Krieg in Europa
Südasien wirbt für Verständnis für seine Russland-Politik
Länder wie Indien, Bangladesch und Sri Lanka lehnen eine Isolation Russlands ab. Das sorgt für Konfliktstoff mit dem Westen. In einer Diskussionsveranstaltung der Friedrich-Naumann-Stiftung ging es um die komplexen Gründe für die Meinungsverschiedenheit.
Während Europa und Amerika angesichts des Ukrainekriegs ihre Verbindungen zu Russland kappen, setzt Südasien weiter auf gute Beziehungen zur Regierung in Moskau. Indiens Premierminister Narendra Modi empfing den russischen Außenminister Sergej Lawrow Anfang April persönlich in Delhi. Der Top-Diplomat des Kreml lobte Indiens neutrale Haltung in dem Konflikt. Man wisse es zu schätzen, dass Indien die Situation "in vollem Umfang und nicht nur einseitig betrachtet", sagte Lawrow.
Im Westen stößt die Haltung Südasiens jedoch auf Unverständnis: Insbesondere Indien, das in Washington und europäischen Hauptstädten eigentlich als gleichgesinnte Demokratie gilt, sieht sich mit der Erwartung konfrontiert, auf Distanz zu Russland zu gehen. Diesen Druck hält die politische Führung der Region für unfair. Die Meinungsunterschiede drohen zu einer ernsten Belastung für die Beziehungen mit dem Westen zu werden. Eine Diskussionsveranstaltung des Südasienbüros der Friedrich-Naumann-Stiftung brachte einen Einblick in die unterschiedlichen Perspektiven – mit dem Ziel, das gegenseitige Verständnis zu erhöhen.
Der FDP-Bundestagsabgeordnete Dr. Marcus Faber, der Mitglied im Verteidigungsausschuss ist, beschrieb Russlands Angriff auf die Ukraine als "grundlosen und illegalen Krieg", auf den Europa und die ganze Welt reagieren müsse. Er betonte Europas Bemühungen, Energieimporte aus Russland schnellstmöglich einzustellen. "Das ist für uns mit hohen Kosten verbunden – aber es ist notwendig, weil wir keinen Krieg in unserer Nachbarschaft finanzieren wollen." Von Südasien erhoffe er sich Unterstützung für die westlichen Sanktionen und für eine regelbasierte internationale Sicherheitsarchitektur. "Die Demokratien müssen zusammenstehen", forderte Faber.
Das ist für uns mit hohen Kosten verbunden – aber es ist notwendig, weil wir keinen Krieg in unserer Nachbarschaft finanzieren wollen.
Die Demokratien müssen zusammenstehen.
Die indische Diplomatin Bhaswati Mukherjee warb hingegen um Verständnis dafür, dass es nicht im nationalen Interesse ihres Landes sei, die Beziehungen zu Russland von heute auf morgen abzubrechen. Sie verwies darauf, dass Europa in einer ähnlichen Situation sei und noch bis 2027 Energie aus Russland beziehen wolle. Auch Indien benötige Zeit. "Wir sind abhängig von russischen Waffenlieferungen und wir sind angesichts steigender Ölpreise abhängig von einer Vereinbarung, um an den Kraftstoff zu kommen, der unsere Wirtschaft antreibt", sagte die frühere indische Botschafterin in den Niederlanden.
Sie meint damit Bemühungen der indischen Regierung, von Russland Öl zum Vorzugspreis zu erwerben. Seit Beginn des russischen Angriffskriegs baute Indien seine Lieferverträge mit Russland aus und erwarb bereits mehrere Millionen Barrel Öl. Entsprechende Geschäfte verstoßen bislang gegen keine Sanktionen – stießen im Westen dennoch auf Kritik. Die Regierung in Neu-Delhi hält diesbezügliche Vorwürfe jedoch für nicht gerechtfertigt – und verweist darauf, dass auch Europa weiterhin Russlands Kunde ist. Wenn Länder wie Deutschland weiterhin russische Energieträger kaufen könnten, müsse das auch einem Schwellenland wie Indien erlaubt sein, sagte Mukherjee.
Ähnlich äußerte sich Saikat Datta, Gründer der indischen Denkfabrik DeepStrat. Er beschrieb das Verhältnis Südasiens zu Russland als komplex – unter anderem aus historischen Gründen. Indien stehe vor einer anderen Bedrohungslage als Europa. Russland habe sich dabei über lange Zeit als verlässlicher Verbündeter erwiesen, sagte Datta. Die Rolle des Westens sieht er kritischer – etwa mit Blick auf Indiens Konflikte mit Pakistan und China: "Wenn es um Bedrohungen gegen uns geht, hat der Westen eine komplett andere Perspektive, als wenn es um Bedrohungen gegen ihn selbst geht", sagte er. "Wenn China auf indisches Territorium marschiert, scheint das im Westen kaum jemanden zu kümmern."
Lailufar Yasmin, die in Bangladesch an der Universität Dhaka Internationale Beziehungen lehrt, betonte, dass ihr Land ohne Zweifel an der Seite des internationalen Rechts stehe – und dass die Souveränität eines Landes nicht verletzt werden dürfe. "Unter keinen Umständen befürworten wir eine Aggression gegenüber einem anderen Land", sagte sie. Daraus folgt aus ihrer Sicht aber nicht zwangsläufig, dass sich Bangladesch der Position des Westens komplett anschließen muss. Neutralität ermögliche dem Land, eine eigenständige Rolle in der internationalen Politik einzunehmen.
Bangladesch hat wie Indien seit Jahrzehnten enge Beziehungen zur Regierung in Moskau. 1971 unterstützte die Sowjetunion die Unabhängigkeit des Landes von Pakistan. Seither haben die beiden Länder ein freundschaftliches Verhältnis und kooperieren unter anderem in der Sicherheitspolitik. In der Vollversammlung der Vereinten Nationen enthielt sich Bangladesch zuletzt bei Abstimmungen über Russland-kritische Resolutionen – ebenso wie Indien, Pakistan und Sri Lanka.
Der aus Sri Lanka stammende Chef des Beratungsunternehmens Tresync, Imran Furkan, hob in der Diskussionsveranstaltung die wirtschaftlichen Folgen des Ukrainekriegs auf Südasien hervor. Seine Heimat betreibe zwar nur wenig Handel mit Russland, sagte er. Die indirekten Konsequenzen des Konflikts bekommt Sri Lanka laut Furkan aber mit voller Wucht zu spüren: Die Ölpreise seien exponentiell gestiegen. Wegen des akuten Energiemangels komme es nun regelmäßig zu Stromausfällen. "Wir waren schon vor dem Krieg in einer wirtschaftlich schwierigen Lage", sagte Furkan mit Blick auf den Kollaps der Staatsfinanzen, den das Land gerade durchlebt. "Diese Situation könnte uns nun endgültig in den Bankrott treiben."
Indiens Ex-Botschafterin Mukherjee fürchtet hingegen primär negative geopolitische Auswirkungen. "Indien sieht mit Besorgnis, dass das durch die Sanktionen stark geschwächte Russland immer mehr in die Umarmung des chinesischen Drachens gerät." Gleichzeitig verschiebe sich der Fokus des Westens von der Rivalität mit China Richtung Russland. "Unsere strategischen Partner lassen sich ablenken – obwohl China nach wie vor die größte Gefahr für eine regelbasierte internationale Ordnung darstellt." Die Regierung in Peking werde so durch den Konflikt gestärkt. "Sie wird auch vor militärischen Abenteuern gegen Indien im Himalaja nicht zurückschrecken", warnte Mukherjee.