Bhutan
Wie soziale Medien Bhutan durchdringen und beeinflussen
Als bislang einziges Land der Welt misst das kleine Königreich Bhutan im Himalaya das Bruttonationalglück. Es beruht auf vier Säulen: ökologischer Nachhaltigkeit, nachhaltiger und gerechter wirtschaftlicher Entwicklung, guter Regierungsführung und Gleichheit vor dem Gesetz sowie Förderung eines freien und resilienten Kulturlebens. Nur langsam hat das Land mit seinen gerade mal gut 770.000 Einwohnern die selbst-auferlegte Isolation beendet und sich für die Außenwelt geöffnet. Dazu gehören nicht nur eine moderne Infrastruktur mit einem Flughafen und Straßen, sondern auch ein modernes Bildungs- und Gesundheitssystem sowie Technologie. Ziel des Bergstaates ist es, Bhutan zu digitalisieren, damit alle Bürgerinnen und Bürger Zugang zum Internet haben und auch die öffentliche Verwaltung ihre Services digital anbietet. Das Internet nutzen viele Bürger bereits, um soziale Kampagnen oder Diskussionen in öffentlichen Foren zu organisieren sowie das öffentliche Bewusstsein zu sensibilisieren für Themen rund sozioökonomische Fragen, aber auch Governance, Transparenz oder Korruption. Auf einer Online-Veranstaltung der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit (FNF) Anfang Juni 2022 diskutierten Experten, welchen Einfluss die sozialen Medien heute und künftig auf das moderne Bhutan haben. In zwei vorherigen Webinaren ging es um das Bruttonationalglück sowie die Rolle der Frauen.
Auf das Thema stimmte ein kurzes Video ein, das zeigte, wie die Bürgerinnen und Bürger Bhutans die sozialen Medien nutzen, sei es zum Online-Shopping, für Ed-Tech, Information rund um COVID-19, für die mobile Kommunikation, Infotainment oder etwa den Meinungsaustausch auf Facebook&Co. Zum Auftakt wies Reinhard Wolf, Präsident der Deutschen Bhutan Himalaya Gesellschaft e.V., auf Segen und Fluch der innovativen Medien hin. Ein Vorteil sei, dass auch Bewohner und Bewohnerinnen in den überwiegend ländlichen Gebieten Bhutans erreicht werden könnten. Zu den Nachteilen zählte Wolf das Verbreiten von Fake News, nicht zuletzt während der Coronapandemie. Da unterscheide sich Bhutan nicht vom Rest der Welt. Es müsse darum gehen, die positiven Seiten zu pushen, während man nicht die Gefahren aus den Augen verliere. „Schon Schülerinnen und Schülern müssen einen verantwortungsvollen Umgang mit diesen Medien lernen.“
Aktuelle Zahlen zur Mediennutzung in Bhutan präsentierte Moderator Needrup Zangpo, der als Geschäftsführer der Bhutan Media Foundation die Entwicklung verfolgt. 90 Prozent der Bhutaner und Bhutanerinnen nutzen laut einer Studie seiner Stiftung mindestens ein soziales Medium. Die beliebtesten sind Facebook (wird von 70 Prozent genutzt), WeChat und YouTube. Die durchschnittliche Verweildauer der Nutzerinnen und Nutzer liegt im Schnitt bei 163 Minuten täglich, und damit 18 Minuten mehr als im weltweiten Durchschnitt. Die Menschen suchen vor allem Informationen und nutzen die Medien zur Unterhaltung. Als größtes Ärgernis werden unangemessene Beiträge empfunden. „Die Eltern sehen den Umgang ihrer Kinder mit sozialen Medien zwar kritisch, aber nur ein Drittel kontrolliert die Nutzung“, so ein weiteres Ergebnis der Studie.
