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Polen, Litauen
Das Deutschlandbild in Polen und Litauen im Schatten des Krieges

Deutscher Bundestag
© picture alliance / Fotostand | Fotostand / Reuhl

Welche politischen Schritte in Deutschland zu dem Krieg an der Ukraine unternommen werden sollten, wurde oft kontrovers diskutiert. Zuerst hatte Deutschland unter Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) einen eher milden Kurs verfolgt. Das hat zu einer verminderten Popularität des Kanzlers geführt, da die meisten Deutschen durchaus bereit waren, die Gaslieferungen von Russland zu stoppen und auch die Lieferung von schweren Waffen in die Ukraine billigten. Auch wenn die Bundesregierung später letztendlich Waffenlieferungen genehmigte, wurde Deutschland heftig von der ukrainischen Seite kritisiert. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj erklärte, dass Deutschland eine klarere Positionierung in dem Konflikt beziehen müsse, anstatt nur das zu versuchen, was "am wenigsten weh tut in den Beziehungen zu Russland und der Ukraine ".

Angesichts solcher Kritik muss man sich fragen, wie die Einstellung anderer Ländern zu Deutschland im Kontext des Krieges aussieht. Wir haben zwei Länder aus dem Region Europa ausgewählt: Polen und Litauen. Die Beiträge wurden von Blažej Lenkowski von Fundacja Liberté (PL) und Martynas Gruodis von Lithuanian Free Market Institute (Litauen) geschrieben.

Das Deutschlandbild in Polen

In polnischen Medien ist das Bild Deutschlands hauptsächlich von der Zugehörigkeit zu einem politischen und ideologischen Meinungslager abhängig. Das rechte Lager, das mit der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) verbunden ist, nutzt und weckt den historischen Geist antideutscher Aversionen in der polnischen Gesellschaft, um seine Anhänger zu mobilisieren und ein künstliches Feindbild aufzubauen. Auf der anderen Seite steht das Lager der Opposition, das Deutschland – insbesondere in der Ära von Angela Merkel – als wichtigen Wirtschaftspartner, als wirtschaftliches und rechtsstaatliches Vorbild und als eine der Hauptfiguren der Europäischen Union wahrnahm. Diese Aufteilung ist zwar eine Vereinfachung, ist aber von großer Relevanz, was die politische Landkarte des Landes angeht. Im Zusammenhang mit dem russischen Krieg in der Ukraine ist jedoch das Deutschlandbild im Jahr 2022 in beiden Lagern schlechter geworden.

Das Bild von Deutschland als wichtigster Akteur der Europäischen Union war in Polen sehr stark verbreitet. Beide Seiten des politischen Spektrums sahen Deutschland als europäische Führungsmacht. Die Opposition war zum größten Teil bereit, diese Führung und die gegenseitige Zusammenarbeit zu unterstützen. PiS wiederumstellte viele Aspekte dieser Führung in Frage, aber gleichzeitig hat sie – im Gegensatz zur Opposition – Berlin mehr Macht zugesprochen.Bei der Betrachtung der politischen Landschaft sollte man die politische Propaganda von der tatsächlichen Situationswahrnehmung der Politiker trennen. Auf der einen Seite gestalten die PiS-freundliche Medien obsessiv ein Bild von Donald Tusk, dem Oppositionsführer, den sie als eine Marionette Deutschlands ansehen. Auch wenn das PiS-Camp zynisch die antideutsche Karte bei ihren Wählern spielte, waren sich die PiS Politiker gleichzeitig bewusst, dass die extrem starken, strategischen Wirtschaftsbeziehungen zwischen Polen und Deutschland eine Sicherheit dafür darstellten, dass Berlin Warschau nicht den Rücken zuwenden werde – insbesondere nach dem Brexit-Debakel. Sie wissen, wie wichtig die wirtschaftlichen Beziehungen für beide Seiten sind.

Bei der Analyse der Situation im Jahr 2022 sollte jedoch betont werden, dass eher die aktuellen Ereignisse, als die Geschichte, die wirklich wichtige Rolle spielen. Seit Februar 2022 und der militärischen Aggression Russlands in der Ukraine wird die Politik der deutschen Regierung auch schon in liberalen, der Opposition nahestehenden Medien wie Gazeta Wyborcza, TVN und vielen anderen heftig kritisiert.

