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Auslandsakademie
Neue Ideen für ein neues Libanon

LIBANON
© FNF

Nachdem wir am Montag, unter anderem durch einen Besuch beim deutschen Botschafter, einen ersten Überblick über das Land und die innenpolitischen Strukturen erhalten hatten, standen für Tag 2 Gespräche mit verschiedenen Akteuren aus der Politik und Entwicklungszusammenarbeit auf der Agenda. Diese Einblicke reichten von der institutionell-fördernden Seite bis hin zum lokal aktiven und politischen Engagement. Den Anfang machte Sascha Stadtler von der KfW, gefolgt von Michel Moawad von der Oppositionspartei Independence Movement. Der Nachmittag wurde gefüllt von zivilgesellschaftlich engagierten Akteuren. 

Wie sieht die deutsche Entwicklungszusammenarbeit im Libanon aus?

Dieser Frage konnten wir im ersten Vortrag von Sascha Stadtler von der KfW auf den Grund gehen. Die KfW hat im Libanon knapp 60 laufende Projekte in der Entwicklungszusammenarbeit und finanziellen Zusammenarbeit; größter Mittelsgeber der KFW ist das BMZ. Sascha Stadtler, der Verantwortliche für die finanzielle Zusammenarbeit, stellte uns exemplarisch kleinere Spot-Lights seiner Arbeit vor.

Die KFW sieht sich derzeit mit vielfältigen Problemen im Libanon konfrontiert. Dabei sind zum einen die Bedingungen aufgrund der innenpolitischen Strukturen generell herausfordernd. Darüberhinaus trägt die Ernährungskrise, ausgelöst durch den Ukraine-Krieg, sowie der Zustrom von Flüchtlingen aus Syrien dazu bei. Im Libanon hat die KfW drei Kernthemen: Frieden und gesellschaftlicher Zusammenhalt, Ausbildung und nachhaltiges Wachstum für gute Jobs und der Schutz der Lebensgrundlagen. Kürzlich dazu gekommen sind noch die Aspekte soziale Sicherung, Gesundheit und Geschlechtergerechtigkeit. Das initiale Narrativ für die Arbeit: Die Unterstützung des Landes bei der Bewältigung der syrischen Flüchtlingskrise, auch unter der Beachtung von vulnerablen Libanesen. 

Im Unterschied zur Arbeit der KfW in Nachbarstaaten, haben sich in der Arbeit im Libanon einige Besonderheiten ergeben. So wurde das Darlehensgeschäft der KfW eingestellt und ausschließlich auf Zuschussfinanzierung aus dem Bundeshaushalt gesetzt. Dies ergab sich vor allem aus dem Zusammenhang der aktuellen Währungskrise im Land. Der Fokus der Arbeit liegt damit vielmehr auf der direkten Unterstützung von einzelnen, konkreten Projekten, die sich eher auf humanitäre Hilfe als auf Infrastrukturmaßnahmen des Staates konzentrieren. Die verringerte Zusammenarbeit mit staatlichen Projekten resultierte letztlich aus einer Ernüchterung der KfW in Angesicht eher mangelhaften Commitments des Staates bei langfristigen, größeren Projekten. Dennoch ist Deutschland in vielen Projekten im Bildungsbereich oder der Flüchtlingsunterstützung nach wie vor einer der größten Geldgeber der internationalen Gemeinschaft. Die KfW verfügt über eine diverse Partnerstruktur, dazu gehören staatliche Akteure, UN-Organisationen, internationale NGOs und Weltbankfonds. 

Eine grundsätzliche Herausforderung für die Arbeit der KfW im Land ist, dass das initiale Narrativ in Anbetracht der vielfältigen Krisen inzwischen zu kurz greift. Insbesondere der fortschreitende Wechselkursverfall erschwert die Programmumsetzung und die Planbarkeit der Arbeit vor Ort. Ein weiterer Aspekt, der sich in der öffentlichen Arbeit der KfW im Land derzeit ändert, ist die Außenwirkung der Projekte: Die Bekanntheit der KfW im Land ist derzeit eher gering, soll aber idealerweise bei weiterer erfolgreicher Projektdurchführung strategisch ausgebaut werden, um vorhandene Erfolge aus Projekten auch einer breiten Öffentlichkeit sichtbar machen zu können. 

Libanon
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Wie funktioniert Politik im Libanon?

Um einen Einblick zu dieser Frage zu geben, muss man die konfessionelle Zusammensetzung im Land und ihre historische Entwicklung verstehen. Nach den Bürgerkrieg im Libanon stellte sich Stabilität als oberstes Ziel der Politik des Landes heraus. Um die konfessionelle Vielfalt auch in der Politik entsprechend zu berücksichtigen, wurde ein politisches System der gleichen Repräsentation aller Konfessionen errichtet. Obwohl dies zunächst seinen Zweck - der Erhaltung der Stabilität im Land - erfüllte, führte es zugleich zu einem Erstarren des politischen System, welches wichtige Reformen unmöglich machte. Diese Strukturen förderten Korruption, Klientelismus und Misswirtschaft.

Michel Moawad ist der Sohn des 1989 ermordeten Präsidenten René Moawad. Michel Moawad gilt als einer der führenden Persönlichkeiten der politischen Opposition; er ist Gründer und Präsident des 2006 gegründeten Independence Movement. 

Neben dem Einsatz für die Bekämpfung von Korruption und Klientelismus ist Moawad ein Verfechter liberaler Reformen für einen wirtschaftlichen Aufschwung im Libanon. Von der wörtlich "mafia-based economy" möchte er zu einer "free market economy" übergehen und dies mithilfe der Konsolidation der Opposition erreichen. Nach einem erfolgreichen Wahlkampf und der Wiederwahl ins Parlament vergangene Woche, setzt er sich insbesondere für die transparente und konsequente Aufklärung der Umstände der Explosion im Hafen von Beirut 2020 ein, im Zuge dessen er damals sein Amt eigentlich niedergelegt hatte. Sein Mantra: "No accountability without responsibility". Zu seinen Zielen gehört auch, das politische System der "Veto-cracy" zu überwinden, in der verschiedenste Reformen immer wieder durch Veto-Rechte einzelner polnischer Gruppierungen blockiert werden können. Dabei strebt er dynamischere politische Institutionen unter Bewahrung der konfessionelle Diversität in der Landespolitik an, um den Weg zur einem "civil state" zu ermöglichen. Auch wenn die Wahlen in der vergangenen Woche noch keinen strukturellen Wandel des politischen Systems im Libanon ausgelöst habe, gaben vor allem die Stärkung der Opposition - aus Sicht von Moawad und anderen Beobachtern - Anlass zu verhaltenem Optimismus bezüglich wichtiger Veränderungen im Land.

 

Karl Rickmer Schulte studiert im Master Statistik an der LMU und setzte sich in bei verschiedenen Tätigkeiten für Bildung und soziales Unternehmertum ein.