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Eine Kolumne von Karl-Heinz Paqué

Leistungsgerechtigkeit
Arbeit muss sich lohnen

Der deutsche Sozialstaat verletzt die Prinzipien der Leistungsgerechtigkeit. So sieht es die Mehrheit der Menschen – zu Recht. Wir brauchen dringend Reformen.
Bundesagentur für Arbeit
© picture alliance/dpa | Daniel Karmann

“Die demotivierte Gesellschaft”. Diesen Titel wählte die Frankfurter Allgemeine Zeitung in ihrem jüngsten Bericht über eine demoskopische Untersuchung, in der die Befragten unter anderem folgende Frage beantworten sollten: “Ist in Deutschland der, der sich anstrengt und viel arbeitet, allmählich der Dumme?” 53 Prozent beantworteten die Frage mit “Ja”, 50 Prozent im Westen und 65 Prozent im Osten. Differenziert nach sozioökonomischem Status waren es 67 Prozent bei jenen mit niedrigem sowie 55 Prozent bei jenen mit mittlerem und 38 Prozent bei jenen mit hohem Status. Insgesamt 72 Prozent der Befragten waren dabei der Überzeugung, dass das Bürgergeld – früher Hartz IV – eine maßgebliche Rolle spielt. Die meisten Befragten (81 Prozent) sind der Überzeugung, dass es zusammen mit den ergänzenden Leistungen für Miete und Heizung die Empfänger im Umgang mit steigenden Wohnkosten gegenüber Erwerbstätigen privilegiert.

Verheerender Befund

Diese zahlen liefern einen verheerenden Befund. Mag sein, dass die Befragten im Einzelnen gar nicht so genau beurteilen können, wie die Regeln des Sozialstaats im Fall der Arbeitslosigkeit aussehen. Aber es herrscht ein weitverbreitetes Gefühl der Unfairness – nach dem Prinzip: Die arbeitende Mehrheit schuftet, und eine Minderheit lässt es – dank staatlicher Alimentierung – geruhsam angehen, um es vorsichtig zu formulieren. Das ist alarmierend. Es zeigt nämlich, dass die Mehrheit der Menschen sich nicht mehr mit einem absoluten Kernelement des deutschen Sozialstaats, früher “Arbeitslosenfürsorge” genannt, im gesellschaftlichen Konsens identifiziert, obwohl sie – auch das wurde abgefragt – den Sozialstaat beführwortet. Schlimmer noch: Gerade jene mit “niedrigem” sozialen Status, die wahrscheinlich mit Empfängern der staatlichen Hilfe eher in Kontakt kommen als jene mit “hohem” Status, misstrauen dem System.

Dies ist fast eine bittere Ironie der Geschichte: Jener deutsche Sozialstaat, der im späten 19. Jahrhundert eingeführt wurde und lange der beneidete Stolz der Nation war, wird im 21. Jahrhundert von genau jenen Menschen misstrauisch beurteilt, für die und deren Lebensrisiken er eigentlich geschaffen wurde. Das System ist damit in dramatischer Weise ethisch ausgehöhlt. Staatliche Hilfe und Unterstützung wird in den Augen der Mehrheit zum Instrument der Privilegierung.

Wir brauchen Reformen

Die Schlussfolgerung kann nur lauten: Wir brauchen dringend eine Reform des deutschen Wohlfahrtsstaats. Es muss massiv mehr Anreize geben, vorhandene Arbeit anzunehmen, zumal inzwischen überall Arbeitskräfte fehlen. So abgegriffen der Slogan sein mag, er stimmt: “Leistung muss sich lohnen.” Diese Erkenntnis – bei CDU und FDP längst vorhanden – muss sich endlich auch links der politischen Mitte durchsetzen, vor allem bei SPD und Grünen. Dem steht bisher eine linke moralisierende Rhetorik entgegen, die jeden größeren Schritt in diese Richtung als “unsozial” oder gar “rechts” brandmarkt, obwohl auch ein Großteil des eigenen parteipolitischen Wählerpotenzials die Vorstellung der Leistungsgerechtigkeit uneingeschränkt teilt. SPD und Grüne in der Ampelkoalition schieben in der koalitionsinternen Auseinandersetzung allzu gerne den Kampf für “Leistung” allein der FDP zu. Dass dies der FDP bisher demoskopisch kaum geholfen hat, liegt natürlich an einem ganz einfachen Grund: Sie steht mit in der Regierungsverantwortung.

Der SPD und den Grünen nutzt das Ignorieren der Prinzipien der Leistungsgerechtigkeit aber auch nicht: In der gleichen Umfrage, die Allensbach gestern publizierte, stehen die Sozialdemokraten bei 15 Prozent und die Grünen bei 13,5 Prozent – das macht einschließlich der 4 Prozent für die Partei “Die Linke” für die geamte politische Linke gerade mal 32,5 Prozent der Befragten aus. Ein neuer historischer Tiefstand!