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Eine Kolumne von Karl-Heinz Paqué

Kolumne
Weniger als erwartet!

Jedes Mal kommt bei den seltenen Volkszählungen Neues und Wichtiges ans Licht. Auch diesmal. Die Politik sollte aufhorchen.
Aktuelle Volkszählung

Ergebnisse des Zensus 2022

© picture alliance / CHROMORANGE | Christian Ohde

Vielleicht muss man etwas älter sein, um die Ironie der Wahrheit zu genießen, die bei jeder Volkszählung um die Ecke lugt. So wie der Verfasser dieser Zeilen - er ist 67 Jahre alt. Er kann sich noch genau an die beiden Volkszählungen von 1987 und 2011 erinnern, die den jüngst vorgelegten Ergebnissen der aktuellen Volkszählung 2022 vorausgingen.

Damals -  anno 1987 - kam in Westdeutschland heraus, dass die Zahl der Erwerbstätigen mehr als eine Million höher lag, als man geahnt hatte - und dies zu einer Zeit, als die Arbeitslosigkeit sehr hoch war und alle über die mangelnde Fähigkeit der westdeutschen Wirtschaft klagten, neue Jobs und mehr Beschäftigung zu schaffen. Es stellte sich heraus: In dieser Disziplin war die Wirtschaft deutlich besser als alle dachten, allerdings war deshalb die Zunahme der Arbeitsproduktivität im Trend deutlich schlechter. So mancher Wissenschaftler und Politiker rieb sich die Augen: Worüber hatten wir jahrelang hitzig debattiert, über ein Phantom, über exakt das Falsche?

Ähnlich 2011, als sich herausstellte, dass Deutschland 1,5 Millionen weniger Einwohner hatte als gedacht. Ganz ähnlich nun 2022, wobei der "Fehlbetrag" diesmal 1,4 Millionen beträgt, immerhin fast genauso viel wie 11 Jahre zuvor. Der Hauptgrund dafür ist so einfach wie banal: Viele Ausländer, die unserer Nation den Rücken kehren, melden sich einfach nicht ab und bleiben somit "Karteileichen", die bei der jährlichen Fortschreibung der Daten mitgeschleppt werden und erst bei einer Volkszählung auffallen. Sie leben typischerweise in urbanen Ballungszentren wie Berlin, Hamburg, Köln oder München, deren statistische Einwohnerkorrektur durch Volkszählungen deshalb besonders deutlich ausfällt.

Dies alles ist normal und kein Grund zur Aufregung. Allerdings sollte die Politik sich bemühen, die Fehler möglichst klein zu halten - vielleicht auch durch einen dichteren Rythmus von Volkszählungen, was im Zeitalter der Digitalisierung doch eigentlich möglich sein müsste. Denn abgesehen vom Länderfinanzausgleich hängen viele wichtige politische Debatten an Zahlenwerken, die auf Bevölkerungsschätzungen beruhen. Dies gilt vor allem auch für das allseits beklagte Stadt-Land-Gefälle vieler wirtschaftlicher Leistungsindikatoren, das durch die jüngste Korrektur vielleicht doch leicht, aber spürbar abgemildert wird.

Interessant dabei auch die Daten zum Wohnungsmarkt, die durch die Volkszählung ermittelt wurden. Danach kann von einer allgemeinen Wohnungsnot nicht die Rede sein - bei 43,1 Millionen Wohnungen für 82,7 Millionen Einwohner und einer durchschnittlichen Wohnungsgröße von 94,4 Quadratmetern, seit 2011 ein Plus von drei Quadratmetern. Aber es gibt in dieser Hinsicht natürlich ein ausgeprägtes Stadt-Land-Gefälle, das tendenziell zunimmt, weil zwar überall die Wohnungsgröße wächst, aber stärker in ländlichen als in städtischen Regionen. Klar ist von daher: Mangel an Wohnraum ist vor allem ein regionales Strukturproblem - und weniger die Folge einer allgemeinen Wachstumsschwäche.

Fazit: Nichts geht über eine ordentliche Volkszählung zum faktischen Update unserer politischen Kontroversen. Im Nachhinein kann man nur den Kopf darüber schütteln, dass es in den achtziger Jahren einmal von Seiten der politischen Linken eine ernsthafte Diskussion darüber gab, aus Gründen des Datenschutzes auf Volkszählungen ganz zu verzichten. Glücklicherweise waren die Gerichte und die Politik klüger. Wir profitieren davon.