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Ehrung
Wolfgang Gerhardt: Geschichte und Grundsätze

Karl-Heinz Paqué und Wolfgang Gerhardt

Karl-Heinz Paqué und Wolfgang Gerhardt

© Wolfgang Borrs / franknuernberger.de

„Nervöse Zone“ – so lautete der treffende Titel eines Buches von Lutz Hachmeister, das im Jahr 2007 erschien. Der prominente Medienfachmann beschrieb darin die merkwürdige Symbiose von Politik und Journalismus in der Berliner Republik

Gemeint war mit dem treffenden Titel jene hektische Aufgeregtheit, die den Medien- und Politikbetrieb zunehmend kennzeichnet und im damals einsetzenden Zeitalter der modernen Kommunikationsmedien erst richtig in Schwung kam. Hachmeister lag richtig: Auf Seiten der Medien gibt es tatsächlich die nicht enden wollenden Analysen von neu entdeckten Trends, die in Wahrheit oft nicht mehr sind als erratische kurzfristige Stimmungsschwankungen. Und auf Seiten der Politik gibt es allzu oft die Bereitschaft, sofort ungebremst auf die Medien zu reagieren, vor allem wenn es um steigende oder, schlimmer noch fallende Sympathiewerte geht.

Die berühmt-berüchtigte „Sonntagsfrage“ der Wahlabsichten, wenn am nächsten Wochenende Bundestagswahl wäre, liefert dabei nicht mehr als die Spitze des Eisberges an Überreiztheit. Alle starren inzwischen fast täglich auf jene trocken-statistische Website der Sonntagsfrage von sieben Umfrageinstituten, die – ständig aktualisiert – die Beliebtheit der Parteien anzeigt. Der Verfasser dieser Zeilen tut dies übrigens auch, allerdings stets mit schlechtem Gewissen!

Wolfgang Gerhardt hat einen wunderbar ironischen Begriff für diese Statistiken der Gereiztheit. Er nennt sie „Wasserstandsmeldungen“. Die Herkunft des Begriffs – wohl aus der Binnenschifffahrt – indiziert den Rang der Sache: technische Detailinformationen, gerade mal nützlich für den täglichen Gebrauch, aber doch bitte nicht für die langfristige Strategie. Dafür braucht es viel Wichtigeres. Vor allem: Geschichte und Grundsätze.

So habe ich Wolfgang Gerhardt erlebt, als Mann von Geschichte und Grundsätzen – zunächst aus der Ferne in meiner Rolle als FDP-Mitglied, der den Spitzenpolitiker in seinem Wirken jahrelang beobachtet und stets geschätzt hat; und dann in den letzten Jahren ab 2014 in enger Zusammenarbeit in der Führung der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit, der Wolfgang Gerhardt zwölf Jahre lang, von 2006 bis jüngst 2018 als Vorstandsvorsitzender diente. Er war es, der mich auch motivierte, als sein Stellvertreter zu kandidieren, was ich 2014 tat. Vier Jahre lang haben wir eng und vertrauensvoll im Vorstand der Stiftung zusammengearbeitet. Es war bis 2017 die Zeit der Krise der Freien Demokraten – jene „Schattenjahre“, wie sie Christian Lindner im Nachhinein in einer Buchpublikation zum Wiederaufstieg der FDP bezeichnete, nach deren Rauswurf aus dem Deutschen Bundestag 2013. Was war schief gelaufen?

Das Führungsteam der Freien Demokraten hatte eine Antwort und zog die richtigen Konsequenzen: nicht Aufgeben oder Aufweichen der liberalen Botschaften und Inhalte, sondern ganz grundsätzliche Neuorientierung der politischen Kommunikation. Wer den gesellschaftlichen Fortschritt vertritt, muss eben diejenigen positiv ansprechen, die mit Optimismus, Selbstvertrauen und ohne Ängste in die Zukunft blicken, und zwar in allen gesellschaftlichen Gruppen und Schichten.

Die Stiftung stand vor einer ganz ähnlichen Aufgabe wie die Partei – allerdings wie stets in der liberalen Familie nicht als Macher der Politik, sondern als Think Tank des Intellekts, der dem modischen Etatismus der Linken und Rechten mit überzeugenden Analysen entgegentreten sollte. Genau für diese Weichenstellung war der Vorstandsvorsitzende Wolfgang Gerhardt prädestiniert.

Wer den gesellschaftlichen Fortschritt vertritt, muss eben diejenigen positiv ansprechen, die mit Optimismus, Selbstvertrauen und ohne Ängste in die Zukunft blicken.

Karl-Heinz Paqué seit 2018
Prof. Dr. Karl-Heinz Paqué

Geschichte und Grundsätze“ – das mag traditionell klingen, aber es waren genau diese beiden Dimensionen, die noch fehlten, um dem Liberalismus nach der Katastrophe von 2013 nicht nur Dynamik und Schwung, sondern auch Stil und Substanz zurückgeben zu können.

Wolfgang Gerhardts Kenntnisse der Geschichte sind breit und tief, egal um welche Epoche es geht. Vor allem aber ist es das liberale 19. Jahrhundert, die große Zeit des Aufstiegs freiheitlicher Ideale vom Hambacher Fest 1832 über die Revolution von 1848 bis hin zur parlamentarischen Arbeit großer Liberaler im Kaiserreich und der Weimarer Republik, das ihn prägt. Seine Aufsätze und Reden atmen jenen kultivierten Geist der Freiheit und Selbstverantwortung, der im 19. Jahrhundert entstand. Es ist auch die Tradition großer liberaler Intellektueller von Theodor Heuss bis Ralf Dahrendorf, die sich darin spiegelt. Und es ist die Bedeutung der Bildung in einem umfassenden Sinn, die darin zum Ausdruck kommt.

Wolfgang Gerhardt ist ein Mann mit Grundsätzen. Kompromisse muss es geben, um Politik möglich zu machen. Grundsätze sind aber dazu da, eine klare Orientierung zu wahren und nicht in Beliebigkeit zu verfallen, bei allem großen Respekt vor politischen Wettbewerbern und Partnern anderer Parteien. Gerade die Grundsätze geben der liberalen Politik jene Schwere, die von den Menschen als passionierte Ernsthaftigkeit wahrgenommen wird.

Aus ihnen wächst die Sympathie für eine politische Position, und zwar über die handelnden Persönlichkeiten, die diese Grundsätze verkörpern und niemals verraten, also Haltung wahren, übrigens ein Lieblingswort von Wolfgang Gerhardt. Sie liefern den Anker der Überzeugung, und zwar gerade auch in Krisenzeiten wie die des organisierten Liberalismus in Deutschland zwischen 2013 und 2017.

Es war deshalb ein Glücksfall, dass neben dem jungen, dynamischen Christian Lindner für die Freien Demokraten der tief verwurzelte Liberale Wolfgang Gerhardt für die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit die geistige Grundlage für eine liberale Erneuerung liefern durfte. Es gibt gute Gründe zur Hoffnung, dass dies den politischen Liberalismus in Deutschland in der Zukunft wetterfester gemacht hat, als er es in der Vergangenheit jemals war. Dies ist eines der vielen bleibenden Verdienste von Wolfgang Gerhardt.