SPITZENTECHNOLOGIE
Wird Deutschland wirtschaftlich wie Japan?
In dieser Woche publizierte das Handelsblatt einen bemerkenswerten Befund: Deutschland ist im internationalen Vergleich als Exporteur von Hightech-Produkten drastisch zurückfallen. Sein Weltmarktanteil lag 1990 noch bei 10,8 Prozent, 2020, also 30 Jahre später, liegt er bei 5,6 Prozent. Der wichtigste Grund dafür ist natürlich der Aufstieg Chinas – vom technologischen Niemandsland zum neuen High-Tech-Giganten, der statistisch zu Lasten der „alten“ Tech-Giganten USA, Japan und Deutschland ging. Auf gutem Weg zur technologischen Supermacht, dem erklärten politischen Ziel seiner autokratischen Führung, stellte China 2020 fast ein Viertel der Hightech-Exporte der Welt – 1990 waren es kaum messbare 1,1 Prozent.
Wenn ein Riesenreich wächst, müssen die anderen eben – relativ – schrumpfen. Das klingt wie eine Binsenweisheit. Die Realität ist allerdings komplexer. Vor allem der parallele relative Bedeutungsverlust der beiden früher besonders erfolgreichen „klassischen“ Exportländer Japan und Deutschland springt ins Auge. Beide Länder erlebten in der Nachkriegszeit eine Art Wirtschaftswunder mit High-Quality-Engineering-Produkten – die Deutschen in den fünfziger und frühen sechziger Jahren, die Japaner danach bis in die Achtziger. Sie wurden zu klassischen Industriegiganten – auf dem Weg zur kleinen Gruppe von Nationen mit der allerhöchsten Pro-Kopf-Wertschöpfung und Einkommen.
Interessant ist, dass Japans Dynamik schon in den neunziger Jahren drastisch nachließ und das Land trotz massiver monetärer und fiskalischer Nothilfen in eine langfristige Stagnation verfiel – offenbar parallel zum relativen Niedergang seiner Innovationskraft. In Deutschland sah dies lange Zeit besser aus, wenn man auf die gesamtwirtschaftlichen Wachstumszahlen blickte. Die Hightech-Export-Statistiken zeigen jetzt allerdings, dass auch hierzulande längst die Stagnation grassierte – jedenfalls in der Innovationskraft. Ein lauter Warnschuss. Und schaut man auf die demografische Entwicklung, die Deutschland bevorsteht – nichts als Alterung und ggf. Schrumpfung der Bevölkerung, ist nicht damit zu rechnen, dass sich dies bessert. Wie will unsere Nation allein die gewaltigen Herausforderungen der Klimaziele bewältigen, wenn seine Innovationskraft erlahmt?
Die Politik muss handeln, und zwar mit einer offensiven Rezeptur. Der Koalitionsvertrag der Ampel enthält eine Fülle von einzelnen Vorschlägen, die in die richtige Richtung gehen – auch mit Blick auf die technologische Unterfütterung der „Mission“ einer Klimawende in Industrie, Energie und Mobilität. Wichtig ist allerdings, dass man die fundamentalen tieferen Ursachen der Innovationsschwäche im Auge behält und positiv gegensteuert. Drei Punkte der Rezeptur sind dabei absolut zentral:
- Innovationskraft braucht viele kluge Köpfe. Die Anzahl der Menschen, die sich arbeitsteilig an der Suche nach neuem technischem Wissen beteiligen, muss kräftig zunehmen. Dafür gibt es eine Vielzahl komplementärer Wege: ein Einwanderungsgesetz, das diesen Namen verdient und begabte junge Menschen nach Deutschland zieht, selbst wenn sie noch keine feste Jobzusage haben; ein Programm zur Motivation junger Menschen, an den Hochschulen die formal anspruchsvollen MINT-Fächer zu wählen oder für eine Qualifikation in technischen Berufen zu optieren; ein Programm, um die Erwerbsbeteiligung von Frauen zu erhöhen und alles zu unternehmen, um diese für technische Studiengänge und Berufe zu begeistern, die ja nichts mehr zu tun haben mit der traditionellen Männerwelt von Ingenieuren und Handwerkern; schließlich die Verbesserung der technischen Ausbildung auch in jenen Berufen – z. B. in Design und Kunsthandwerk, die eine ganz eigene Innovationskraft mit sich bringen.
- Innovationskraft braucht sehr gute Rahmenbedingungen. Die Anzahl der Unternehmen, die im Bereich der Hochtechnologie neu gegründet werden, muss drastisch zunehmen. Deutschland hat eine große Zahl lang etablierter Familienunternehmen mit stolzer Tradition, die sich über Generationen im Weltmarkt erfolgreich und hochinnovativ durchgesetzt haben. Aber es hat zu wenige junge Unternehmen, die im Umfeld der Hochschulen entstehen, wenn der Nährboden fruchtbar ist. Dazu müssen die Bedingungen in allen Dimensionen des Umfelds stimmen: leistungsfähige Hochschul- und Universitätslandschaft, enge Verzahnung von öffentlicher Grundlagen- und privater Produktforschung, minimale Bürokratie und Regulierung, investitionsfreundliche Besteuerung, wohlwollende landes- und kommunalpolitische Begleitung vor Ort. Und wenn dann noch klug verwaltete Förderprogramme zur Verfügung stehen, ist dies umso besser, aber keineswegs der Kern der Sache.
- Innovationskraft braucht leistungsfähige Infrastrukturen. Früher galt dies vor allem für die Verkehrssysteme, und Deutschland war in der großen Zeit der klassischen Industrialisierung eine Nation, die in dieser Hinsicht im internationalen Vergleich sehr gut mithalten konnte. Was im 19. Jahrhundert an Eisenbahn- und im 20. Jahrhundert an Straßennetz ausgebaut wurde, konnte sich sehen lassen. Und es half, den Transport von Waren maßgeblich zu erleichtern – im Binnenland und grenzüberschreitend, und zwar für alle Güter, Hightech und „Lowtech“. Heute zählen vor allem die Kommunikationsnetze und die umfassende Digitalisierung des ganzen Landes, um im Zeitalter der informationsbasierten Industrie und innovativer Dienstleistungen über große Distanzen konkurrenzfähig zu sein. Hier hat Deutschland geradezu dramatische Rückstände, die dringend beseitigt werden müssen – durch staatliche und private Investitionen, und zwar in städtischen Ballungsräumen genauso wie auf dem Land.
Fazit: Der Rückfall Deutschlands in der Statistik der Hightech-Exportnationen muss bitter ernst genommen werden. Zu lange hat sich unsere Nation selbstzufrieden auf wettbewerblichen Vorteilen ausgeruht, die in die Jahre gekommen sind. Aus dem „klassischen“ Industrieland ist ein „ältliches“ Industrieland geworden. Das muss sich ändern. Nur so sind auf Dauer alle großen gesellschaftlichen Ziele zu erreichen: Wohlstand, Lebensqualität und Klimaschutz.