US Wahlen
Warum Indien keine Angst vor Trump 2.0 hat
Der designierte US-Präsident kritisiert Indien als "großen Übeltäter" in der Handelspolitik. Dennoch sieht die Regierung der zweiten Amtszeit des Republikaners gelassen entgegen. Das liegt auch an dem künftigen US-Außenminister.
Auf die Wahl Donald Trumps reagiert die Regierung in Neu-Delhi betont entspannt: "Seien wir ehrlich, ich weiß, dass heute viele Länder nervös sind, was die USA angeht", sagte Indiens Außenminister Subrahmanyam Jaishankar wenige Tage nach dem Sieg des Republikaners bei der US-Präsidentenwahl. Er fügte direkt hinzu: "Indien ist keines davon." Der indische Chefdiplomat betonte vielmehr die Nähe von Regierungschef Narendra Modi zu dem designierten US-Präsidenten: "Der Premierminister gehörte zu den ersten drei Anrufen, die Präsident Trump entgegennahm."
Tatsächlich hat Indiens Regierung gute Gründe, Trumps zweiter Amtszeit mit einem vorsichtigen Optimismus entgegenzublicken. Bereits während der ersten Trump-Präsidentschaft pflegten Trump und Modi ein enges Verhältnis. In Texas veranstaltete Trump gemeinsam mit dem indischen Premier eine Großveranstaltung vor 50.000 Zuschauern. Im Jahr darauf empfing Modi den US-Präsidenten zu einer Massenkundgebung im weltgrößten Cricket-Stadion im Bundesstaat Gujarat.
Die Partnerschaft beruht zum einen auf ideologischen Gemeinsamkeiten – sowohl Trump als auch Modi verfolgen eine nationalistische Agenda, bei der sie den Interessen ihrer Länder höchste Priorität einräumen. Zum anderen verbindet die beiden auch der kritische Blick auf China, das sowohl Trump als auch Modi als größten geostrategischen Rivalen begreifen – daran ändert in Indien auch die jüngste Annäherung im Grenzkonflikt mit China im Himalaja nur wenig.
Dennoch gibt es auch gravierende Reibungspunkte zwischen Modi und Trump: In der Handelspolitik und in Migrationsfragen muss sich Indien auf mögliche neue Konflikte mit den USA einstellen. Die Ambivalenzen wurden bereits im US-Wahlkampf deutlich. Trump lobte Modi als "fantastischen Anführer" und nannte ihn den "nettesten Menschen". Gleichzeitig sagte er aber auch, Modi könne "ein echter Killer" sein, wenn es darum gehe, Indiens Interessen durchzusetzen. Mit Blick auf indische Zölle, die US-Unternehmen den Zugang zu dem knapp 1,5 Milliarden Einwohner großen Markt erschweren, nannte Trump Indien einen "sehr großen Übeltäter".
Bereits in der ersten Amtszeit des Republikaners kam es in Zollfragen zur offenen Auseinandersetzung. Trump beschwerte sich unter anderem über Einfuhrzölle von 100 Prozent, die auf Motorräder des US-Herstellers Harley-Davidson fällig wurden. Später senkte Indien die Abgabe auf 50 Prozent, was Trump als weiterhin "inakzeptabel" brandmarkte. Es folgte eine Welle gegenseitiger Strafmaßnahmen: Die USA erhöhten die Zölle für Stahl und Aluminium aus Indien und strichen dem Land Zollvergünstigungen, die Amerika armen Ländern gewährt. Die Regierung in Neu-Delhi reagierte daraufhin mit Zöllen auf US-Landwirtschaftsprodukte.
Verhandlungen über ein abgespecktes Freihandelsabkommen, das den Streit lösen sollte, kamen zum Ende von Trumps erster Amtszeit zu keinem Ergebnis. Stattdessen könnte sich der Konflikt nun fortsetzen: Besonders der signifikante Handelsüberschuss von mehr als 36 Milliarden Dollar, den Indien im vergangenen Fiskaljahr im Handel mit den USA erzielte, macht das Land zur Zielscheibe möglicher handelspolitischer Gegenmaßnahmen.
Ökonomen erwarten jedoch, dass die negativen Effekte für Inden unter dem Strich gering ausfallen könnten: Sie rechnen damit, dass sich künftige US-Strafzölle primär gegen China richten – Trump hat für das Land einen pauschalen Zollsatz von 60 Prozent angekündigt. Importe aus anderen Ländern – wie Indien – könnten vergleichsweise attraktiver werden, wenn sie mit weniger hohen Strafzöllen belegt werden. Eine Analyse von Forschern der London School of Economics geht daher davon aus, dass China einen Schaden von 0,7 Prozent seiner Wirtschaftsleistung erleiden könnte und Indien mit einem vernachlässigbaren Minus von 0,03 Prozent des Bruttoinlandsprodukts davonkäme.
Indien kann gleichzeitig darauf hoffen, als Produktionsstandort für amerikanische Unternehmen an Bedeutung zu gewinnen, die sich angesichts der politischen Spannungen von China lösen möchten. Dabei steht Indien aber auch in Konkurrenz zu anderen asiatischen Schwellenländern wie zum Beispiel Vietnam, die in der Vergangenheit mehr Erfolg hatten, sich als China-Alternative zu positionieren.
Mögliche Spannungen mit den USA zeichnen sich aus indischer Sicht auch mit Blick auf Trumps Migrationspolitik ab. Erwartet wird, dass er das Land für ausländische Arbeitskräfte deutlich stärker abschotten wird als bisher. Indische Fachkräfte könnten dabei zu den Hauptbetroffenen gehören. Sie waren in der Vergangenheit regelmäßig die größte Gruppe, die sich für sogenannte H1-B-Arbeitsvisa bewarb. Trump bezeichnete das Programm in der Vergangenheit als schlecht und unfair für US-Bürger.
Die hohe strategische Bedeutung, die die USA der Partnerschaft mit Indien parteiübergreifend beimessen, macht es aber unwahrscheinlich, dass die Streitpunkte das Verhältnis nachhaltig belasten. Seit Jahren nähern sich beide Länder an, weil wechselnde Regierungen in Washington Indien als wichtiges Gegengewicht zu China sehen. Auch der noch amtierende US-Präsident Joe Biden hofierte Modi – und machte im vergangenen Jahr unter anderem den Weg für die Produktion von US-Kampfjettriebwerken in Indien frei.
Trumps bisherige Personalentscheidungen deuten klar darauf hin, dass er diesen Kurs fortsetzen möchte. Vor allem die Wahl des bisherigen Senators Marco Rubio als nächster US-Außenminister könnte zu einer deutlichen Stärkung der Zusammenarbeit führen: Während Rubio für einen extrem China-kritischen Kurs steht, setzte er sich in der Vergangenheit vehement für eine Vertiefung der Partnerschaft mit Indien ein. Im Juli brachte er im Senat einen Gesetzentwurf ein, der auf eine engere Verteidigungszusammenarbeit mit Indien abzielt. In dem Entwurf heißt es unter anderem, dass Indien "in Bezug auf Technologietransfers so behandelt werden sollte, als hätte es den gleichen Status wie die US-Verbündeten Japan, Israel, Korea und die Nato-Staaten".
Bereits im vergangenen Jahr forderte Rubio anlässlich von Modis Staatsbesuch in den USA, der Beziehung zu Indien "Priorität einzuräumen". Die wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Interessen würden sich in vielen der drängendsten Fragen überschneiden, erklärte er damals, "insbesondere angesichts der wachsenden Feindseligkeit der Kommunistischen Partei Chinas im Himalaja und im Indischen Ozean".