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Eine Kolumne von Karl-Heinz Paqué

Spitzensteuersatz
Rarität Reichtum

Die CDU schlägt vor, den Mittelstand zu Lasten der Wohlhabenden kräftig zu entlasten. Das klappt nicht. Es gibt in Deutschland zu wenige davon.
Finanzamt
© picture alliance / Shotshop | Thurana-Design

Über Gerechtigkeit lässt sich endlos streiten. Vor allem, wenn es um die Verteilung und Besteuerung des Einkommens geht. Ist es gerecht, dass in Deutschland der Spitzensatz der Einkommensteuer in der Größenordnung von 45 Prozent liegt? Oder sollte er bei 60 oder gar 80 Prozent liegen? Oder doch nur bei 40 oder 30 Prozent? Objektive Kriterien, dies zu bestimmen, gibt es nicht. Es ist eine politische Frage, die demokratisch entschieden werden muss.

Politisch „Linke“ und ihre Wähler argumentieren mit Verve für einen hohen Satz - und begründen dies mit dem dringend nötigen Beitrag der „Reichen“ zum staatlich finanzierten Gemeinwohl sowie der Tatsache, dass die Reichen so viel Geld für ihren privaten Konsum gar nicht brauchen. Politisch Liberale (und bisher auch Konservative), halten dagegen und plädieren für niedrigere Sätze, weil sie es als unfair ansehen, dass der Staat zu viel von dem Einkommen konfisziert, das der oder die Einzelne selbst durch eigene Arbeitsleistung, unternehmerisches Geschick, kluge Investitionen oder auch die historischen Leistungen von Eltern oder gar Großeltern erzielt. Deshalb ist klar: Es liegt in der unvermeidlichen Logik philosophischer und politischer Weltanschauungen wie den Sozialismus und den Liberalismus, dass sich die Urteile über die „optimale“ Steuerprogression unterscheiden - das war so, seit es die Einkommensteuer gibt, und wird wohl auch immer so bleiben.

Die politische Realität liegt dann in irgendeinem Kompromiss. In Deutschland eben seit Jahrzehnten bei der erwähnten „Benchmark“ von 45 Prozent. Dabei spielen als Bremse auch wirtschaftliche und gesellschaftliche Veränderungen eine wichtige Rolle, insbesondere die Möglichkeit wohlhabender Steuerpflichtiger, durch internationalen Wechsel des Wohnsitzes - und/oder bei Unternehmern durch Betriebsverlagerung - der hohen Besteuerung auszuweichen. In Deutschland ist dabei vor allem die Abwanderung in die nahe gelegenen Schweiz von Bedeutung, denn die hat mit ihrer regionalisierten Einkommensteuer im Durchschnitt weit niedrigere Spitzensteuersätze und ist als mehrheitlich deutschsprachige Nation Deutschland auch kulturell sehr nahe. Tatsächlich hat die Mobilität der Menschen und des Kapitals im Zuge der Globalisierung seit den siebziger Jahren stark zugenommen, was ein Motiv dafür war, den Spitzensteuersatz hierzulande zu senken - von früher einmal 53 Prozent auf die genannten 45 Prozent.

Kein Wunder also, dass die harte Realität des eher zunehmenden Standortwettbewerbs einem Drehen an der Schraube des Spitzensteuersatzes Grenzen setzt. Hinzu kommt die Sorge um das Wirtschaftswachstum, denn hohe Einkommensteuern wirken bei Personengesellschaften wie hohe Gewinnsteuern bei Kapitalgesellschaften und bremsen die unternehmerische Innovations- und Investitionsbereitschaft. Es kommt deshalb doch etwas überraschend, wenn neuerdings die CDU plant, eine Entlastung des Mittelstands allein durch zusätzliche Besteuerung der „Reichen“ möglich zu machen. Denn von einer Entspannung des internationalen Wettbewerbs um Kapital und Menschen kann offensichtlich nicht die Rede sein.

Noch mehr verblüfft allerdings die rein quantitative Vorstellung, man könne eine substanzielle Entlastung des Mittelstands durch zusätzliche Besteuerung von Reichen vollständig finanzieren, ohne die Kreditaufnahme oder die Steuern an anderer Stelle zu erhöhen. Dies verkennt vollkommen, dass es hierzulande nur etwa 91.000 Steuerpflichtige mit einem jährlichen Einkommen über 500.000 Euro gibt, lediglich 26.000 davon mit einem Einkommen über einer Million Euro. Dies sind gerade mal 0,3 bzw. 0,1 Prozent aller Steuerpflichtigen. Dem steht im Mittelstand - egal wie genau man ihn definiert - eine riesige Zahl von Steuerpflichtigen entgegen - allein zwischen 50.000 und 125.000 Jahreseinkommen sind es 9,3 Millionen (!), genau 22 Prozent aller Steuerpflichtigen. Ihnen eine substanzielle Entlastung allein durch zusätzliche Belastung der wenigen Reichen zu versprechen, geht völlig an der Realität vorbei.

Dies sieht auch Bundesfinanzminister Christian Lindner so. Sein Ministerium hat mit geeigneten Simulationsmodellen berechnet, dass dies nur dann vorstellbar wäre, wenn man schon ab 80.000 Euro den Grenzsteuersatz auf eine Größenordnung von 57 (!) Prozent hochschrauben würde. Von einer substanziellen Entlastung der Mittelschicht kann also eigentlich gar keine Rede sein, da zusätzliche Anstrengungen zur Einkommenserzielung massiv bestraft würden, und zwar gerade in der Mittelschicht, die eigentlich entlastet werden soll. Der simple Grund ist, dass die CDU-Steuerstrategen wohl die enorme Disproportion zwischen den „raren“ Reichen und der „riesigen“ Mittelschicht völlig verkannt haben. Die ist aber unverrückbare Realität.

Fazit: Das CDU-Steuerkonzept geht an der Wirklichkeit vorbei. Wie auch immer man zu Fragen der Gerechtigkeit des Steuersystems steht: Ein aufkommensneutraler Weg zur Entlastung der Mittelschicht durch Belastung der Reichen existiert nicht. Jedenfalls nicht in Deutschland. Dafür gibt es - anders als in den USA - zu wenige Reiche und erst recht zu wenige „Superreiche“.

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