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Eine Kolumne von Karl-Heinz Paqué

Klima-Volksentscheid
Botschaft der Vernunft

von Karl-Heinz Paqué
Volksentscheid
© picture alliance/dpa | Christophe Gateau

Klimaneutralität ist schon heute politisches Ziel, aber erst für das Jahr 2045. Am vergangenen Sonntag wurden die Berliner per Volksentscheid gefragt, ob sie dieses Ziel für ihre Stadt 15 Jahre nach vorne ziehen wollen – auf das Jahr 2030. Der Volksentscheid scheiterte krachend. Er erhielt nicht annähernd die erforderliche Mehrheit von 25 Prozent der Wahlberechtigten. Nur 18,2 Prozent votierten dafür, weit weniger als erwartet – trotz einer enorm aufwendigen Kampagne der Befürworter und viel Sympathie für die Forderung in den Medien.

Überraschend dabei war auch die große Zahl von Nein-Stimmen. Immerhin votierten 48,7 Prozent derjenigen, die zur Wahl gingen, gegen das Vorziehen des Klimaziels – bei 50,9 Prozent Befürwortern (und 0,4 Prozent ungültigen Stimmen). Es gab also bemerkenswert viele Bürgerinnen und Bürger, die sich die Mühe machten, zur Wahl zu gehen und explizit mit „Nein“ zu stimmen, obwohl auch ein Fernbleiben von der Wahl genügt hätte, um dem Projekt die Zustimmung zu verweigern. Auch die Wahlbeteiligung von 35,8 Prozent macht dies deutlich, denn für eine Volksabstimmung liegt sie in respektabler Höhe.

Darin steckt eine Botschaft der Vernunft. Sie lässt sich wie folgt zusammenfassen: Ja, wir sind für Klimaschutz, aber doch bitte in einem realistischen und keinem utopischen Rahmen. Denn es ist weithin anerkannt, dass die Umstellung der Wirtschaft und Gesellschaft einer Metropole wie Berlin auf Klimaneutralität innerhalb gerade Mal sieben (!) Jahren nicht zu schaffen ist. Dies räumen auch manche Befürworter der Fristverkürzung ein, aber sie meinen – wie die Chansonnière und Aktivistin Annett Luisian auf der Schlusskundgebung –, die Gesellschaft bräuchte maximalen Druck von außen und nicht allein Motivation von innen.

Eine merkwürdige Vorstellung, die eigentlich aus autokratischen Zeiten stammt: Nicht Einsicht und Erziehung, sondern Druck und Zwang sind nötig, um die Menschen zu motivieren – selbst dann, wenn die vorgegebenen Ziele utopisch sind. Mit einem Weltbild der bürgerlichen Verantwortung in Freiheit hat dies natürlich nichts zu tun. Es ist ein Rückschritt in die Geisteshaltung jener Zeiten, die vor der Aufklärung des 18. Jahrhunderts lagen, als weltliche Herrscher und kirchliche Mächte die Menschen wider ihren Willen auf den vermeintlichen Pfad der Tugend zwangen. Genau dies wollten die Berliner nicht. Sie sagten: Nein danke, bitte nicht den Verstand ausschalten. Natürlich wollen wir Klimaschutz, aber mit Klugheit und Realitätssinn.

Dabei variiert natürlich die Einstellung mit den speziellen Lebensumständen in den verschiedenen Bezirken Berlins. In den typischen Hochburgen der urbanen Dienstleistungswirtschaft sowie der ökologischen Alternativkultur – von Friedrichshain/Kreuzberg über Mitte und Pankow bis nach Tempelhof/Schöneberg und Charlottenburg/Wilmersdorf – dominierte das Ja-Votum bei relativ hoher Wahlbeteiligung. In den Außenbezirken der Stadt – von Reinickendorf und Spandau im Nordwesten sowie Marzahn-Hellersdorf, Lichtenberg und Treptow-Köpenick im Osten gab es eine klare Mehrheit für „Nein“, allerdings bei relativ niedriger Wahlbeteiligung. Auch der bürgerlich wohlhabende Bezirk Steglitz/Zehlendorf votierte mehrheitlich mit „Nein“, aber er tat es mit der höchsten Wahlbeteiligung der Bezirke überhaupt (40,9 Prozent).

An diesen Ergebnissen lässt sich einmal mehr die beunruhigende Spaltung der Hauptstadt – und übrigens auch Deutschlands insgesamt – wie im Brennglas ablesen. Da ist eine „urbane Elite“, die mit Öko-Lifestyle die Welt der Dienstleistungen im urbanen Zentrum bevölkert und sich längst dank bestem öffentlichem Verkehrsangebot im Zentrum von der Motorisierung und anderen traditionellen Elementen der Industriegesellschaft verabschiedet hat. Daneben leben aber in der Fläche hin zum Stadtrand jene Teile der Bevölkerung, die noch längst nicht ohne Auto auskommen und sich auch nicht so leicht mit dem Lifestyle der „urbanen Elite“ anfreunden.

Interessant ist dabei, dass diese Lifestyle-Skepsis der Stadtrandbewohner einigermaßen unabhängig vom Einkommen zu sein scheint. Sie findet sich gleichermaßen in ärmeren Bezirken des Ostens wie Marzahn/Hellersdorf wie in wohlhabenden Bezirken des Westens wie Steglitz/Zehlendorf. In beiden führt die Skepsis zu einem hohem „Nein“-Votum, allerdings im Osten und Nordwesten bei niedriger und im Südwesten bei hoher Wahlbeteiligung. Auch diese Spaltung sollte Sorgen bereiten: Das relativ wohlhabende Bürgertum des Berliner Westens votiert in großer Zahl explizit mit „Nein“; der weniger wohlhabende Nordwesten und Osten dagegen verzichtet in großer Zahl überhaupt darauf, seine Stimme abzugeben. Das ist ein vorübergehender Abschied von der aktiven Teilnahme an der Demokratie, vermutlich auch aus Frustration über Volksentscheide mit offensichtlich unrealistischen Forderungen.

Fazit: Dieser Volksentscheid – wenngleich gescheitert – liefert eine wichtige Lehre, allerdings eine ganz andere, als sie die Initiatoren im Visier hatten. Die Lehre ist eine Art Notruf an die Politik: Bitte macht endlich Eure Hausaufgaben, aber verschont uns mit ständigen utopischen ideologischen Zieldiskussionen, die mit der Realität nichts zu tun haben. Dies gilt selbst für den Kampf gegen den Klimawandel. Eine wichtige Botschaft der Vernunft!