltungen verzichtet. Hintergrund sind die schweren Ausschreitungen vom 17. Mai 2013, als wenige hundert LGBTQI+-Aktivisten mehreren Tausend gewalttätigen Gegendemonstranten gegenüberstanden. Im darauffolgenden Jahr rief die georgisch-orthodoxe Kirche den 17. Mai zum „Tag der Reinheit der Familie“ aus, der seitdem mit großer Prozession durch die Stadt zelebriert wird. In diesem Jahr war es nur noch eine einsame Regenbogenfahne an der Barataschwili-Brücke, die an den Internationalen Tag gegen Homophobie erinnerte.

Dennoch gibt die georgische LGBTQI+-Community nicht klein bei: vom 18. bis 23. Juni 2019 soll erstmals eine „Tbilisi Pride“ mit kulturellen und politischen Veranstaltungen stattfinden. Rechte Gruppierungen haben sich erneut fundamental dagegen gestellt und Widerstand angekündigt. Viele internationale Organisationen, unter ihnen die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit, haben ihre Unterstützung und Solidarität bekundet.

Georgien hat im Jahr 2014 im Rahmen eines Aktionsplans zur Visaliberalisierung mit der EU ein Antidiskriminierungsgesetz verabschiedet, das jedoch kaum etwas an der schwierigen Situation LGBTQI+-Community ändert. Am 17. Mai veröffentlichten verschiedene Botschafter und Repräsentanten internationaler Organisationen eine gemeinsame Erklärung, in der sie auf die Diskriminierung aufgrund sexueller Orientierung in Georgien hinwiesen.

Der 17. und 19. Mai – zwei Tage in der georgischen Realität des Jahres 2019, die Fragezeichen hinsichtlich der demokratischen Entwicklung des Landes hinterlassen. Freie, demokratische Wahlen und der Umgang mit Minderheitenrechten sind wichtige Indikatoren für den „konsequenten europäischen Weg“, den sich das Land auf die Fahnen geschrieben hat. In diesen Punkten gibt es noch erhebliche Defizite, wie die Ereignisse der vergangenen Woche gezeigt haben.

 

Peter-Andras Bochmann ist Projektleiter der Friedrich-Naumann-Stiftung im Südkaukasus.
Mitarbeit: Götz-Martin Rosin, Freier Journalist.