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RE:START21
Für einen Ausbau von Erasmus+

Die Ausweitung der europäischen Austauschprogramme auf alle Bildungswege muss das zentrale Ziel der Bildungspolitik sein
Restart Erasmus+

Die Erfolgsgeschichte der EU ist untrennbar mit ihrer Bildungspolitik, vor allem dem Förderprogramm Erasmus verbunden. Hinter dem Namen verbirgt sich nicht nur der europäische Humanist Erasmus von Rotterdam, sondern auch das Akronym „European Action Scheme for the Mobility of University Students“. Die Coronakrise hat diese Mobilität drastisch eingeschränkt und damit nachdrücklich in Erinnerung gerufen, wie wertvoll der persönliche Kontakt in unsere Nachbarländer gewesen ist.

Bisher hat die europäische Jugend millionenfach die Chancen des Erasmus-Programms ergriffen; Austausch untereinander ist der wichtigste Pfeiler der europäischen Bürgergesellschaft. „Je mehr die Menschheit durch die Technik des Verkehrs näher aneinandergerückt wird“, schrieb Friedrich Naumann bereits im Dezember 1918 mit Blick auf die Zukunft Europas, „desto mehr werden die Verständigen und Sehenden erkennen, wie verflochten die gemeinsamen Schicksale dieser Länder sind.“ Die Corona-Pandemie hat diese Verflechtung noch einmal deutlich herausgestellt. Die schnelle Entwicklung von gleich mehreren Impfstoffen durch multinationale Forscherteams hat dabei allerdings auch gezeigt, welche Chancen in der grenzüberschreitendenden Zusammenarbeit liegen. Durch eine Stärkung der europäischen Bildungspolitik wird also gleichzeitig das Fundament für eine starke, europäische Forschungs- und Innovationspolitik gelegt.

Bildung spielt in dreifacher Hinsicht eine zentrale Rolle für die liberale Europapolitik. Bildung ist die Grundlage für die mündige Teilnahme der Bürgerinnen und Bürger an demokratischen Prozessen. Da politische Entscheidungen ohne die europäische Dimension undenkbar sind, ist eine Europäisierung des Bürgerrechts auf Bildung unabdingbar. Gleichzeitig ist Bildung das Fundament für wissenschaftlichen Fortschritt, technologische Innovation und wirtschaftliches Wachstum. Ohne Bildung wird Europa im globalen Wettbewerb nicht bestehen. Freie Bildung und freie Wissenschaft sind zugleich Mittel und Zweck im neuen Systemwettbewerb. Hinzu kommt, dass Bildung – neben dem freien Binnenmarkt – das zweite große Standbein des europäischen Friedensprojekts ist. Nicht zuletzt am „Remain“-Votum der jungen Briten hat sich gezeigt, dass es die ganz persönlichen Erfahrungen des europäischen (Bildungs-)Austausches sind, die den Kitt der europäischen Staatengemeinschaft bilden.

Europa braucht eine neue Renaissance, die auf Bildung, Wissenschaft und Innovation setzt und von mündigen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern umgesetzt wird. Das zentrale Ziel muss dabei die Ausweitung der europäischen Austauschprogramme auf alle Bildungswege sein. Die berufliche Bildung spielt dabei eine wesentliche Rolle, doch auch das lebenslange Lernen bietet viel Potenzial.

Erasmus+: Das Programm „Erasmus+“ muss auch für Auszubildende weiter ausgebaut werden. Das mittelfristige Ziel sollte eine europäische Bildungsfreizügigkeit sein. Sämtliche junge Menschen sollen einzelne Abschnitte ihres Bildungsweges im Ausland beschreiten können und auch im Laufe ihres Berufslebens noch „Europäische Bildungsbausteine“ in ihr Portfolio einbauen können. Deutsche Berufsbezeichnungen, die sich durchgesetzt haben, können durch die Einordnung in den Europäischen Qualifikationsrahmen (EQR) präzisiert werden. Über Stipendien auch und gerade für ärmere Studierende und Auszubildende muss sichergestellt werden, dass europäische Bildung der Motor für Chancengerechtigkeit und sozialen Aufstieg ist.

Die Digitalisierung des Unterrichts macht es auch möglich, dass Schülerinnen und Schüler aus ganz unterschiedlichen Ländern zusammen unterrichtet werden können. Sobald ausreichende Englischkenntnisse vorausgesetzt werden können, sollen alle Schülerinnen und Schüler an digitalen „Erasmus-Klassen“ teilnehmen können. Der physische Austausch kann dadurch natürlich nicht ersetzt werden. Deswegen sollten Schulaustauschprogramme sicherstellen, dass jeder Schüler und jede Schülerin verbindlich mindestens einmal in der Schulzeit mindestens vier Wochen im europäischen Ausland in einer Schule verbringen.

Europa muss sich wieder den Spitzenplatz in Wissenschaft und Forschung erobern. Jede europäische Universität sollte sich als Europa-Universität bewerben können und so eine Finanzierung aus dem Haushalt der EU erhalten. Dazu braucht es eine europäische Exzellenzinitiative und den konstruktiven Wettbewerb der Bildungsstandorte. Dazu kann auch der Wettbewerb um staatliches Risikokapital gehören. Ein besonderer Schwerpunkt sollten daher Partnerschaften zwischen Universitäten und der Privatwirtschaft bilden, die ähnlich wie das Silicon Valley (oder das britische „Silicon Fen“) Innovationsökosysteme formen und neue Produktideen umsetzen. Digitale Zukunftstechnologien und künstliche Intelligenz müssen dabei oberste Priorität haben.