EN

Auslandsakademie
"You have hit the bottom, but you started digging"

Libanon
© FNF

Nach einer Woche voller Input, aufregenden Ausflügen und einer Nacht in den Bergen ist ein Tag, der erst um 9:30 Uhr anfängt, ein echtes Geschenk. Die Universtiy of Saint Joseph (USJ) empfängt uns im klimatisierten Seminarraum mit einem zweiten Frühstück. Dr. Fouad Zmokhol, der seit ein und halb Jahren Dekan der School of Business and Management ist, begrüßt alle Teilnehmenden mit Handschlag. Nach einem kurzen Stimmungsbild zu unserem Wissen über die libanesische Geschichte geht es los. Es folgt der schnellste und gleichzeitig detaillierteste Ritt durch den Downfall der libanesischen Volkswirtschaften den wir bisher bekommen haben.

Er beginnt, wie eigentlich jede Perspektive auf den Libanon, beim Bürgerkrieg. Ein Krieg, der nie wirklich aufgearbeitet wurde und dessen Warlords bis heute die Regierung bilden. Klientelismus ist die Folge, die das Land erlahmt. In den 30 Jahren seit dem formalen Ende des Krieges entstand ein wirtschaftliches System, dass aufbauend auf guten Beziehungen und überlappenden Personalien zwischen der Regierung und der Zentralbank ein geschlossenes System bildet. Trotz eines kontinuierlichen Defizits im Staatshaushalt über 30 Jahre hinweg, ohne ein einziges Jahr mit positiver Bilanz, konnte dieses System die Wirtschaft am Laufen halten. Auch mit Hilfe ausländischer Hilfsgelder, die nie an substantielle Reformen geknüpft waren. Wie wir gestern bei Admiral Mügge erfuhren, kamen in den letzten 10 Jahren allein 2,5 Mrd. Euro davon aus Deutschland.  

Noch vor wenigen Jahren konnten Libanesen durch dieses System, das die Ratings der Banken nach unten zog, mit Zinsen auf ihre Spareinlagen von zunächst fünf bis später 20 Prozent sparen. Auch die Finanzkriese 2008 ließ das libanesische Bankensystem gut aussehen: Da es sich um ein relativ geschlossenes System handelte, konnten Lehman Brothers und Ko. den Banken wenig anhaben. Ein solches System muss natürlicherweise eher früher als später zu seinem Ende kommen. Vom Krieg in Syrien und dem folgenden Liquiditätsabfluss hart getroffen, begann die libanesische Finanzkrise 2012. Dann, in der Revolution 2019 verlor die gesamte libanesische Bevölkerung nach einem Bank-run etwa 87% ihrer Spareinlagen von einem auf den anderen Tag. Alle - außer derjenigen, die ihr Vermögen im Ausland angelegt hatten. Dazu gehörten auch die Mitglieder der Regierung, zu 80% Warlords aus dem Bürgerkrieg. Im Zuge dieses Crashes verlor das Land seine Mittelschicht, Gehälter brachen ein und Lebenshaltungskosten stiegen um ein zwanzig faches. Im Gespräch mit einer Botschafterin erhielt Dr. Zmokhol auf die Frage, ob sie nicht denke, Libanon sei nun absolut am Boden, die Antwort:  

„You have hit the bottom, but you started digging“ 

Das gilt für die Regierung, die nach wie vor nach Auswegen sucht und die Krise bis heute nicht zugibt. Die Lebensrealität vieler Menschen ist stark von den vielen Krisen betroffen und zwingt sie zum Exodus. So verlassen die, die es können, das Land.   

Einer, der in diese „Ground-Zero“ Umgebung zurückkehrte, um das Glück in der Krise zu finden, ist Rudy Bekerejian. 

Bekerejian entdeckte nach langer Zeit in Kanada eine Marktlücke in seinem Heimatland und startete mit einem MVP und Seed Investment von vier Millionen das E-Commerce Unternehmen Ecomz, das ähnlich wie Shopify eine Plattform Lösung für den Onlinehandel anbietet. Die Lücke, die er füllt, ist eng verknüpft mit seinem Verständnis der Region. Ein auf MENA zugeschnittenes Produkt, wobei er häufig auch den Markt und seine Kunden auch Formen muss. Cloud Lösungen würden kulturell bisher eher skeptisch gesehen, da man das Produkt als Kunde nicht selbst besitzt und etwas, das man nicht physisch in den Händen halten kann, wird nicht als wertvoll betrachtet.   

Libanon
© FNF

Im Libanon ein Start-up zu gründen war vor fünf Jahren noch attraktiv, kam doch der Löwenanteil der Venture Capital Firmen in der Region aus dem Libanon. Gut ausgebildete Talente gab es zu der hälfte der Löhne, die man im Silicon Valley zahlte. Doch auch für Bekerejian hat sich alles verändert seit der Revolution, Corona und der Hafenexplosion. Ein Start-up durch multiple Krisen zu steuern ist nicht einfach, wenn es im Homeoffice weder sichere Stromversorgung noch stabiles Internet gibt, Sprit rationiert ist, wie im Sommer 2021, und die Währung täglich an Wert verliert.  

Bekerejians Unternehmen sah innerhalb eines Jahres einen Wechsel von hundert Prozent in der Belegschaft, manche Position wurde sogar dreimal neu besetzt. Das ist das Tempo, in dem die Menschen das Land verließen und verlassen. Momentan sitzt Ecomz im Beirut Digital District, wo es eine garantierte Stromversorgung und eines der schnellsten Internetverbindungen des Landes gibt. Neben dieser Umgebung und den starken Partnerschaften mit Facebook, Paypal und USAID ist Ecomz eigentlich gut positionier. Wären da nicht die Krisen.  

Während seines Vortrags wirkt Bekerejian positiv, er strahlt die Resilienz aus, die Dr. Zmokhol zuvor an den libanesischen Entrepreneurs so gelobt hat. Eine Tugend, die die Krisen erfordern. Nach dem Vortrag allerdings, unter vier Augen gefragt nach seinen Plänen über die Zukunft des Unternehmens, ist die Stimmung anders. Sollte ein Exit möglich sein, würde er Ecomz sofort verkaufen. Um dann, ganz Entrepreneur, mit neuen Ideen wieder durchstarten zu können. Nicht aber im Libanon, sondern in Kanada. 

 

David ist seit 2017 in der Stiftung und studiert seinen MSc in Agrictural Economics an der University of Copenhagen.