Deutschlands Schuldenwende
Eine historische Zäsur

Der CDU-Parteivorsitzende Friedrich Merz spricht während einer Debatte und Abstimmung über die Lockerung der Schuldenregeln und die Änderung des Grundgesetzes im Deutschen Bundestag in Berlin.
© picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Ebrahim NorooziMit dem jüngsten Beschluss des Bundestags zu den Möglichkeiten der künftigen Verschuldung ist die Bundesrepublik Deutschland ein anderes Land geworden. Zumindest an den Kapitalmärkten: Mit der Einrichtung eines Fonds zur Finanzierung von „Infrastruktur“ in Höhe von 500 Milliarden Euro sowie der Aufweichung der Schuldenbremse für Ausgaben der Verteidigung werden die Schleusen geöffnet – für eine drastische Erhöhung der Schuldenquote. Die lag bisher in der Größenordnung von 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP), jetzt steigt sie nach seriösen Schätzungen in den nächsten Jahren auf gut 90 Prozent.
Deutschland wechselt damit die Liga der Bonität – von der Premier League der Schweiz in Richtung Italien. Als letztes der G7-Länder wird es über Kurz oder Lang den Schritt mit einem Verlust des Triple-A-Status bezahlen, mit entsprechenden Erhöhungen der Zinslasten. In einer ersten vorausschauenden Reaktion der Kapitalmärkte stieg die Rendite für 10-jährige Anleihen des deutschen Staates schon binnen weniger Tage von 2,4 auf 2,9 Prozent. Für die Ausgaben zur Verteidigung im Rahmen der NATO ist dieser Weg zu rechtfertigen – gibt es doch mit Putin und Trump eine echte Bedrohung der Sicherheitslage. Für die Infrastruktur gilt dies aber nicht: Wer in die Schweiz fährt, stellt schnell fest, dass unsere südlichen Nachbarn trotz scharfer Schuldenbremse und niedriger Schuldenquote von unter 25 Prozent des BIP eine vorzügliche Infrastruktur aufweisen – im Verkehr und digital. Der Grund: Die Balance zwischen Investitionen und Konsum ist eine viel bessere als in Deutschland, wo zu Merkel-Zeiten der Sozialstaat kräftig ausgebaut wurde und Merz dabei ist, diese fatale Tradition wiederaufzunehmen. Denn die Einrichtung eines Fonds für Investitionen ist eine willkommene politische Gelegenheit, Projekte der Infrastruktur aus dem Fonds statt dem Haushalt zu finanzieren, um dann die eingesparten Mittel für den Konsum zu verwenden. Genau dies wird geschehen – im großen Stil, ohne Reformbemühen. Und es wird jede ernsthafte fiskalpolitische Disziplin zerstören. Hinzu kommt, dass 100 Mrd. Euro für klimapolitische Projekte reserviert sind, um bis 2045 in Deutschland eine Klimaneutralität zu erreichen, die Europa erst ab 2050 anstrebt – ohne Not ein Vorziehen des Klimaziels, das nach seriösen Schätzungen 750 Mrd. Euro kostet.
Im Grunde ist all dies ein Horrorszenario. Das gilt umso mehr, als eine dauerhafte Rückstufung Deutschlands als Schuldner in der Eurozone weitreichende Konsequenzen haben könnte. Deutschland ist nun mal als größtes EU-Land mit seinem Triple-A-Rating der Anker der Stabilität, und wenn seine Bonität ins Rutschen kommt, werden die anderen großen Euroländer Frankreich, Italien und Spanien folgen – mit potenziell verheerenden Folgen für die gemeinsame Währung. Denn die Europäische Zentralbank wird – wie seinerzeit 2011 nach Draghis Machtwort „Whatever it takes“ – in die Pflicht genommen werden, um im Krisenfall eine Finanz- und Schuldenkrise zu verhindern, diesmal wohl mit fatalen Konsequenzen für die innere und äußere Stabilität des Euro. Denn Rettungsaktionen dieses Ausmaßes konnte man sich vom Ausgangspunkt der hohen Bonität Deutschlands in der globalen Finanzkrise zu Beginn des letzten Jahrzehnts noch leisten, nachdem die Kapitalmärkte seit den 1950er Jahren reibungslos funktioniert hatten. In der Zukunft der nächsten ein bis zwei Jahrzehnte wird dies anders aussehen. Dann könnten die finanziellen Anlagen und Ersparnisse ganzer Generationen junger Europäer zur Disposition stehen, mit weitreichenden Folgen selbst für die Stabilität unserer Demokratie.
Kein Zweifel: Es wird in Deutschland seit Neuestem politisch mit dem Feuer gespielt. Und dies, obwohl der Hauptverantwortliche, Friedrich Merz (CDU), noch vor wenigen Wochen im Wahlkampf ein solches Szenario komplett ausgeschlossen hatte, was einen Tiefpunkt der Glaubwürdigkeit demokratischer Parteien und Politik markiert. Wie gesagt: Die militärische Bedrohung durch Russland mag so manche Inkaufnahme von ökonomischen Risiken und politischen Inkonsistenzen rechtfertigen. Der Rückstau der staatlichen Investitionen tut dies allerdings nicht. Er war lange bekannt und argumentatives Kernstück des Wahlkampfs. Sorry, aber es ist schändlich, ihn nun einfach auf dem Rücken künftiger Generationen auszutragen – als Last der Rückzahlung von Staatsschulden und als erhöhtes Risiko der Vermögensentwertung durch Inflation.