Einig waren sich die Webinar-Teilnehmer, dass trotz aller Gefahren die Vorteile der sozialen Medien überwiegen würden. Für Dr. Tshering Cigay Dorji, Technologie-Experte für digitale Transformation und Berater, gehört dazu vor allem die Förderung der demokratischen Kultur des Landes, weil sie den engen und schnellen Dialog von Regierung und Gesellschaft ermöglichen. „Diese Medien können jedem eine Stimme geben, der zuvor kein größeres Publikum hatte.“ Auch die Regierung des Landes gehört zu den sehr aktiven Nutzern. Facebook, Instagram, YouTube und Twitter würden genutzt, um einerseits die Bevölkerung Bhutans über Pläne und Entscheidungen der Regierung möglichst zeitnah auf dem Laufenden zu halten, aber auch um über die Hintergründe aufzuklären. Andererseits seien für sie Feedback und Kommentare wichtig, sagte Kesang Dema, Pressesprecherin des bhutanischen Premierministers, die alle Kanäle betreut. Die traditionellen Medien seien sogar ins Hintertreffen geraten und fühlten sich etwas vernachlässigt, ergänzte Moderator Zangpo.
Für Phub Dorji, CEO von Nyingnor, einem Spezialisten für digitales Marketing, gehört ein zu unkritischer Umgang der Medien mit den von der Regierung via soziale Medien verbreiteten News zu den Schattenseiten der neuen Technologie. „Und die unglaubliche Schnelligkeit führt dazu, dass zum Teil ethische Standards vernachlässigt werden.“ Der traditionellen Presse komme die Aufgabe zu, Nachrichten kritisch zu hinterfragen und einzuordnen. Auch müsse sie bei Fake News gegensteuern, so Cigay. Großen Nachholbedarf sieht Kesang Dema auch beim teils zu laxen Umgang mit Posts von Kindern und Frauen.
Für Dorji gehören Social Media insbesondere für die Jugend Bhutans zu den absoluten Highlights der vergangenen Dekade. Von deren digitalen Skills habe auch der Arbeitsmarkt profitiert. Die Schattenseiten der sozialen Medien wie Anonymität und Diffamierungen sind aus Sicht von Dr. Cigay am effizientesten mit Aufklärung, Medienkompetenz und dem verantwortungsvollen Umgang zu bekämpfen, die schon früh beginnen müsse. Von Regulierung hält der Technologie-Experte nichts. Phub Dorji berichtete, dass er mit Medienexperten eine Facebook-Gruppe gegründet hat, die beim Erscheinen von Fake News etwa über Corona sofort Richtigstellungen bringt. Zangpo ergänzte, dass er die von der Regierung herausgegebenen Leitlinien für den sorgfältigen Umgang mit sozialen Medien in seinen Trainings nutze, diese aber kaum bekannt seien und weder diskutiert noch beachtet würden. Die in sozialen Medien verwendete Technologie ist aus Sicht Cigays keinesfalls wie oftmals diskutiert neutral. „Letztlich hängt es von Likes, Klicks und Algorithmen ab, wie stark ein Post beachtet wird.“
Zu weiteren positiven Aspekten zählten die Experten, dass soziale Medien eine wichtige Rolle beim Aufbau der Wissensgesellschaft spielen, etwa durch die Vermittlung von Lerninhalten via YouTube. Gleichzeitig würden unternehmerische Chancen vertan, weil die Regierung den digitalen Markt für Unternehmer zu stark reguliere, ergänzte Phub Dorji. „Es gibt massive Chancen. Das schließt ein großes Potenzial für den Arbeitsmarkt ein.“
Abschließend berichtete Dr. Carsten Klein, Leiter des Regionalbüros Südasien der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit, dass FNF gemeinsam mit ihrem Partner, der Bhutan Media Foundation, junge Menschen in Medienclubs und an Colleges trainiert, Journalismus und soziale Medien besser zu verstehen. Davon könnte die Qualität von College Newsletters oder Campus Radios profitieren. „Auch das ist eine interessante Säule für die demokratische Entwicklung.“