Energiepolitik

Vor einigen Jahren wurde der Bau von Nord Stream II von Radek Sikorski, dem ehemaligen Außenminister der Partei Bürgerplattform (Platforma Obywatelska), als neuer Molotow-Ribbentrop-Pakt bezeichnet. Die Bewertung dieses Projekts von der rechten Seite des politischen Spektrums war sogar noch härter. Im Laufe der Jahre wurde die Kritik dieses Projekts, vor allem aufgrund der von Angela Merkel aufgebauten Autorität, weniger hörbar. Nach der Kriegserklärung Russlands an die Ukraine und nach dem Scheitern der Politik, die Russland von den Einnahmen aus dem Westen abhängig machen sollte, wurde das gesamte Modell der deutschen Energiewende in fast allen polnischen Medien heftig kritisiert. Die zunehmende Energieabhängigkeit von Russland wird jetzt als ein strategischer Fehler der EU-Führung unter Deutschland angesehen. In fast allen polnischen Medien wird auch die deutsche Entscheidung zur Schließung von Kernkraftwerken scharf kritisiert. Während einer Energiekrise, in der die Erhöhung der energetischen Unabhängigkeit von Russland notwendig ist, und die Suche nach sauberen Technologien, die nicht zu weiteren CO2-Emissionen und zur Klimaerwärmung beitragen, gefordert wird, scheint diese Entscheidung völlig unerklärlich und unverantwortlich zu sein.

Dieses Thema ist prägend auch für die Wahrnehmung Deutschlands und seiner ganzen Politik. In Polen wurde Deutschland immer als ein zutiefst rationales Land wahrgenommen, das seine Entscheidungen nach realistischer Abwägung von Kosten und Nutzen richtet. Trotz des gegenteiligen Anscheins haben die Polen immer an das deutsche Regierungs- und Wirtschaftsmodell geglaubt und es bewundert. Der Zusammenbruch der deutschen Energiepolitik und die nur schwierig verständlichen Entscheidungen zur Kernenergie in Deutschland (grundsätzlich alle politischen Kräfte in Polen erklären sich für den Ausbau der Kernkraftwerke in Polen) untergraben dieses Image.

Sicherheitspolitik

Die Entscheidung, die deutsche Verteidigungspolitik grundsätzlich zu ändern und die Verteidigungsausgaben zu erhöhen, die in Folge von Putins Krieges in der Ukraine getroffen wurden, wurden in den polnischen Medien überwiegend sehr positiv aufgenommen. Polen, das sich durch die russische Militäraggression zutiefst bedroht fühlt, möchte Berlin als seinen militärisch starken Alliierten bei seiner Seite haben, der bereit ist, seine Verbündeten zu verteidigen, was von Polen als das wirksamste Mittel zur Abschreckung Moskaus wahrgenommen wird.

Leider wurden die nachfolgenden Schritte des deutschen Bundeskanzlers Olaf Scholz in der Frage der militärischen Unterstützung für die Ukraine generell so gedeutet, dass Scholz je einen Schritt vor und zwei Schritte zurück gemacht hätte. In Polen hat der Bundeskanzler das Image einer Person, die die Militärhilfe für die Ukraine aussetzt, nach Ausreden sucht und zögert, anstatt die natürliche Führungsrolle zu übernehmen, die Deutschland in der Europäischen Union immer wieder gespielt hat. Das Hauptnarrativ der polnischen Medien ist das Versagen der deutschen Außenpolitik.

Mangel an Führung

Während der Amtszeit von der Bundeskanzlerin Angela Merkel wurde Berlin in den polnischen Medien fast ausnahmslos als europäischer Leader und als einer der wichtigsten Akteure in Europa bezeichnet. Auch wenn Merkel manchmal gelobt und manchmal kritisiert wurde, im Allgemeinen hat niemand ihre Rolle in Frage gestellt. Bundeskanzler Olaf Scholz hingegen wird als ein Politiker ohne Vision beschrieben, der nicht fähig ist, deutliche Führung zu zeigen oder eine klare Strategie für den Umgang mit dem größten militärischen Konflikt in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg aufzuzeigen.

In den Augen polnischer Journalisten und Experten hat die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ein deutlich besseres Image. Viele Experten betonen, dass die Politiker der FDP und der Grünen sowie auch Oppositionsführer Friedrich Merz eine andere Vorgehensweise zu dem Konflikt haben. Das ändert jedoch nichts an dem deutschen Gesamtbild angesichts des Konflikts und am öffentlichen Meinungsbild zu Deutschland, das sowohl in der regierungsfreundlichen als auch in den oppositionellen Medien mit unterschiedlicher Intensität und Argumentation kritisch ausfällt.

