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Machtvakuum stellt Bangladesch vor unsichere Zukunft

Bangladesh

Die Ära der Autokratin endet in Bangladesch mit Plünderungen im Zentrum der Macht. Kurz nach der Flucht von Regierungschefin Sheikh Hasina aus der Hauptstadt Dhaka stürmen am Montag Tausende Demonstranten in die Residenz der Politikerin. Ein Mann trägt einen Deckenventilator aus dem Gebäude. Andere machen Selfies mit einem Stuhl, den sie aus dem Anwesen ins Freie befördern. In der Küche der langjährigen Machthaberin bedienen sich Menschen am zurückgelassenen Essen. Hasina, die für ihren harten Umgang mit Regierungsgegnern bekannt war, hat an diesem Tag ihren Schrecken verloren.

Der unfreiwillige Abtritt der 76-Jährigen markiert für Bangladesch einen historischen Umbruch. Kein Politiker in der jüngeren Geschichte prägte das Land so sehr wie Hasina. In den vergangenen drei Jahrzehnten war sie insgesamt 20 Jahre lang an der Macht – und schien bereit zu sein, mit allen Mitteln um ihr Amt zu kämpfen. Am Ende musste sie sich jedoch angesichts von Massenprotesten geschlagen geben, die sie auch mit einem brutalen Einsatz ihrer Sicherheitskräfte nicht länger aufhalten konnte. Das Land steht nun vor einer ungewissen Zukunft: Die Demokratie könnte eine neue Chance bekommen. Doch gleichzeitig droht durch das Machtvakuum auch der Ausbruch neuer Konflikte.

Bereits die vergangenen Wochen, die zu Hasinas Sturz führten, zählten zu den blutigsten Auseinandersetzungen, die das Land seit dem Ende des Unabhängigkeitskriegs vor einem halben Jahrhundert erlebte: Hunderte Menschen starben, Tausende wurden verletzt.

Ursprünglich handelte es sich um friedliche Proteste von Studenten. Sie demonstrierten gegen ein umstrittenes Quotensystem bei der Vergabe von Stellen im öffentlichen Dienst. Dieses hatte einen erheblichen Teil der Jobs für Angehörige von Kriegsveteranen reserviert – eine angesichts der hohen Jugendarbeitslosigkeit im Land unpopuläre Maßnahme. Das harte Durchgreifen der Behörden gegen die Demonstrationen führte anschließend zu einer Eskalation der Gewalt. Allein am vergangenen Wochenende gab es rund 100 Tote. Ähnlich viele Menschen sollen laut lokalen Medien auch am Montag gestorben sein. Gleichzeitig legten Ausgangssperren und Internetblockaden das öffentliche Leben in dem Land weitgehend lahm.

Am Ende war auch das Militär nicht mehr bereit, Hasina zu verteidigen. Die Soldaten stellten sich dem Aufstand nicht mehr in den Weg. Armeechef Waker-Uz-Zaman war schließlich derjenige, der das Ende von Hasinas Amtszeit bekannt gab – und der Bevölkerung mitteilte, dass sie sich ins Ausland abgesetzt habe. Per Helikopter floh Hasina Richtung Indien – zu dem großen Nachbarn Bangladeschs, mit dem sie als Regierungschefin enge Kontakte pflegte.

Zaman dürfte nun auch eine zentrale Rolle bei Bangladeschs politischem Neuanfang zukommen. Er kündigte an, eine Übergangsregierung bilden zu wollen. "Das Land hat sehr gelitten, die Wirtschaft wurde geschädigt, viele Menschen wurden getötet", sagte er in einer Fernsehansprache. "Es ist an der Zeit, die Gewalt zu beenden." Doch inwiefern es ihm gelingen wird, das Land zu befrieden, ist offen.

