Taiwan
An Taiwan denken
Was für eine Insel! Okay, es waren nur zwei Tage, in denen eine Delegation unserer Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit Taipeh besuchte, um unseren Global Innovation Hub in dieser ostasiatischen Stadt mit etwas über 2,4 Millionen Einwohnern zu eröffnen. Doch mein zweiter Besuch in Taipeh hat tiefe Spuren hinterlassen, mehr noch als mein erster Besuch im Jahr 2017. Der Grund ist tausende von Kilometern von Taiwan entfernt. Es ist die Ukraine.
Aber beginnen wir mit den herausragenden Eigenschaften Taiwans. Warum haben wir diese abgelegene Insel als unser globales Innovationszentrum ausgewählt? Die Antwort ist einfach: Wir wollten in einem Kommunikations- und Forschungszentrum für den weltweiten technologischen Fortschritt landen. Taiwan ist genau das. Und mehr noch: Anders als viele Orte mit hohem Einkommen in der Welt hat sich Taiwan als Leuchtturm für eine breite Palette sehr unterschiedlicher, gesellschaftlich wertvoller Innovationen erwiesen: weltweit führend in der Produktion von High-End-Mikrochips, die für moderne Computer und die Digitalisierung unverzichtbar sind; führend in der Produktion von ausgefallenen, hochwertigen Mountainbikes, die in mehr als 40 Ländern der Welt verkauft werden; und, nicht zu vergessen, führend in der modernen Gesundheitsfürsorge und der Verhinderung der Ausbreitung von Pandemien, wie der bemerkenswert erfolgreiche Kampf gegen Covid vor den Toren des Ursprungslandes China eindrucksvoll gezeigt hat.
Darüber hinaus ist Taiwan eine lebendige, erfolgreiche Demokratie - fast ein Lehrbuchfall des Liberalismus. In den üblichen Freiheits-Rankings schneidet es in der Regel genauso gut wie Deutschland und etwas besser als Frankreich ab. Es hat eine freie Presse und ein frei diskutierendes Parlament, und es herrscht Rechtsstaatlichkeit - ganz im Gegensatz zu seiner eigenen Vergangenheit bis in die 1980er Jahre und zum benachbarten China, das sich unter Xi Jinping zu einem autokratischen, wenn nicht gar totalitären Regime entwickelt hat. In Taiwan hat die Macht friedlich von der traditionell dominierenden Kuomintang-Partei (KMT) zur liberalen Demokratischen Volkspartei (DPP) gewechselt, und - eines Tages - könnte das Pendel zurückschwingen, auch wenn uns Liberalen das nicht gefallen mag.
Doch gerade diese demokratische Qualität setzt das Land stark unter Druck. Der aggressive Krieg von Putins Russland gegen die Ukraine hat gezeigt, dass ein autokratisches Land mit imperialistischen Neigungen bereit sein kann, einen freiheitsliebenden Nachbarn anzugreifen, insbesondere wenn die Geschichte des Nachbarn eng miteinander verbunden und verflochten ist, wie es bei China und Taiwan offensichtlich der Fall ist. Darüber hinaus hat China rhetorisch immer den Wunsch nach einer friedlichen Vereinigung geäußert, aber eine Rückeroberung durch Krieg nie ausdrücklich ausgeschlossen. Im Gegenteil, in den letzten Jahren hat Xi Jinping seine Rhetorik gegenüber Taiwan verschärft, so dass die mögliche Aussicht auf einen Besatzungsversuch gar nicht so abwegig ist.
Und hier kommt die Ukraine ins Spiel. Nach der russischen Eroberung der ukrainischen Krim im Jahr 2014 ging das Land zu einer "versteckten" Modernisierung seiner Armee über, die von Beobachtern außerhalb militärischer Fachkreise kaum wahrgenommen wurde. Ziel war es, das Land in einen "Igel" oder besser ein "Stachelschwein" zu verwandeln, d. h. in ein gut ausgerüstetes, unverdauliches geografisches Gebilde, das mit mobilen Verteidigungswaffen gespickt ist, die den Feind aufhalten können, ohne selbst zu leichten Zielen zu werden. Offensichtlich hat diese "asymmetrische" Strategie funktioniert - zusammen mit der Unterstützung des Westens, die gerade deshalb erfolgte, weil die Ukraine eine so intelligente und erfolgreiche Verteidigung auf die Beine gestellt hat.
