Restart through EdTech
Wie EdTech die Schulen verändert
Von der Schulbank in die Homeschool: Nach Ausbruch der Pandemie mussten weltweit Millionen Kinder ihre vertraute Lernumgebung verlassen und auf sich gestellt an Schreib-, Ess- oder Küchentisch den Lernstoff bewältigen. Online-Unterricht und Online-Tools sollten helfen, das Lernpensum wenigstens halbwegs zu erfüllen. Davon profitiert vor allem der noch junge EdTech-Sektor, die Bildungstechnologie. In den vergangenen zehn Monaten verdoppelte sich die Zahl der Schüler, die diverse EdTech-Plattformen gebührenfrei oder gegen Zahlung nutzten. Die Pandemie wie auch die Folgen des Klimawandels zeigen, wie wichtig es ist, in Bildungstechnologie zu investieren. Gleichzeitig werden zunehmend Vorwürfe gegen EdTech-Anbieter laut, die unlautere Werbemethoden nutzen oder Eltern zwingen, hohe Kredite aufzunehmen, um deren Kindern die Teilnahme am Online-Lernen auf mobilen Plattformen oder einer Website zu ermöglichen.
Auf einer Online-Veranstaltung der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit und des Centre for Civil Society zum Thema „Restart through EdTech“ Mitte März 2022 diskutierten Bildungsexperten über Stärken, Schwächen, Chancen und Risiken der Bildungstechnologie. Dabei ging es auch um die Frage, ob der noch junge Sektor reguliert werden müsste und welche Folgen dies für die Schüler und die Eltern hätte, wenn deren Entscheidungsfreiheit eingeschränkt würde. Eine starke Regulierung könnte das frühzeitige Aus für die innovative Branche bedeuten. Eine schwache Regulierung wäre möglicherweise nicht effizient genug, um die schwarzen Schafe zu identifizieren. Sollten die verschiedenen Interessengruppen zu dem Schluss kommen, dass tatsächlich ein Marktversagen vorliegt, wäre die Regierung gefordert.
Gemeinsam mit den Experten wolle man versuchen, Empfehlungen an die Politik zu formulieren, die bei den Lernplattformen eine Auswahl, Transparenz und Zuverlässigkeit ermöglichen, unterstrich Lakshmi Sampath Goyal, CEO des Centre for Civil Society in Indien. Sie sei überzeugt, dass der freie Zugang zu qualitativ hochwertiger Ausbildung entscheidend sei für die persönliche Entwicklung von Kindern. Unklar ist jedoch, welchen Zugang zu Tech-Tools Familien mit geringem Einkommen haben.
Über die Situation in Sri Lanka berichtete Dr. Tara de Mel. Mitte März 2020 hätten 4,3 Millionen Kinder in Sri Lanka über Nacht ihre Schulen nicht mehr besuchen können, sagte die Co-Vorsitzende des Education Forum in Sri Lanka und Mitglied der „Worldwide Commission to Educate All Kids (Post pandemic). Alternativ konnten die Schülerinnen und Schüler aber keine Online-Tools nutzen, da viele gar keinen Zugang zum Internet haben. Die Kommunikation lief über WhatsApp. „Schüler mussten auf Bäume oder Dächer klettern, um überhaupt Empfang zu haben, größere Datenpakete konnten sie sich gar nicht leisten“, so de Mel, die auch in verschiedenen Funktionen beim Bildungsministerium ihres Landes und direkt als Beraterin des Präsidenten gearbeitet hat. 2021 habe sich die Situation verbessert. Schülerinnen und Schüler hätten sich kleine Geräte zum Lernen anschaffen können, aber qualitativ hochwertige EdTech-Plattformen seien so gut wie gar nicht entwickelt worden, was auch mit der Wirtschaftskrise im Land zusammenhänge.
Anders als Sri Lanka habe sich in Indien fast über Nacht der Schulsektor zum EdTech-Sektor gewandelt, berichtete Meeta Sengupta, die sich als Autorin, Rednerin und Beraterin auf das Thema Ausbildung spezialisiert hat und die bei der im Jahr 2011 gegründeten indischen Organisation National Independent Schools Alliance (NISA) engagiert ist. In Indien gebe es bereits vier Unicorns im EdTech-Bereich, also Start-ups, die mit mehr als einer Milliarde Dollar bewertet werden. „Diese EdTech-Unternehmen sind aber in erster Linie Wirtschaftsunternehmen, die einen ganz anderen Blick auf Pädagogik haben als eine Lehrerin oder ein Lehrer“, sagte Sengupta, die auch Mitglied des Beirats bei STiR Education ist, einer Nichtregierungsorganisation, die mit Mikro-Innovationen das Lernen in schlecht ausgestatten Klassenräumen verbessern will.