Daher ist eine klare und entschlossene Strategie Berlins gegenüber dem Krieg in der Ukraine notwendig, um den derzeitigen negativen Trends und Narrativen in den polnischen Medien entgegenzuwirken, aber auch um die Führungsrolle Deutschlands in der Europäischen Union wiederherzustellen. Da die Ukraine ein unabhängiger Staat und freie Gesellschaft ist, sollte sie das Recht haben, über ihr Schicksal und ihre Zukunft vollständig und unabhängig zu entscheiden. Die Ukraine sollte zur Familien der EU gehören. Freie und demokratische Staaten sind verpflichtet, den Ukrainern dabei zu helfen, sich gegen die grausame russische Militäraggression zu verteidigen. Gerade in schwierigen Zeiten wird ja Führungskraft geschmiedet. Jetzt ist die Zeit gekommen, in der Deutschland das freie und demokratische Mittel- und Osteuropa retten kann, indem es seine politischen Grundannahmen neu definiert. Illusionen über Russland unter Putin müssen dabei beiseitegelegt werden.

Das Deutschlandbild in Litauen

Die öffentliche Meinung über Deutschland ist in Litauen überwiegend positiv. Deutschland gilt nach wie vor als zuverlässiger internationaler Partner und Grundstein der europäischen Stabilität. Besonders positiv werden die gute Finanzverwaltung, die Steuerdisziplin und die innere Stabilität gesehen. Die litauischen Medien stellen Deutschland zumeist als ein Land dar, das bei der Bewältigung der wichtigsten Herausforderungen, mit denen Europa in den letzten Jahrzehnten konfrontiert war, eine Führungsrolle übernommen hat. Obwohl bestimmte Maßnahmen auch auf Kritik stießen (so etwa im Zusammenhang mit der Migrationskrise 2015 und der globalen Finanzkrise), so unterstützte die litauische öffentliche Meinung am Ende meist die von Deutschland initiierte Politik.

Politische Entscheidungen, die litauische Interessen direkt betreffen, erwecken in der Öffentlichkeit allerdings einen deutlich stärkeren Widerspruch. Das betrifft vor allem die deutsche Energiepolitik.

Wirtschaft und Energieversorgung

Allgemein betrachtet man Deutschland als ein gutes Beispiel, was Wirtschaftspolitik und Haushaltsdisziplin betrifft. Die Energiepolitik als Teil des wirtschaftlichen Gesamtbildes von Deutschland wird jedoch völlig anders eingeschätzt - sowohl in der Vergangenheit als auch heute.

Die Eröffnung von Nord Stream 1 im Jahr 2011 stieß in Litauen auf noch vorsichtig formulierte Ablehnung. In der litauischen Öffentlichkeit wurde damals argumentiert, dass dieses Projekt zu einem politischen Instrument Russlands zur Erhöhung der Energiepreise werden könnte. Die baltischen Staaten und Polen argumentierten, dass angesichts der steigenden Nachfrage nach Gas in Europa und Russlands Lust, diesen Markt zu beherrschen Nord Stream 1 als  Druckmittel gegenüber Deutschland eingesetzt werden kann.

Während die litauische Öffentlichkeit das Nord Stream 1 eher milde kritisierte und dabei nur Worte wie "möglicherweise" oder „könnte“ benutzte, wurde die Nord Stream 2 von Beginn an viel heftiger attackiert. Wichtige litauische Entscheidungsträger äußerten sich sehr deutlich: Die damalige litauische Präsidentin Dalia Grybauskaite beschrieb Nord Stream 2 als ein geopolitisch motiviertes Projekt, dessen Ziel nicht sei, Gewinn zu machen, sondern der Ukraine Schaden zuzufügen.

In den litauischen Medien wurde ausführlich darüber berichtet, dass Deutschland und andere westliche Länder als Reaktion auf die aggressive Politik Russlands im Jahr 2022 ihre wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland grundlegend neu bewerten. Einer der wichtigsten Schritte Deutschlands, der von der litauischen Öffentlichkeit positiv aufgenommen wurde, war die Entscheidung, Nord Stream 2 zu Beginn der russischen Invasion zu stoppen, unmittelbar nachdem Putin zwei separatistische Regionen in der Ukraine anerkannt hatte. Zwei litauische Minister nannten diese einseitige Entscheidung eine „starke Antwort“ und „eine wichtige Botschaft an die ganze Region“.

Von diesem Zeitpunkt an wurde die Kritik an der als zu zögerlich und entgegenkommend empfundenen deutschen Politik gegenüber Russland in den litauischen Medien durch mehr Unterstützung und Verständnis für Deutschlands Energieprobleme ersetzt.

Deutschlands Lage wird in litauischen Medien überwiegend dargestellt als:

a) eine größtenteils selbstverschuldete Abhängigkeit von der russischen Gasversorgung (57 % des deutschen Bedarfs werden durch russisches Gas gedeckt) bei gleichzeitiger Reduzierung der Energieproduktion durch die Schließung von Kernkraftwerken.

b) ein weiterhin positives Beispielhaft dafür, in Sachen Ukraine standhaft zu bleiben, auch wenn dies bedeutet, dass die deutsche Bevölkerung leiden wird und im Winter 2022 einen Gasmangel spüren könnte.

