Menschen mit Behinderung
Ringen um Respekt: Menschen mit Behinderung fordern Südasiens Arbeitgeber zu mehr Offenheit auf
Die Integration von Menschen mit Behinderung in den Arbeitsmarkt kommt in Südasien nur langsam voran. Eine Veranstaltung der Friedrich-Naumann-Stiftung zeigt die Hürden – und präsentiert Erfolgsbeispiele.
Kshitij Behl gibt Menschen mit Behinderung eine Chance – und hat damit großen Erfolg: In seinem Café "Echoes" beschäftigt der indische Gastronom stumme und gehörlose Mitarbeiter. Mit nur ein paar kleinen Anpassungen funktionieren die Abläufe wie in jedem anderen Restaurant: Gäste schreiben ihre Bestellung selbst auf und können Kellner mithilfe eines Lichtschalters zu ihrem Tisch rufen. Eine kleine Broschüre mit häufigen Sätzen wie "Die Rechnung bitte" oder "Bitte Teller abservieren" hilft bei der Verständigung.
"Unser Ziel ist es, so viele anders Begabte wie möglich zu beschäftigen", sagt Behl, der die erste "Echoes"-Filiale 2015 in Delhi eröffnete. Er wolle damit helfen, Vorurteile abzubauen: "Bei uns sieht jeder mit eigenen Augen, dass Mitarbeiter mit Behinderung einen tadellosen Service garantieren können." Das Konzept ging auf: Inzwischen ist aus der Idee eine ganze Café-Kette geworden mit weiteren Niederlassungen in den indischen Metropolen Bangalore, Kalkutta und Ahmedabad. Er wolle andere Unternehmer ermutigen, seinem Beispiel zu folgen: "Ich will zeigen, dass es bereits mit kleinen Änderungen möglich ist, einen wirklich inklusiven Arbeitsplatz zu schaffen", sagt Behl.
Der Café-Betreiber präsentierte seinen Ansatz Ende März im Rahmen einer Diskussionsveranstaltung des Südasien-Büros der Friedrich-Naumann-Stiftung, bei der es um die Perspektiven von behinderten Menschen auf dem Arbeitsmarkt der Region ging. Die Herausforderungen sind erheblich: In Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen ist der Zusammenhang zwischen Behinderung und Armut besonders groß. Auch in Indien ist dieses Problem stark ausgeprägt: Eine Untersuchung der Weltbank zeigte bereits 2009, dass Behindertenhaushalte in dem Land im Schnitt größere Schwierigkeiten haben, drei Mahlzeiten pro Tag zu beschaffen, als der landesweite Durchschnitt. Aktuelle Studien belegen[1], dass das Problem weiterhin besteht.
Ein Grund dafür ist fehlender Zugang zum Arbeitsmarkt. "Beschäftigung und Bildung sind die Hauptbereiche, die uns Sorgen machen", sagte Shampa Sengupta, Gründerin und Leiterin des Sruti Disability Rights Centres mit Sitz in Kalkutta, das sich für Behindertenrechte einsetzt, in der Diskussionsveranstaltung. Einige Länder in der Region, darunter Indien, hätten zwar Gesetze erlassen, um die Beschäftigungschancen von Menschen mit Behinderung zu erhöhen. "Aber leider hat sich die Lage nicht in dem Maße gebessert, wie wir es uns wünschen würden", sagte Sengupta.
Ähnlich äußerte sich P.V. Madhusudhan Rao, der an dem Indian Institute of Technology in Delhi Maschinenbau und Design lehrt. Er ist Mitgründer der Forschungseinrichtung AssisTech, die an Technologien zur Unterstützung von Menschen mit eingeschränkter Sehfähigkeit arbeitet. "Der Wandel in Indien geht nur langsam voran", sagte er. "Viele Menschen mit Behinderung leben in ländlichen Gegenden und sind dort regelrecht verborgen. Sie ins Rampenlicht zu rücken, bleibt eine Herausforderung." Technologie spielt aus seiner Sicht dabei eine wichtige Rolle. "Jemand der früher von anderen abhängig war, kann für seine Familie damit selbst zur Quelle von Wohlstand werden", sagte Rao.
Seine Forschungseinrichtung entwickelte beispielsweise ein kostengünstiges, mobiles Brailledisplay, mit dem Dokumente für Blinde lesbar werden. Sein Team arbeitete auch an einer smarten Gehhilfe, mit der sich Hindernisse besser erkennen lassen. Die Technologien würden die Leben der Nutzer bereits heute verbessern, sagte Rao. "Die Transformation findet bereits statt, wenn auch in einer kleinen Zahl." Vielfach seien die Technologien noch nicht ausreichend bekannt. Zudem sei es auch eine Preisfrage. Er wünscht sich Unterstützung der Regierung, um mehr Menschen erreichen zu können.
Am Arbeitsmarkt sieht Rao durchaus positive Entwicklungen. Indische IT-Konzerne würden immer mehr Menschen mit Behinderung anstellen. "Die Unternehmen, die damit vor zehn Jahren angefangen haben, sind heute äußert zufrieden", sagte er. Im verarbeitenden Gewerbe hingegen gebe es immer noch großen Nachholbedarf. "In den Fabriken gibt es immer noch sehr wenige Menschen mit Behinderungen, weil die Arbeitsplätze dort vielfach nicht auf Inklusivität ausgelegt sind."
Der Journalist Gajendra Budhathoki beschrieb ähnliche Probleme in seiner Heimat Nepal. "Obwohl viele Menschen mit Behinderung gut ausgebildet und qualifiziert sind, ist die Privatwirtschaft immer noch nicht bereit, ihnen ausreichend Jobs anzubieten", sagte der Rollstuhlfahrer. Es gebe noch zu oft das Vorurteil, dass behinderte Menschen nicht leistungsfähig seien. Als positiv hob er Bemühungen hervor, Betroffenen leichteren Zugang zu Jobs bei staatlichen Einrichtungen zu geben. Zudem verwies er auf steuerliche Entlastungen, die Menschen mit Behinderung beanspruchen können. Aus seiner Sicht gibt es aber noch viel zu tun: "Die Infrastruktur ist sehr schlecht", sagte er. "Straßen und Gehwege sind nicht behindertengerecht. Schulen und Universitäten ist immer noch nicht klar, dass auch Menschen mit Behinderung Schüler und Studenten sein können."
Ein Gegenbeispiel lieferte Nilshani De Silva, die mit dem Down-Syndrom lebt. Sie berichtete von ihrer Schulzeit in Sri Lanka. Sie habe dort eine gewöhnliche Schulklasse besuchen können und sei von einem Assistenzlehrer gezielt gefördert worden. "Ich konnte an allen Schulaktivitäten teilnehmen und hatte viele Freunde", erzählt sie. Besonders talentiert sei sie im Werkunterricht gewesen. Aus dem Talent wurde eine Karriere: Ihre frühere Schule stellte sie als Werklehrerin ein. "Die Schulleitung hat allen gesagt, dass man mich wie jede andere Lehrerin behandeln soll", sagte sie. Der einzige Unterschied ist, dass sie bei ihrer Arbeit auf einen Assistenten zurückgreifen kann. Das Modell scheint für alle Beteiligten zu funktionieren. "Meine Schüler lieben mich", sagt Nilshani, "und wir haben jede Menge Spaß".