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Raif Badawi Talk 2024
Digital.Press.Freedom.

Der stille Krieg gegen kritischen Journalismus - digitale Bedrohungen und globale Repression
Scott Griffen (IPI), Ensaf Haidar (Wife of Raif Badawi), Hanene Zbiss (Investigative journalist from Tunisia), Tamina Kutscher (Moderator, Russia expert, journalist), Irina Borogan (Russian exile journalist and author), Andrei Soldatov (Russian exile journalist and author) and Margit Ketterle (BOEV)

Scott Griffen (IPI), Ensaf Haidar (Ehefrau von Raif Badawi), Hanene Zbiss (Investigative Journalistin aus Tunesien), Tamina Kutscher (Moderatorin, Russlandexpertin, Journalistin), Irina Borogan (russ. Exil-Journalistin und Buchautorin), Andrei Soldatov (russ. Exil-Journalist und Buchautor), Margit Ketterle (BOEV).

© FNF

Der Raif Badawi Talk 2024, der am 19. Oktober auf der Frankfurter Buchmesse stattfand, wurde von der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit traditionell in Zusammenarbeit mit dem Börsenverein des Deutschen Buchhandels und der Stiftung Freedom of Expression organisiert. Die Veranstaltung stand unter dem Titel „Digital.Press.Freedom“ und befasste sich mit den wachsenden Herausforderungen für den freien und unabhängigen Journalismus, wobei der Schwerpunkt auf dem empfindlichen Spannungsfeld zwischen legitimen und notwendigen Eingriffen in Freiheiten und dem autoritären Machtmissbrauch zur Unterdrückung von Presse- und Meinungsfreiheit lag. Liberale Gesellschaften, darin waren sich die Podiumsteilnehmer einig, müssen sich ihrer Rolle als globale Vorbilder bei der Verteidigung der Pressefreiheit stärker bewusstwerden.

Ensaf Haidar, die Ehefrau von Raif Badawi, wies auf die anhaltenden Herausforderungen hin, denen sich ihre Familie trotz Raifs offizieller Entlassung aus dem Gefängnis stellen muss. Sie berichtete, dass sie sich anfänglich auf das Warten auf seine Freilassung konzentrierten, die Situation aber über die Zeit deutlich schwieriger geworden ist. Denn Raif ist zwar mittlerweile technisch frei, aber darf das Land für weitere acht Jahre nicht verlassen, weil er in seiner Reisefreiheit eingeschränkt wurde. Haidar betonte, dass viele Menschen in der Welt fälschlicherweise glaubten, Raifs Leidensweg sei vorbei, nur weil er nicht mehr inhaftiert ist. Sie betonte, wie wichtig es sei, dass sein Fall in der Öffentlichkeit präsent bleibe. Die Friedrich-Naumann-Stiftung wird die Welt auch weiterhin daran erinnern, dass Raifs Bestrafung für sein mutiges Eintreten für Meinungsfreiheit noch lange nicht vorbei ist.

Irina Borogan, Hanene Zbiss, Scott Griffen, Tamina Kutscher

Irina Borogan, Hanene Zbiss, Scott Griffen und Tamina Kutscher.

© FNF

Scott Griffen vom International Press Institute (IPI) sprach das Thema Spyware und digitale Bedrohungen für den Journalismus an und betonte, dass Tools wie Pegasus und Predator nicht nur eine Domäne autoritärer Regime sind, sondern auch von Regierungen in Europa eingesetzt wurden. Spionageprogramme stellen eine besonders gefährliche Bedrohung für den Journalismus dar, da sie oft unentdeckt bleiben und die Grundprinzipien der journalistischen Arbeit untergraben. Sie gefährden den Schutz von Quellen, die Sicherheit von Journalisten und versuchen letztlich, Journalistinnen und Journalisten zum Schweigen zu bringen, indem sie ihre Arbeit erschweren oder sogar unmöglich machen.

Die sich stetig verschlechternde Situation in Bezug auf die Pressefreiheit in Tunesien war ein weiterer Schwerpunkt des Panels, welcher von der Journalistin Hanene Zbiss eingebracht wurde. Sie erläuterte, dass Präsident Kais Saied seit Juli 2021 Maßnahmen ergriffen hat, die den unabhängigen Journalismus in ihrem Land stark einschränken. Unter anderem gilt die Vorgabe, nur noch im Sinne der Sichtweise der Regierung zu berichten. Die Einführung des Decree Law 54 im Jahr 2022, das auf die Bekämpfung von „falschen Informationen“ im Internet abzielt, hat zu großer Besorgnis über möglichen politischen Missbrauch geführt. Zbiss wies darauf hin, dass bereits 170 Personen, darunter Journalisten, Aktivisten und Politiker, auf der Grundlage dieses Gesetzes inhaftiert worden seien. Sie äußerte sich auch besorgt über eine gezielte Kampagne gegen Frauen, die durch das neue Decree Law 54 ermöglicht wird. Sie werden beispielsweise bezichtigt, ausländische Interessen zu vertreten. Derzeit wird eine neue Reform vorbereitet, die den Einfluss ausländischer Interessen und sogenannter „foreign agents“ noch weitergehend adressieren soll.

