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Verteidigung
Die EU plant ein unabhängiger Verteidigungsakteur bis 2030 zu sein

Die Leiterin der Außenpolitik der Europäischen Union, Kaja Kallas (Mitte), und der EU-Kommissar für Verteidigung und Raumfahrt, Andrius Kubilius (rechts), sprechen auf einer Medienkonferenz zum Weißbuch über die Zukunft der europäischen Verteidigung und zum REARM Europe-Plan am EU-Hauptsitz in Brüssel

Die Leiterin der Außenpolitik der Europäischen Union, Kaja Kallas (Mitte), und der EU-Kommissar für Verteidigung und Raumfahrt, Andrius Kubilius (rechts), sprechen auf einer Medienkonferenz zum Weißbuch über die Zukunft der europäischen Verteidigung.

© picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Virginia Mayo

Die Europäische Kommission hat ihr „Weißbuch zur Verteidigung – Bereitschaft 2030“ vorgestellt. Die Initiative verfolgt ein klares Ziel: Europa muss innerhalb der nächsten fünf Jahre auf Krieg vorbereitet sein, dem geschätzten Zeitraum, den Russland benötigt, um seine offensiven Fähigkeiten wiederherzustellen. Welche Pläne enthält das Weißbuch? Und wie wurde es von den europäischen Staats- und Regierungschefs aufgenommen?

Die Europäische Kommission hat am Mittwoch, dem 19. März, ihr „Weißbuch zur Verteidigung – Bereitschaft 2030“ vorgestellt – kurz vor einem entscheidenden Gipfeltreffen des Europäischen Rates. Die Initiative verfolgt ein klares Ziel: Europa muss innerhalb der nächsten fünf Jahre auf Krieg vorbereitet sein, dem geschätzten Zeitraum, den Russland benötigt, um seine offensiven Fähigkeiten wiederherzustellen. Angesichts der enorm steigenden Militärausgaben Russlands und der von den Vereinigten Staaten signalisierten kleineren Rolle in der europäischen Sicherheit besteht dringender Handlungsbedarf für die EU, ihre Verteidigungsbudgets zu erhöhen und ein unabhängiger Sicherheitsakteur zu werden.

Das Weißbuch stellt einen lang ersehnten Vorschlag zum Umgang mit diesen Herausforderungen dar. Es ist eine langfristige, übergreifende EU-Verteidigungsstrategie, die die notwendigen Schritte skizziert, um die europäische Verteidigung wiederaufzubauen, die Ukraine zu unterstützen, kritische Fähigkeitslücken zu schließen und eine starke sowie wettbewerbsfähige Verteidigungsindustrie zu etablieren. Die NATO ist weiterhin als wichtigster Baustein der gemeinsamen Verteidigung anerkannt, aber durch die Vorschläge des Weißbuchs versucht die EU, die Mitgliedstaaten in die Lage zu versetzen, eine aktivere Rolle bei der Entwicklung der europäischen Sicherheitsarchitektur zu übernehmen.

Obwohl das Weißbuch lange Zeit in Arbeit war, führten die sich rasch verändernden Ereignisse in der Ukraine dazu, dass die Kommission einige ihrer Vorschläge vor dem Veröffentlichungstermin präsentierte. Die bekannteste früher veröffentlichte Initiative war die Ankündigung des „ReArm Europe“-Plans vor zwei Wochen. Dieser Vorschlag zielt darauf ab, 800 Milliarden Euro für die Verteidigung Europas und „unmittelbare“ militärische Unterstützung für die Ukraine zu mobilisieren. Der Plan enthält eine Ausnahme von den Haushaltsregeln der EU für Verteidigungsausgaben, die den Mitgliedstaaten einen fiskalischen Spielraum von 650 Milliarden Euro für die Erhöhung ihrer Militärausgaben verschaffen würde. Darüber hinaus wird ein neues Instrument, Sicherheit und Aktion für Europa (SAFE), vorgeschlagen, das den Mitgliedstaaten 150 Milliarden Euro an Krediten, die durch den EU-Haushalt abgesichert sind, für gemeinsame Verteidigungsinvestitionen zur Verfügung stellt.