Den grundlegenden Wandel der deutschen Politik gegenüber Russland sieht die Mehrheit der litauischen Öffentlichkeit als eine enorm bedeutsame Entwicklung in Deutschland. Seit die meisten westlichen Verbündeten anerkannt haben, dass Energie zu einem geopolitischen Instrument geworden ist, das dem Westen schaden könnte, ist die Grundstimmung der Litauer positiver geworden. Die Reaktion: größere Energieunabhängigkeit, geringerer Verbrauch und verstärkte Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich.

Sicherheit

Deutschland wird allgemein als ein verlässlicher und wichtiger Verbündeter im Sicherheitsbereich angesehen. Deutschland, das seit 2017 die NATO-Mission in Litauen leitet, wird diesbezüglich in den Medien kaum negativ dargestellt – ganz im Gegenteil. Weniger als zwei Wochen vor der Invasion in der Ukraine verlegte Deutschland 350 zusätzliche Soldaten nach Litauen. Die litauischen Medien sahen das als ein Zeichen für eine sofortige Reaktion im Bedarfsfall.

Über den Besuch des deutschen Bundeskanzlers in Litauen wurde in den Medien beispiellos positiv berichtet, insbesondere nachdem bekannt gegeben wurde, dass das derzeitige NATO-Bataillon auf eine ganze Brigade aufgestockt wird. Der allgemeine Enthusiasmus über die angestiegene Militärpräsenz in Litauen wurde jedoch inzwischen gebremst: die Brigade wird zwar tatsächlich aufgestellt werden und die baltischen Staaten als Einsatzgebiet haben, aber vorerst in Deutschland verbleiben. Die litauischen Medien haben über dieses Thema ausführlich berichtet. Obwohl die Gründe für die aufgeschobene Zuordnung der Brigade vornehmlich technischer Natur waren (wie z. B. ungenügende litauische Infrastruktur), wurde die öffentliche Meinung nach diesen Nachrichten recht negativ.

Trotz all dem vertraut Litauen in die Sicherheit, die von Deutschland und den in Litauen stationierten Truppen gewährleistet wird. Die technische Qualität der deutschen Militärausrüstung sowie das professionelle Personal werden in Litauen mit Vertrauen und Respekt betrachtet.

Rechtsstaatlichkeit

Deutschland wird in Litauen als weitgehend faires und gerechtes Land gesehen. Während andere Bereiche Deutschlands in Litauen gelegentlich kritisiert werden, gehört die Rechtsstaatlichkeit nicht dazu. Was das Bild der deutschen Justiz in litauischen Medien angeht, gibt es da fast keine skandalösen Gerichtsentscheidungen. Angesichts der üblichen Lust der Medien nach Kontroversen, sind die fehlenden Skandale auch ein guter Indikator für die öffentliche Meinung, wie die Rechtsstaatlichkeit in Deutschland bewertet werden sollte. Diese positive Bewertung der Rechtsstaatlichkeit in Deutschland ist recht stabil und hat sich auch nach den Wirrnissen des Jahres 2022 nicht wesentlich verändert.

Generell sind Wirtschaft, Rechtsstaatlichkeit und Sicherheit Bereiche, in denen die Litauer Deutschland als Vorbild sehen. Auf der anderen Seite werden Entscheidungen über die Energieabhängigkeit von Russland und plötzliche Änderungen von politischen Aussagen in Litauen eher negativ wahrgenommen. Nichtsdestotrotz wird die Veränderung der deutschen Stellung gegenüber Russland in Litauen sehr optimistisch bewertet.

Über die Authoren

Fundacja Liberté! ist ein Think tank, der im 2007 in Polen gegründet wurde. Es verteidigt Werte wie offene Gesellschaft, freie Marktwirtschaft und Liberalismus. Es ist ein Mitglied der Netzwerke 4liberty.eu, Atlas Network und European Liberal Forum.

Lithuanian Free Market Institute (LFMI) ist ein unabhängiger non-profit Think-Tank, der 1990 gegründet wurde. Der Think-Tank fördert die Ideen wie individuelle Freiheit und Selbstverantwortung, freier Markt und begrenzter Regierung. Es macht politische Analysen, Lobbyarbeit und Bildungsaktivitäten. Unter den Fachgebieten gehören Eigentumsrechte, Steuern und öffentliche Finanzen, Regulation der freien Marktwirtschaft, Wettbewerbspolitik, Energiepolitik, Arbeitsmärkte, soziale Sicherheit und Gesundheitswesen. LFMI ist ein Mitglied des Netzwerkes 4liberty.eu.