Bundestagswahl
Indien hofft nach der Bundestagswahl auf eine vertiefte Partnerschaft
Mehrere Parteien sehen Indien als wichtigen Partner im Indopazifik-Raum. Die Chancen auf eine engere Zusammenarbeit stehen gut. Es gibt jedoch auch Meinungsverschiedenheiten.
Ein Ergebnis der Bundestagswahl ist aus Sicht von Indiens Premierminister Narendra Modi schon vor der Schließung der Wahllokale klar: Er verliert mit der Bildung einer neuen Regierung und dem Abschied von Kanzlerin Angela Merkel eine Ansprechpartnerin in Berlin, die er gut kennt und auch sehr schätzt: "Die Kanzlerin hat sich als eine der am meisten respektierten Führungspersönlichkeiten der Welt profiliert", lobte Modi seine Amtskollegin bei ihrem letzten Besuch in Neu-Delhi. Sie sei eine der großen Freunde Indiens, fügte er hinzu.
Er erlebte Merkel unter anderem im Rahmen der Deutsch-Indischen Regierungskonsultationen – ein alle zwei Jahre angesetztes Gesprächsformat, das im Terminkalender der Kanzlerin zur Freude der Inder einen festen Platz hatte. Trotz der guten Atmosphäre gab es aber auch Schwierigkeiten: Ein seit Jahren geplantes Freihandelsabkommen zwischen Indien und der EU kam während Merkels Kanzlerschaft nicht vom Fleck. In der Corona-Pandemie wandte sich Deutschland gegen Indiens Wunsch nach einer Freigabe von Impfstoffpatenten. Und Merkels China-Politik empfand man in Neu-Delhi oftmals als zu distanzlos.
Die Beziehungen zwischen Indien und China hatten sich zuletzt unter anderem wegen eines Grenzstreits im Himalaja spürbar verschlechtert. Von der nächsten Bundesregierung dürfte sich Modi nun einen kritischeren Umgang Deutschlands mit der Regierung in Peking erhoffen – und eine engere Kooperation, um Chinas Vormachtstreben in der Region einzudämmen.
Ein Blick auf die Wahlprogramme zeigt, dass die Hoffnungen nicht unbegründet sind: Die meisten Parteien mit Chancen auf eine Regierungsbeteiligung versprechen eine klare Haltung gegenüber China und wollen mit gleichgesinnten Staaten zusammenarbeiten. Sie heben dabei mehrfach die Partnerschaft mit Indien hervor. Man wolle gemeinsam mit Demokratien wie Indien für die Stärkung der regelbasierten internationalen Ordnung eintreten, schreibt die Union und verweist auf die Entsendung der Fregatte "Bayern" in die Region. Die FDP nennt Indien als Partner, um an Strategien zu arbeiten, die China von der gewaltsamen Einnahme Taiwans abhalten sollen.
Die SPD betont die von Deutschland initiierte "Allianz für Multilateralismus", der auch Indien beigetreten ist. Die Grünen plädieren für eine freie und offene indo-pazifische Region auf Grundlage globaler Normen und treten dafür ein, die strategische Partnerschaft mit Indien auszubauen. Eine mögliche Koalition der beiden Parteien unter Einbeziehung der Linkspartei dürfte Indien mit Blick auf die China-Politik jedoch Sorgen bereiten: Die Linke setzt laut ihrem Wahlprogramm auf friedliche internationale Beziehungen zu China und lehnt die Beschreibung der Volksrepublik als "Feindbild" ab.
Auch die Handelspolitik der künftigen Bundesregierung ist für Indien von großem Interesse. Im Mai hatten sich die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union gemeinsam mit Modi auf den Neustart der 2013 gestoppten Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen verständigt. Zuständig ist dafür die EU-Kommission. Indiens Regierung hofft jedoch auf die deutsche Unterstützung, um zu einem baldigen Abschluss zu kommen – wobei sich man sich in Neu-Delhi und in Brüssel einig ist, dass die Verhandlungen alles andere als einfach werden dürften.
Im Bundestagswahlkampf wurde die Unterstützung für neue Freihandelsverträge besonders von der FDP betont. Sie will dem Thema im Fall einer Regierungsbeteiligung unter anderem mit einer Staatsministerin oder einem Staatsminister für Außenhandel stärkeres Gewicht verleihen. Zudem soll das Bundeswirtschaftsministerium in Bundesministerium für Wirtschaft, Freihandel und Energie umbenannt werden. Demgegenüber haben sich die Grünen – ebenso wie die Linken – in der Vergangenheit mehrfach gegen Freihandelsabkommen ausgesprochen, zum Beispiel im Fall des Mercosur-Handelsabkommen mit vier südamerikanischen Staaten.
Aufmerksam verfolgt wird in Südasien auch die Debatte über das deutsche Lieferkettengesetz – es betrifft in der Region besonders stark Zulieferer in Bangladesch. Alle Parteien mit Chancen auf Regierungsverantwortung setzen sich für Regeln ein, die Sozialstandards und die Einhaltung von Menschenrechten entlang der Lieferketten sicherstellen sollen. Union und FDP plädieren für eine einheitliche Regelung auf EU-Ebene. Eine Verschärfung der im Juni in Deutschland beschlossenen Regeln lehnt die Union ausdrücklich ab. Die FDP wendet sich gegen zusätzliche Dokumentationspflichten. Grüne und Linke fordern hingegen eine Ausweitung der Sorgfaltspflichten für Unternehmen.
Auf Sorgen stößt in Indien die Diskussion über einen CO2-Grenzausgleich der Europäischen Union – eine Maßnahme, die verhindern soll, dass Unternehmen Klimavorgaben umgehen, indem sie in Länder mit geringeren Standards abwandern. Einfuhren aus diesen Ländern in die EU würden dadurch teurer. Indien sieht in dem geplanten Mechanismus, der in Deutschland von allen großen Parteien unterstützt wird, eine mögliche Diskriminierung seiner Wirtschaft.
Trotz unvermeidbarer Meinungsverschiedenheiten stehen die Chancen aber gut, dass sich das deutsch-indische Verhältnis auch unter einer neuen Bundesregierung positiv entwickelt. Dafür dürfte auch das große Wohlwollen sorgen, das Indiens Bevölkerung Deutschland entgegenbringt. 71 Prozent der Inder sahen laut einer Umfrage des Meinungsforscherungsunternehmens Ipsos Deutschland zuletzt als vertrauenswürdigen Partner – so gut fiel die Einschätzung in keinem anderem untersuchten Land außerhalb Europas aus.