Steuer
Knaller oder Reförmchen?
Jedenfalls kommen sie zur richtigen Zeit, die Steuerpläne des Bundesfinanzministers. Denn die Mahnungen und Schlagworte unter den Wirtschaftskennern der Nation sind nicht zu überhören: Deutschland droht die De-Industrialisierung, Großkonzerne und der Mittelstand verlagern Standorte in die USA, Investitionen und Innovationen sind unzureichend, die Bürokratie belastet, die Unternehmenssteuern sind zu hoch.
Genau deshalb hat Christian Lindner gehandelt und ein neues Steuerpaket vorgelegt. Es sieht in rund 50 Einzelmaßnahmen unter anderem einen größeren Spielraum für Verlustvorträge, mehr Förderung von Forschung und Entwicklung sowie Prämien für Investitionen in Energieeffizienz und Klimaschutz vor. Gesamtes Entlastungsvolumen: etwa sechs Milliarden Euro. Ein Teil der Qualitätspresse jubelt - die FAZ sprach von "Lindners Knaller" -, ein anderer Teil stöhnt: Das HANDELSBLATT spottet über "Lindners Reförmchen".
Wer hat Recht? Beide! Der FAZ ist zuzustimmen, dass hier tatsächlich zentrale Stellschrauben des Standortwettbewerbs bedient werden, und zwar mit ordnungspolitischem Verstand und klugem Blick. Das bestätigen die fachkundigen Stimmen aus Unternehmen und Verbänden sowie Steuerberater und Wissenschaftler. Alle zentralen Maßnahmen des Pakets gehen in die richtige Richtung und entsprechen zum Teil langjährigen Forderungen von Kennern der Materie, die sich um den Standort Deutschland sorgen.
Andererseits kann niemand behaupten, eine Entlastung von gerade mal 6 Milliarden Euro liefere den revolutionären "Jumpstart", um die deutsche Wirtschaft im globalen Wettbewerb um Investitionen und Innovationen wieder nach vorne zu schießen. Dies gilt vor allem in der transatlantischen Konkurrenz zu den USA, die über einen ungeheuer leistungsfähigen Risikokapitalmarkt verfügen und inzwischen eine massive technologiepolitische Offensive betreiben, zum Teil mit Instrumenten des blanken Protektionismus.
Gleichwohl: Das Paket von Lindner ist wenigstens ein cleverer Anfang. Mehr muss folgen, sobald die Finanzlage zusätzliche Spielräume erlaubt, die natürlich auch durch Verzicht auf konsumtive Staatsausgaben freigeschaufelt werden müssen. Die Haushalts- und Finanzpolitik der Ampelkoalition in der zweiten Hälfte der Legislatur wird von diesem Kampf geprägt sein. Es geht dabei ganz grundsätzlich um zentrale politische Prioritäten: offensive Steuer- und Standortpolitik versus sozialpolitische Sonderprojekte, die nur weitere Belastungen schaffen.
Einen Vorgeschmack dieser Diskussion lieferte jüngst die SPD mit ihrem Vorschlag, das Ehegattensplitting abzuschaffen, was im Ergebnis auf eine Steuererhöhung für viele verheiratete Paare hinausliefe. Schlimmer noch: Es würde dem Leistungsfähigkeitsprinzip im Steuerrecht Hohn sprechen, wenn künftig eheliche Versorgungsgemeinschaften - je nach zufälliger Verteilung der Einkünfte zwischen den Partnern - im Ergebnis unterschiedlich besteuert würden. Ob ein Bundesverfassungsgericht dies mitmachen würde, ist ohnehin fraglich. Eher schon sollte man das Splitting auf alle Formen der Versorgungsgemeinschaften ausweiten, etwa auch auf gleichgeschlechtliche. Dies wäre fair und würde die Belastung senken, nicht erhöhen.
Wie auch immer: Die Diskussion über das Splitting lenkt nur ab. Man ist versucht, der Politik zuzurufen: Kümmert Euch endlich ernsthaft um die Qualität des Standorts Deutschland, denn ohne ein nachhaltiges Wachstum der Wertschöpfung wird diese Nation ihr Niveau des Sozialstaats nicht halten können, von der ökologischen Transformation ganz zu schweigen. Lindners Vorstoß ist ein erster wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Weitere müssen folgen.