EN

US-Wahl
Die EU und eine US-Präsidentschaft: Joe Biden – die Rückkehr der Politik

uselection_2_1

Donald Trump hat das Weiße Haus noch nicht verlassen und in einigen Bundesstaaten der USA werden weiter Stimmen (nach-)gezählt. Doch alles spricht dafür: Der nächste Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika wird der Demokrat Joe Biden sein - an seiner Seite die Vizepräsidentin Kamala Harris. Was bedeutet der Sieg des Demokraten-Duos für die transatlantischen Beziehungen?

Die Vertreter der Institutionen der EU - Rat, Kommission, Europäisches Parlament - haben Joe Biden und Kamala Harris zur Wahl gratuliert und ihnen ihre Zusammenarbeit angeboten. So auch die Mitgliedstaaten der Europäischen Union, freilich in einem Kontinuum, das von diplomatisch kaum verbrämter Begeisterung bis eher zurückhaltender Anerkenntnis eines erfolgreichen Wahlkampfes reicht. Erleichterung und hohe Erwartungen haben auch liberale europäische Regierungschefs geäußert. So nannte der Belgier Alexander de Croo das Wahlergebnis einen Ausdruck vitaler Demokratie und gab seiner Hoffnung Ausdruck, dass gerade Kamala Harris ein Vorbild für Minderheiten sein werde. Estlands Regierungschef Jüri Ratas bezeichnete die USA als unverzichtbaren strategischen Partner für sein Land und die EU, gerade in Sicherheitsfragen. Und der irische Premier Micheal Martin lud den irischstämmigen Biden nach einem ersten Telefonat sogleich nach Irland ein.

Ist also alles in Butter für die künftigen vier Jahre der EU - U.S-Beziehungen? Nein, so einfach wird es nicht sein. Zwar waren die vier Jahre der Trump-Präsidentschaft ein dauernder transatlantischer Stresstest mit einem Partner im Weißen Haus, der Irrationalität, mangelnden Anstand, abrupte Politikwechsel und strategische Kurzsichtigkeit wie Kurzatmigkeit als Politikstil umsetzte. Joe Biden, der acht Jahre lang unter Barack Obama als Vizepräsident agierte und den viele Europäer einen Freund nennen, wird hingegen Rationalität, Kompetenz, Anstand und Würde zugeschrieben. Zunächst ist also Erleichterung angesagt. Aber bei aller Euphorie darf nicht vergessen werden, dass es zwischen Staaten am Ende keine Freundschaften gibt, sondern in erster Linie Interessen, die zum Ausgleich gebracht werden müssen.

Die zentralen Politikfelder, um die es bei diesem Austarieren der Interessen geht, sind bekannt: Klimawandel, Handel, Sicherheitspolitik und China - sowie ganz aktuell natürlich die Bekämpfung der COVID-19-Pandemie. Was ist auf diesen Feldern von der Administration eines US-Präsidenten Biden im Verhältnis zur EU zu erwarten?

Gemeinsam gegen Covid und Klimawandel

So wird das Feld für eine Zusammenarbeit bei der gemeinsamen Bekämpfung von Corona und seinen gesundheits- wie wirtschaftspolitischen Konsequenzen, weit offen sein. Ebenso darf man damit rechnen, dass die US-Bundespolitik unter Biden zu einer aktiven Klimapolitik zurückkehrt. Er wird in das Pariser Abkommen wieder eintreten und auf den Feldern der konkreten Klimapolitik bei Investitionen, Regelsetzung und internationaler Zusammenarbeit eine konstruktive Rolle spielen. Für die EU wird es einiges erleichtern, auf diesen Feldern wieder mit einem starken Partner rechnen zu können.

Zwei Schritte vor, einen zurück in der Handelspolitik

Schwieriger wird die Lage beim Thema Handel. Hier hat Donald Trump mit seiner aggressiven Zollpolitik und der demonstrativ zelebrierten Abkehr vom Freihandel nicht nur eine Grundachse republikanischer Politik verschoben, sondern gleichzeitig auch die schon traditionell weniger freihandelsaffinen Demokraten im Grunde politisch festgelegt. Biden wird zwar keinen tumben „America First“-Kurs fahren, aber er kann auch nicht im Hurra-Stil Globalisierung und offene Märkte als Wachstumstreiber feiern, wenn er seine gerade errungenen Wahlsiege im ehemaligen Industriegürtel der USA nicht gleich wieder konterkarieren will. Allerdings wird seine Regierung wieder ein Partner sein, wenn es um die Reform multilateraler Institutionen wie z.B. der WTO oder der WHO geht. Und: mit einer Administration Biden/Harris wird das beharrliche und kompromissorientierte Verhandeln und Zusammenarbeiten in Handels- und Wirtschaftsfragen überhaupt möglich sein. Manche Beobachter träumen gar schon von einem neuen Anlauf für ein transatlantisches Freihandelsabkommen. Dafür müsste sich allerdings die EU in der Sache einig sein. Und das ist sie weder zwischen noch innerhalb ihrer Mitgliedstaaten. Dieser Traum wird in den nächsten vier Jahren unter Biden kaum in Erfüllung gehen.