Das ist genau die Strategie, die Taiwan braucht. Im Vergleich zur Ukraine wäre eine solche Strategie für eine Insel wie Taiwan gleichzeitig weniger schwierig und schwieriger: weniger schwierig, weil eine chinesische Besetzung schwieriger zu bewerkstelligen wäre, da die Straße von Taiwan eine Landungsoperation und nicht nur einen Vorstoß auf dem Landweg erfordern würde; schwieriger, weil umgekehrt die Unterstützung aus dem Ausland - insbesondere aus den Vereinigten Staaten - den Ozean überqueren müsste und damit anfällig für Blockaden wäre.
Wie dem auch sei, Taiwan hat keine wirkliche Alternative zu dieser asymmetrischen "Stachelschwein"-Strategie, wenn es einen chinesischen Angriff wirksam abwehren will. Darauf muss es sich vorbereiten. Leider hat es das noch nicht getan, wie der Londoner ECONOMIST in einem kürzlich erschienenen Sonderbericht überzeugend dargelegt hat. In unseren Gesprächen in Taipeh fanden wir die Schlussfolgerungen des ECONOMIST voll bestätigt. Dafür gibt es im Wesentlichen drei Gründe:
Erstens hat Taiwan nicht genügend finanzielle und personelle Ressourcen in die Verteidigung gesteckt. 1,7 Prozent des BIP fließen in öffentliche Verteidigungsausgaben, ganz zu schweigen von Frankreich und Großbritannien oder den USA oder Israel. Zwar hat Taiwan angesichts der zunehmenden Bedrohung die Wehrpflicht von vier auf zwölf Monate verlängert – ein guter erster Schritt, doch nun muss auch die Qualität der Ausbildung verbessert werden.
Zweitens hat Taiwan bisher die falsche Art von moderner militärischer Ausrüstung bestellt und installiert. Im Großen und Ganzen handelt es sich um teure offensive Waffentypen, die in einer defensiven "Stachelschwein"-Strategie praktisch nutzlos sind. Das hat historische Gründe: Das taiwanesische Militärdenken steckt noch immer in einer Welt altmodischer Kuomingtang-Ideen aus der Zeit, als das chinesische Festland wirtschaftlich und militärisch so schwach war, dass eine Rückeroberung der von Chiang Kai-shek in den späten 1940er Jahren verlorenen chinesischen Landmassen nicht völlig abwegig war. Bezeichnenderweise hält die militärische Führung immer noch an der alten Doktrin fest und wehrt sich entschieden gegen eine radikale Hinwendung zu einer asymmetrischen Strategie.
Drittens ist der Geist der Armee im Allgemeinen von oben nach unten und nicht ausreichend von unten nach oben gerichtet. Das ist besonders schlecht für defensive Operationen mit hochmobilen lokalen Einheiten, die ein hohes Maß an Dezentralisierung der Entscheidungsfindung erfordern. Nach Einschätzung spezialisierter Beobachter ist es gerade das hohe Maß an Flexibilität und Autonomie der unteren Einheiten, das erklärt, warum die Ukrainer - zur Überraschung vieler ausländischer Beobachter - die ersten Angriffswellen der Russen so bemerkenswert erfolgreich abwehren konnten. Auf diese Weise gewannen sie genügend Zeit, um sich mit Hightech-Waffen aus dem Westen zu versorgen. Eine ähnliche Strategie der anhaltenden Widerstandsfähigkeit könnte Taiwan gegen China helfen, bis amerikanische und japanische (und andere "westliche") Unterstützung über dem Pazifik eintrifft.
Es liegt auf der Hand, dass Taiwan harte politische Entscheidungen treffen muss, um diese drei großen Defizite zu beseitigen. Das kann Jahre dauern, aber wenn es glaubhaft gemacht wird, könnte es noch erfolgreicher sein als der mutige Kampf der Ukraine gegen Russland. Schließlich kann dadurch eine glaubwürdige Abschreckung aufgebaut und ein Krieg von vornherein vermieden werden. Der Schlüssel dazu liegt in einer frühzeitigen und deutlichen strategischen Kommunikation. China muss klar gemacht werden, dass sich Taiwan in der Tat zu einem "Stachelschwein" umgestaltet, das nicht ohne prohibitive Kosten für den Aggressor geschluckt und verdaut werden kann. Wenn das frühzeitig deutlich signalisiert und von den westlichen Freunden, allen voran den USA, glaubhaft unterstützt wird, dann wird Xi Jinping davon absehen, einen katastrophalen Fehler à la Putin zu begehen, nämlich den Gegner massiv zu unterschätzen. Denn Putin hat sich nicht von einem Angriff abhalten lassen, gerade weil er das "Stachelschwein" offensichtlich nicht als das erkannt hat, was es war - und niemand hat ihm davon erzählt. In dieser Hinsicht kann und muss es Taiwan noch besser machen als die Ukraine.