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Syrien
"Wir wissen, dass wir jeden Moment dem Tod gegenüberstehen können."

Im Gespräch mit Ammar Salmo, Chef der syrischen „Weißhelme"
"Weißhelme" in Syrien werden mit dem Alternativen Nobelpreis „Right Livelihood Award“ geehrt

"Weißhelme"-Einsatz in Aleppo

© Ammar Salmo

In einer "außergewöhnlichen humanitären Geste" hat das israelische Militär mehrere hundert Mitglieder der sogenannten "Weißhelme" und ihre Familien aus dem israelisch-syrischen Grenzgebiet geholt und dann nach Jordanien weitergeleitet. Die syrische Rettungsorganisation leistet im Kriegsgebiet humanitäre Hilfe. Das Assad-Regime und ihre Verbündeten werfen ihnen vor, Rebellen zu unterstützen und aus dem Ausland gesteuert zu sein. Die Organisation betont jedoch ihre Neutralität. Das deutsche Auswärtige Amt unterstützte die Weißhelme nach eigenen Angaben seit 2016 mit mindestens sieben Millionen Euro.

Vor zwei Jahren erhielten die "Weißhelme" den als alternativen Nobelpreis bezeichneten Right Livelihood Award. freiheit.org hatte damals die Möglichkeit mit deren Chef, Ammar Salmo, über seine gefährliche Arbeit zu sprechen. 

Jede Kontaktaufnahme zu syrischen Zivilisten unter dem Assad-Regime und dem russischen Bombardement stellt sich derzeit als schwierig, um nicht zu sagen unmöglich heraus. So war es nicht leicht, ein Interview mit einem Mitglied der syrischen Zilvilschützer „Weißhelme“ zu führen, die ununterbrochen im Dienste ihrer Aufgabe unterwegs sind in einem der heute gefährlichsten Länder der Welt. Midia Daghstani von der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit hatte dennoch die Chance, kurz mit dem Chef des Zivilschutzes in Aleppo, Ammar Salmo, zu sprechen. Der junge Mann hat englische Literatur studiert und ein Studium der Computertechnik begonnen, als die Revolution in Syrien im Jahre 2011 begann.

Während Sie unter täglichem Beschuss leben, was bedeutet es für Sie, den Right Livelihood Award gewonnen zu haben?   

Wir sehen diesen Preis als einen Sieg des Lebens und des Friedens in Syrien und wir halten ihn hoch, um der Zivilbevölkerung eine Stimme zu geben, die hier in diesem Krieg steckt und mit allen Formen des Todes konfrontiert wird. Dies ist eine klare Botschaft an die Welt: Es gibt hier Syrer, die Beistand brauchen, und die Zahl der Todesopfer muss gesenkt werden. Leider können wir den Preis  unter diesen schrecklichen Umständen weder feiern noch genießen. Aber lassen Sie mich an dieser Stelle den Menschen danken, die uns für diesen Preis nominiert und die ihn uns als einen Sieg des Lebens zuerkannt haben. Unser Hauptziel in der Zivilschutzorganisation ist es, Menschenleben zu retten und den Opfern des andauernden Bombardements und der Zerstörung zu helfen. Wir träumen davon, am Ende dieser Tragödie wieder Frieden in Syrien zu sehen.

Wie alt ist Ihre Organisation? Und was sind die Erfahrungen, die Sie durch sie gemacht haben?

Die Zivilschutzorganisation wurde 2013 gegründet mit Unterstützung anderer, im Wesentlichen von westlichen Ländern finanzierter Organisationen, lokaler Organisationen und Freiwilliger. Alle Freiwilligen der Organisation haben neben der täglichen Arbeit vor Ort intensive Kurse absolviert, um ihre Erfahrung aufzubauen. Vom Beginn der syrischen Revolution bis heute hatten wir keinen einzigen friedlichen Tag, an dem die Hilfe unseres Teams nicht nötig gewesen wäre.

Leider ist in einem Land wie Syrien das Töten für die Mörder eine leichte, alltägliche Sache, während die Rettung von unter Trümmern gefangenen Zivilisten eine schwierige Angelegenheit ist, nicht zuletzt, weil wir unterbesetzt sind. Wir hoffen, dass der Krieg bald vorbei ist und wir nicht mehr mit dem Tod leben müssen. Vielmehr wollen wir Syrien wieder aufbauen und Syrern helfen, wieder in ihre Häuser zurückzukehren.

„Weißhelme“ in Syrien werden mit dem Alternativen Nobelpreis „Right Livelihood Award“ geehrt

Chef der "Weißhelme" in Aleppo im Einsatz

© Ammar Salmo

Es ist bekannt, dass Sie nur in Regionen arbeiten, die nicht unter der Kontrolle des syrischen Regimes stehen. Ist dies eine politische Haltung Ihrer Organisation?

Im Prinzip können wir in ganz Syrien arbeiten, wo immer wir gebraucht werden. Unabhängig von allen politischen Ansichten ist es unsere wichtigste Pflicht, allen Menschen zu helfen, egal welcher Religion oder Rasse sie angehören oder welche politische Sichtweise sie teilen. Aber faktisch sind die Regionen, die nicht unter Kontrolle des Regimes stehen, die einzigen, die unter Beschuss stehen. Außerdem hält das Regime uns für seine Feinde, ebenso wie die Ärzte und Sanitäter in den nicht regime-kontrollierten Gebieten. Diese Gruppe befand sich schon immer in der Gefahr, gefangen genommen oder vom Regime zu Tode gefoltert zu werden.

Wir, das Zivilschutzpersonal, sind für den Notfall immer auf Abruf. Die Wahrscheinlichkeit, von einem Luftangriff der russischen Armee oder des syrischen Regimes getroffen zu werden, ist für uns größer als für jeden anderen. Wir sind uns völlig bewusst, dass wir jeden Moment dem Tod gegenüberstehen können. Wir haben bereits 150 unserer Leute verloren, während sie ihrem Job nachgingen, Leben zu retten. Das ist unsere Pflicht, an die wir glauben und zu der wir uns freiwillig gemeldet haben. Wir sind Syrer und wir werden nicht aufhören unserem Volk zu helfen. Wir werden weiterführen, was wir begonnen haben, bis es einen dauerhaften Frieden in Syrien gibt. Die ganze Welt hat die Syrer im Stich gelassen; wir werden unserem Volk nicht dasselbe antun.

Medea Daghstani absolvierte als CCP-Stipendiatin des Instituts für Auslandsbeziehungen derzeit ein Praktikum im Fachbereich Internationales der Stiftung für die Freiheit.

Dieser Artikel wurde das erste Mal im September 2016 auf freiheit.org veröffentlicht und am 23. Juli 2018 aktualisiert.