Beim Thema Sicherpolitik ist Europa am Zug

Traditionell haben die USA in ihre militärischen Fähigkeiten investiert, während die EU eher ihren Wohlfahrtstaat ausgebaut hat. Anders gesagt: Europa hat sich seine Integration geleistet und Amerika diesen Prozess beschützt. Diese zugegeben etwas holzschnittartig formulierte Rechnung wird auch unter Joe Biden nicht mehr aufgehen. Er wird von den Europäern innerhalb und außerhalb der NATO mehr Geld und mehr Verantwortung für die eigene Sicherheit und die Sicherheit in der Welt erwarten und verlangen. Freundlicher als Trump, aber eher hartnäckiger. Und die Akteure in der EU wissen das. Trump hat den politischen Entscheidungsträgern Europas durch seinen Bulldozer-Stil in den vergangenen vier Jahren in dieser Diskussion sogar eher Luft verschafft, da nicht erwartet wurde, Trumps undiplomatisch formulierten Forderungen zu folgen. Mit Joe Biden wird es anders sein: Er wird freundlich, aber bestimmt die 2% BIP-Anteil der Verteidigungsausgaben einfordern. Für die Europäer wird es jetzt also wirklich ernst.

Chinapolitik als Chance für die transatlantischen Partner

Bleibt das Thema China. Positiv formuliert bietet die Chinapolitik die Chance einer echten transatlantischen Politik-Renaissance: Wie wäre es, wenn die USA und die EU Seite an Seite gegenüber China eine kluge Containment-Strategie umsetzen würden? Für Menschenrechte, Marktwirtschaft, offene Gesellschaften und Multilateralismus. Die USA und Europa als Kern einer beitrittsoffenen Allianzen-Bildung gegen Staatskapitalismus, Ein-Parteien-Herrschaft, neo-koloniale Afrikapolitik und Minderheitenverfolgung. Da wäre sie dann: die EU als globaler Akteur im Sinne ihrer Werte. Die USA werden an ihrer strategischen Konzentration auf den Systemrivalen China auch unter Biden festhalten. Die Europäer werden sich vielleicht nicht entscheiden müssen, auf welcher Seite sie künftig stehen. Aber sie werden einen sehr klugen Weg finden müssen, mit den USA glaubwürdig im Bündnis zu stehen, ohne ihre Beziehungen zu China abzuschneiden. Gegenüber der Sowjetunion ist das im 20. Jahrhundert schon einmal gelungen. Die chinesische Herausforderung aber scheint ungleich größer. Sowohl für die USA als auch die EU. Umso wichtiger, dass jetzt eine Präsidentschaft Biden genutzt wird, um eine gemeinsame transatlantische Politik zu formulieren, zu vereinbaren und zu betreiben.

Fliehkräfte innerhalb der USA und der EU

Alle Voraussagen und Hoffnungen mit Blick auf die künftige transatlantische Zusammenarbeit stehen jedoch unter einem doppelten innenpolitischen Vorbehalt der USA: Was geht in der gesetzgeberischen und vertraglichen Detailarbeit mit einem möglicherweise nach wie vor von den Republikanern beherrschten Senat? Und welche Konzessionen muss Biden an seine Demokratische Partei machen, deren linker Flügel sicher einen Preis für seinen Anteil am Sieg über Trump fordern wird, während eher zentristisch und konservativ denkende Demokraten einen Kurs propagieren werden, der es zulässt, einen entscheidenden Teil bisheriger Trump-Wähler zurückzugewinnen. Will sagen: Widerstände und Fliehkräfte in Washington D.C und dem Rest der USA, die dem Team Biden/Harris das Leben in der Politik und in der Konsequenz das Zusammenwirken mit seinen Alliierten nicht einfacher machen werden.

Aber auch die EU kennt ihre eigenen Fliehkräfte und Zerreißproben: Es gibt nicht nur das eine EU-Interesse, es gibt unterschiedliche nationale Interessen der Mitgliedstaaten mit Blick auf alle erwähnten Politikfelder. Darüber hinaus gibt es Aufgaben wie etwa die Migrationspolitik, die von der EU zu lösen sind und die viele Ressourcen binden werden.

Der Raum für transatlantische Zusammenarbeit ist wieder geöffnet

Zusammengefasst lässt sich also sagen, dass eine Biden-Präsidentschaft Hoffnung auf eine Hinwendung zur Zusammenarbeit mit dem Partner Europa gibt. Biden darf als in der Wolle gefärbter Multilateralist und Transatlantiker gelten, der um die Notwendigkeit und Wirksamkeit von Allianzen weiß. Ihm ist klar, dass in einer komplexen und mehrpoligen Welt auch die Ressourcen der USA, des immer noch mächtigsten und reichsten Landes der Erde, für erfolgreiche Alleingänge nicht reichen. Außerdem braucht das Team Biden/Harris wie oben ausgeführt viel politisches und materielles Kapital für sein Programm der inneren Heilung der USA. Da ist also genug Raum für Politik, für die Fähigkeit und Notwendigkeit zum Kompromiss, für Beharrlichkeit und Zusammenarbeit. Das ist vielleicht die Botschaft des Biden-Sieges für die EU: Der Populismus ist nicht tot, aber geschwächt. Der Raum für Politik im transatlantischen Verhältnis und Zusammenwirken ist wieder da. Nutzen wir ihn.