Über die Lage der Schulen in Pakistan nach Ausbruch der Coronapandemie berichtete Omer Fahim, der in den vergangenen 15 Jahren in Pakistan als Führungskraft für ein führendes System von Privatschulen arbeitete und in verschiedenen Projekten zu Ausbildungsreformen involviert war. Nur in sehr wenigen öffentlichen Schulen habe es Zugang zu Bildungstechnologie gegeben. „Und wenn es möglich war, fehlte es aber an Regeln und pädagogischen Konzepten, wie Online-Klassen geführt werden.“ Hinzu kamen Herausforderungen wie mangelnder Zugang zu Geräten, schlechte Versorgung mit Internet oder stundenlange Stromausfälle.
Zugang zu den Online-Plattformen für alle Kinder, Wirtschaftsinteressen der Anbieter und eine nachhaltige Entwicklung des EdTech-Sektors nach Ende der Pandemie nannte Moderator Roshan Gandhi als zentrale Themen für die anschließende Diskussion im Webinar. Gandhi ist CEO der City Montessori School im indischen Lucknow (Utter Pradesh) und berät auch auf Bildungstechnologie spezialisierte Unternehmen.
Essenziell sei, unterstrich Fahim aus Pakistan, dass das Lehrpersonal die Technologie beherrschen würde, um das Potenzial von Online-Unterricht richtig nutzen zu können. In Pakistan seien 650.000 Lehrerinnen und Lehrer trainiert worden, die das Wissen an weitere Kolleginnen und Kollegen weitergegeben hätten. „Die wichtigste Investition ist die in die kontinuierliche Fortbildung.“ Auch Eltern habe man trainiert, damit diese online die Lernfortschritte ihrer Kinder verfolgen können. Die gute Seite der Pandemie sei, dass sie die Schulen auf den technologischen Pfad gebracht habe. Dass eine Plattform in der Schule Lehrerinnen und Lehrer ersetzen könne, so wie es manche Anbieter versprechen würden, glaubt Fahim nicht. „Schülerinnen und Schüler brauchen eine Anleitung und Begleitung.“
Auch außerhalb der Schule sei EdTech von großem Wert und in der Bevölkerung ihres Landes gebe es dafür eine große Akzeptanz, unterstrich Tara De Mel aus Sri Lanka. Aber vor allem Kinder aus der Unter- und Mittelschicht hätten zu Hause neben technischen Problemen oftmals nicht geeignetes Equipment und die richtige Atmosphäre zum Lernen.
Wer also macht das Investment, um diese Schichten nicht von EdTech auszuschließen, fragte Meeta Sengupta aus Indien. Bei Budget Privatschulen (BPS) würden die eingenommenen Gebühren oftmals kaum ausreichen, um die Lehrer zu bezahlen. Unterstützt von der Politik müssten sich die Schulen zusammenschließen, um EdTech auch für deren Schülerinnen und Schüler zugänglich zu machen. Ähnliche Lösungen habe es schon vor der Pandemie gegeben, als etwa mobile Chemielabore zwischen den Schulen ausgetauscht wurden.
Ein Marktversagen liege im EdTech-Sektor nicht vor, ist Tara de Mel aus Sri Lanka überzeugt und unterstreicht: „Je weniger Regulierung, desto besser.“ Bürokratische und steuerliche Hürden müssten vielmehr abgebaut werden. Sri Lanka brauche mehr Start-ups im EdTech-Sektor. Die Regierung müsse die Gründung unterstützen und fördern. Einen enormen Nachholbedarf macht die Expertin bei der Fortbildung von Lehrpersonal im EdTech-Sektor ihres Landes aus.
Wie Tara de Mel ist Meeta Sengupta aus Indien überzeugt davon, dass eine Regulierung des EdTech-Sektors nur zu einem langsameren Wachstum des so wichtigen Marktes führen werde. Außerdem gebe es bereits Regeln zum Verbraucherschutz. Für sie ist die entscheidende Frage, wie es gelingen kann, dass pädagogisch wertvolle Lern-Software auch für die ärmsten Kinder entwickelt wird und die Start-ups gleichzeitig eine Chance haben, wirtschaftlich zu arbeiten. Mit Regulierung sei diese Frage nicht zu lösen. In Pakistan, berichtete Omer Faheem, werde gerade das Curriculum für die Schulen reformiert mit dem Ziel, kostenlosen Content an den Schulen anzubieten. Durch steuerliche Erleichterungen bis zu 70 Prozent würden zudem die Preise für die an den Schulen verwendete EdTech-Hardware deutlich sinken. Eine leichte Regulierung mit der Vorgabe eines Rahmenwerks sei wichtig, so Faheem. Es gebe zudem ein Budget, damit sich Lehrpersonal weiterbilden könne.
Als Vater habe er bei dieser Veranstaltung selbst viel gelernt, sagte zum Abschluss Dr. Carsten Klein, Leiter des Regionalbüros Südasien der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit. Und als liberale Stiftung sei es im Sinne der FNF, den Markt für EdTech nicht zu regulieren.