Anführer der Studentenbewegung, die im Mittelpunkt der Antiregierungsproteste standen, teilten bereits ihren Widerstand gegen eine mögliche Militärregierung mit. "Wir würden keine von der Armee unterstützte oder von der Armee geführte Regierung akzeptieren", sagte Nahid Islam, einer der bekanntesten Protestanführer in einer Videobotschaft. "Jede andere Regierung als die von uns empfohlene würden wir nicht hinnehmen." Konkret fordern die Studenten eine Regierung unter Einbeziehung des Friedensnobelpreisträgers Mohammed Yunus. Der Wirtschaftswissenschaftler, der mit seinem Engagement für Mikrokredite als Entwicklungsinstrument weltberühmt wurde und zu Hasinas schärfsten Kritikern zählte, solle den Posten des Chefberaters bekommen.

Mit einem Ultimatum konnten sich die Studenten bereits durchsetzen: Sie hatten unter der Androhung neuer Proteste eine rasche Auflösung des Parlaments gefordert, in dem Vertreter von Hasinas Partei Awami League nach der Wahl Anfang des Jahres die absolute Mehrheit hielten. Die Abstimmung war von massenhaften Festnahmen von Regierungsgegnern und einem Wahlboykott durch die Opposition überschattet – und von den USA als weder frei noch fair kritisiert worden. Präsident Mohammed Shahabuddin kam der Forderung der Studenten bereits am Dienstag nach – und schickte die Abgeordneten nach Hause. Er wolle Wahlen so früh wie möglich abhalten lassen, teilte er mit.

Gleichzeitig kündigte das Präsidialamt die Freilassung von Khaleda Zia an, der Anführerin der oppositionellen Bangladesh Nationalist Party. Sie galt als Hasinas Erzrivalin und wurde 2018 wegen Korruptionsvorwürfen zu 17 Jahren Haft verurteilt. Bei der Frage, ob Bangladesch zu Demokratie und Frieden zurückfinden kann, wird es auch auf sie ankommen. Mögliche Rachegelüste bergen in dem polarisierten Land die Gefahr neuer Gewalt. Bereits am Montag starben nach lokalen Medienberichten mehr als 20 Menschen, als ein wütender Mob ein Hotel in Brand setzte, das einem der Anführer von Hasinas Awami League gehört. Angriffe richteten sich auch gegen die Polizei, die daraufhin ankündigte, in einen Streik zu treten. Die Sicherheitslage in Bangladesch bleibt damit prekär.

Auch die wirtschaftliche Lage des Landes bleibt angespannt: Die Textilfabriken, die für das Land eine der wichtigsten Einnahmequellen darstellen, sind vorerst geschlossen. Die Landeswährung Taka hatte zuletzt stark abgewertet, die Inflationsrate liegt bei rund zehn Prozent. Die hohe Verschuldung lastet auf dem Staatshaushalt. Sie ließ die Devisenreserven stark schwinden. Mit einem Hilfspaket des Internationalen Währungsfonds konnte sich die Regierung in den vergangenen Monaten noch über Wasser halten. Doch Hasina hielt es auch für nötig, sich um Milliardenhilfen aus China zu bemühen. Noch vor einem Monat reiste sie dafür nach Peking – auch als Teil ihrer Strategie, die Beziehungen mit den Nachbarn Indien und China in Balance zu halten.

In Neu-Delhi sah man Hasina als verlässliche Partnerin – unter anderem, weil es ihr gelang, islamistische Gruppierungen von der Macht fernzuhalten. Die unsichere Zukunft Bangladeschs weckt in Indien nun Sorgen. Außenminister S. Jaishankar Minister sagte am Dienstag, sein Land sei "tief besorgt, bis Recht und Ordnung in Bangladesch wiederhergestellt sind". Er fügte hinzu, die Grenzschutztruppen seien angewiesen worden, "angesichts dieser komplexen Situation besonders wachsam zu sein". Die indische Regierung sieht sich dabei auch in der schwierigen Situation, wachsende Wut von Hasinas Gegnern auf sich zu ziehen – weil sie es der Ex-Regierungschefin erlaubte, in Indien vorübergehend Schutz zu suchen. Jaishankar sagte, Hasina habe "sehr kurzfristig" um die Besuchserlaubnis gebeten. Wie lange sie bleiben werde, teilte er nicht mit. Er sagte nur, es sei "für den Moment".