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Eine Kolumne von Karl-Heinz Paqué

Eurokurs
Wo ist die Agilität der Wirtschaft?

Was der Euro in Dollar wert ist, sagt viel über den Zustand Deutschlands. Wir brauchen dringend eine aktive Angebotspolitik.
EZB in Frankfurt

EZB in Frankfurt

© picture alliance / greatif | Florian Gaul

Am Mittwoch dieser Woche, dem 13. Juli 2022, veröffentlichte Gerald Braunberger in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung einen treffenden Kommentar. Titel: „Der Euro braucht ein starkes Deutschland“.

Anlass war die Tatsache, dass der Wert des Euro – erstmals seit 2002 – wieder auf die Marke von einem Dollar gefallen war. Ein kleines historisches Ereignis. Und Braunberger erinnerte sich, dass dies das letzte Mal, also vor 20 Jahren, genau in jene Phase der wirtschaftlichen Entwicklung Deutschlands fiel, als diese Nation vom Londoner Economist als „kranker Mann Europas“, „sick man of Europe“ bezeichnet worden war. Damals zu Recht: Das Land ächzte unter den Kosten der deutschen Wiedervereinigung, der Sozialstaat wucherte, die Erwerbslosigkeit erreichte Rekordhöhen, riesige Arbeitsmarktprogramme waren an die Stelle profitabler und nachhaltiger Beschäftigung in der privaten Wirtschaft getreten. Es begann damals die Diskussion um ein großes Reformprojekt, das dann wenige Jahre später tatsächlich unter dem hässlichen Namen „Hartz IV“ umgesetzt wurde – und das Land zum Positiven veränderte. Nach einigen Jahren kehrte das Wachstum zurück – zusammen mit einem kräftigen Zuwachs der Beschäftigung und der Steuereinnahmen.

Die Geschichte wiederholt sich niemals. Aber auch heute steckt die deutsche Wirtschaft nach einer langen Phase der christdemokratisch geführten Regierung in einer tiefen Krise. Damals hieß bis 1998 der zuständige Kanzler Helmut Kohl, bis 2021 hieß die zuständige Kanzlerin Angela Merkel, und auch diesmal äußerte sich der Londoner ECONOMIST äußerst kritisch über das Erbe. Die heutigen Schwächen sind dabei wie damals wirtschaftlich, aber es sind andere. Gelang es damals nicht, das große Potenzial der gut qualifizierten arbeitslosen Erwerbspersonen voll auszuschöpfen, sind es heute die Knappheit an Arbeitskräften, infrastrukturelle Schwächen und die demografische Entwicklung, die dem Land zu schaffen machen. Überall gibt es offene Stellen, die nicht besetzt werden können, selbst für die einfachste Hilfsarbeit. Überall fehlt es an modernster Digitalisierung – von den Schulen über die Verwaltung bis in die Industriebetriebe. Überall fällt es schwer, genug junge Menschen zu finden, die technische Berufe erlernen und jene große Generation der Babyboomer ersetzten können, die in den nächsten Jahren aus dem Arbeitsmarkt ausscheidet. Und überall sind die Genehmigungsverfahren für investive Vorhaben zu lang; und überall wuchert die Bürokratie.

Es ist ein gefesseltes Land, wo es nicht an der Nachfrage, wohl aber am Angebot von Neuem fehlt. Es war deshalb völlig richtig, dass die Ampelkoalition in ihrem Koalitionsvertrag die innovationsgetriebene Modernisierung des Landes in den Vordergrund rückte – und selbst Oppositionsführer wie Friedrich Merz konnte dem Vertrag nicht den inhaltlichen Respekt versagen. Jetzt muss diese Planung aber auch mit Leben gefüllt werden, und zwar unter den drastisch verschlechterten Weltmarktbedingungen, für die Putins Krieg gegen die Ukraine gesorgt hat. Dazu zählt auch das pragmatische Umsteuern der Energiepolitik. So ist es völlig unbegreiflich, warum sich Grüne und SPD unter Federführung des Wirtschaftsministers weigern, die drei letzten Kernkraftwerke länger am Netz zu halten, um die Versorgung zu sichern. Dies könnte ohne jede Rückkehr zu alten ideologischen Grabenkämpfen geschehen – einfach aus der Not der Situation, die es erforderlich macht, jede zusätzliche Energiequelle zu nutzen.

Klar ist: Ein großes Land, das sich derart einfachen Lösungen politisch verweigert, wird an den Kapitalmärkten abgewertet – und mit ihm die gesamte hochintegrierte Wirtschaftsregion, in dessen Zentrum es liegt. Die Regierung muss nach der Sommerpause entschlossen handeln. Mit der Rückkehr der Schuldenbremse hat sie ein wesentliches Signal zur Stabilisierung Europas gesetzt, aber das ist nicht mehr als eine notwendige – und noch keine hinreichende – Bedingung für den weiteren Weg aus der Krise. Dazu brauchen wir eine Politik der Agilität, die Angebotsengpässe bekämpft und beseitigt: mit Entschlossenheit und ohne Ideologie.