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Anschließend wandte sich das Gespräch Russland zu. Irina Borogan beleuchtete die seit langem bestehende Überwachung der Bürgerinnen und Bürger des Landes, sowohl physisch als auch digital. Seit Beginn des Krieges in der Ukraine im Jahr 2022 hat die weltweite Aufmerksamkeit für die Unterdrückung der Pressefreiheit in Russland zugenommen, aber Borogan erinnerte das Publikum daran, dass diese Praktiken schon seit Jahren bestehen. Sie und ihr Lebensgefährte Andrei Soldatov leben mittlerweile unter Polizeischutz in London, sind aber weiterhin den repressiven Maßnahmen des Kremls ausgesetzt. Borogan sprach über die Zunahme von SLAPPs (Strategic Lawsuits Against Public Participation) und hob dabei besonders ihre eigenen Erfahrungen hervor. Die Verbreitung ihres Buches The Compatriots wurde in Deutschland nach einer Klage eines russischen Geschäftsmanns vorübergehend untersagt. Dieser Fall kann verwendet werden, um zu veranschaulichen, wie der Einsatz von SLAPPs zugenommen hat. Ihre Zielsetzung ist, Journalisten und Autoren, die der russischen Politik und den Sicherheitsdiensten kritisch gegenüberstehen, mit legalen Mitteln einzuschüchtern und zum Schweigen zu bringen. Die Fälle dienen aber auch dazu, Verleger davon abzuschrecken, mit investigativen Journalisten zusammenzuarbeiten, die kritische Texte veröffentlichen wollen.

Trotz der Schwierigkeit der diskutierten Bedrohungen machten sich die Podiumsteilnehmer auch Gedanken darüber, wie diese wachsenden, insbesondere digitalen Gefahren für die Pressefreiheit adressiert werden können. Scott Griffen warf eine wichtige Frage für europäische Politikerinnen und Politiker auf: Wie sollten Gesellschaften mit den zunehmenden Risiken umgehen, die von digitalen Überwachungsinstrumenten ausgehen? Er plädierte für ein striktes Verbot von Hochrisikotechnologien, die die Grundrechte, einschließlich der Pressefreiheit, gefährden. Der European Media Freedom Act, wie in der IPI-Publikation Watching the Watchdogs für die Friedrich-Naumann-Stiftung detailliert beschrieben wird, stellt nur einen Anfangspunkt dar, um diese Frage anzugehen.

Borogan betonte, dass die Gesellschaft eine aktive Rolle beim Widerstand gegen digitale Überwachungsinstrumente spielen muss. Sie wies auch auf die Notwendigkeit strengerer Maßnahmen zur Bekämpfung von SLAPP-Fällen hin und beschrieb, dass in der aktuellen Situation Veröffentlichungen sogar vorübergehend verboten werden können, bevor eine ordnungsgemäße Anhörung durchgeführt wird. Ein weiteres Problem, das sie ansprach, war die Verbreitung von Desinformation, die gerade in einem Umfeld gedeiht, in dem das Vertrauen in Medien und Regierung schwach ist. Um Desinformation entgegenzuwirken, schlug Borogan vor, dass die Öffentlichkeit sowohl von offiziellen Stellen als auch von unabhängigen Medien besser über das Geschehen informiert werden müsse.

Zbiss schloss sich diesem Punkt an und fügte hinzu, dass die Verbesserung der Medienkompetenz auf breiter Ebene für eine wirksame Bekämpfung von Desinformation unerlässlich sei. Während Regulierung von Social-Media-Plattformen, wie sie in Europa bereits existiert, wichtig sei, betonte sie die Notwendigkeit ethischer Richtlinien für die Nutzung von Social Media durch Medien. Sie forderte auch mehr Solidarität und Schutzmechanismen für Journalisten und Schriftsteller, und dies sollte auch für die Medienschaffenden untereinander gelten, die zunehmend von digitaler Repression betroffen sind. Raif Badawi, so erinnerte sie das Publikum, war selbst ein Blogger und digitaler Publizist, dessen Arbeit ihn zur Zielscheibe eben dieser Bedrohungen machte.