„ReArm Europe“ ist das Zentrum des Weißbuchs, da Europa die jahrzehntelangen Unterinvestitionen in seine Sicherheit ausgleichen muss. Dies wurde von der Hohen Vertreterin der EU, Kaja Kallas, die zusammen mit dem EU-Verteidigungskommissar Andrius Kubilius für das Weißbuch verantwortlich ist, bei der Präsentation am Mittwoch verdeutlicht:

„Was wir in die Verteidigung investieren, ist, wie wir unsere Verteidigung schätzen. Und in den letzten Jahrzehnten haben wir ihr nicht genug Wert beigemessen. Wir müssen mehr ausgeben.“

Neben der finanziellen Schlagkraft hebt die Europäische Kommission auch sieben vorrangige Bereiche hervor, in die die Mitgliedstaaten investieren sollten. Dazu gehören Luft- und Raketenabwehr, Artilleriesysteme, Munition und Raketen, militärische Mobilität, Drohnen- und Drohnenabwehr-Systeme, KI/Quanten/Cyber und elektronische Kriegsführung sowie strategische Fähigkeiten wie bspw. die Luftbetankung oder verschlüsselte Kommunikation. Um diese Fähigkeitslücken zu schließen, plädiert die Kommission für den Aufbau strategischer Vorräte und einen kohärenten Ansatz für gemeinsame Beschaffungen, einschließlich einer europäischen Präferenz für mit EU-Mitteln beschaffte Ausrüstung.

Darüber hinaus schlägt das Weißbuch vor, die Verteidigungsindustrie der Ukraine in die breitere europäische Verteidigungsindustrie zu integrieren – ein Schritt, der sowohl strategische Solidarität als auch industriellen Pragmatismus widerspiegelt. Ein klares Signal wurde gesendet, dass Europa nicht länger auf externe Lieferanten wie Großbritannien, die Türkei und die USA angewiesen sein sollte, indem sie in diesem Vorschlag ausdrücklich nicht berücksichtigt, trotz eines Versuchs in letzter Minute, durch den britischen Premierminister Keir Starmer, dies zu verhindern.

Nach der Präsentation am Mittwoch wurde das Weißbuch sofort dem Europäischen Rat vorgelegt, der am Donnerstag zu einem Gipfeltreffen in Brüssel zusammenkam. Angesichts der knappen Vorbereitungszeit stimmten die Staats- und Regierungschefs dem allgemeinen Ziel des Plans zu, kamen jedoch nicht zu konkreten Vereinbarungen über dessen Inhalt. Sie riefen stattdessen dazu auf, „die Arbeiten an allen Strängen zu beschleunigen, um die Verteidigungsbereitschaft Europas in den nächsten fünf Jahren entscheidend zu steigern“. Dieser Appell wird im Europäischen Parlament mit Spannung erwartet, wo die Vorsitzende des Ausschusses für Sicherheit und Verteidigung des EP, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, MdEP, kommentierte:

„Das Weißbuch identifiziert nicht nur die dringenden Bedrohungen für unsere Sicherheit und Freiheit, sondern bietet auch ein konkretes Set von Instrumenten, die die Mitgliedstaaten sofort verwenden können, um auf diese Bedrohungen zu reagieren. Der Kurs ist gesetzt, und die Zeit zu handeln ist jetzt.“

Das Weißbuch zur Verteidigung hat das Potenzial, Europa zu einem glaubwürdigen Verteidigungsakteur zu machen, doch es bleiben erhebliche politische Differenzen bezüglich der Lastenverteilung, der Finanzierung der EU-Kredite für Verteidigungsinvestitionen und der Frage der „europäischen Präferenz“ bei gemeinsamen Verteidigungsbeschaffungen bestehen.

Die Lastenverteilung wird durch die unterschiedliche Bedrohungswahrnehmung der einzelnen Mitgliedsstaaten deutlich, indem etwa Spanien Migration als eine große Bedrohung für die innere Sicherheit wahrnimmt und Polen sich deutlich mehr durch Russland bedroht fühlt. Bei der Finanzierung fordern einige hochverschuldete Staaten gemeinsame europäische Schulden, um ihre hohen Staatsausgaben nicht reduzieren zu müssen, was sie in einen direkten Konflikt mit fiskalisch konservativeren Staaten wie etwa Deutschland oder den Niederlanden führt. Die „europäische Präferenz“ dreht sich vor allem um die Frage, ob mittelfristig auch Waffen von außerhalb Europas, beispielsweise aus den USA, beschafft werden sollten, oder ob in diesem Falle Fähigkeitslücken offen gelassen werden sollen, bis die europäische Rüstungsindustrie diese geschlossen hat. Frankreich vertritt diese Option im Sinne einer europäischen strategischen Autonomie, wohingegen Deutschland alle Fähigkeitslücken so schnell wie möglich schließen möchte, was etwa auch die Beschaffung von amerikanischen Rüstungsgütern wie der F-35 bedeuten würde.

Obwohl es großen Handlungswillen gibt, werden die Ergebnisse von der Fähigkeit der Mitgliedstaaten abhängen, diese Differenzen zu überbrücken. Dies ist dringend erforderlich, um die Sicherheitsherausforderungen, mit denen wir heute und in der Zukunft konfrontiert sind, zu bewältigen.

Bei Medienanfragen kontaktieren Sie bitte:

Florian von Hennet
Florian von Hennet
Leiter Kommunikation, Pressesprecher
Telefon: + 4915202360119
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