Restart21
Ein resilientes Stehaufmännchen – was Deutschland von Taiwan lernen kann
Taiwan hat keine einfache Ausgangslage – kaum diplomatische Beziehungen und Mitgliedschaften in internationalen Organisationen, schwierige Geografie, 38 Jahre Kriegsrecht in seiner jüngeren Vergangenheit, zunehmende Bedrohung durch die Volksrepublik, die die Insel als abtrünnige Provinz betrachtet. Trotzdem ist das Land erfolgreich – ein Stehaufmännchen. Die Gründe dafür haben dazu beigetragen, dass Taiwan bisher so gut durch die Pandemie gekommen ist, und auch der jüngste und bisher größte Ausbruch auch ganz gut unter Kontrolle ist.
Taiwan – wo liegt das nochmal? Die Insel hat es nicht unbedingt leicht: Nur 15 Staaten weltweit erkennen Taiwan überhaupt als Staat an. Taiwan hielt lange den „Weltrekord“ für die längste Zeit unter Kriegsrecht (38 Jahre, heute hält Syrien diesen traurigen Rekord). Die Insel liegt auf dem pazifischen Feuerring und ist damit von Erdbeben und Tsunami bedroht. Die Volksrepublik China betrachtet Taiwan als abtrünnige Provinz, und dringt in immer aggressiveren Tönen auf eine Vereinigung. Massive chinesische Desinformationskampagnen sind Teil dieses Spiels. Und gerade erlebt das Land den schlimmsten Coronaausbruch seit Beginn der Pandemie. Nachdem es in Taiwan über 250 Tage lange keine COVID Infektionen gegeben hatte, gilt jetzt auf der ganzen Insel ein Soft-Lockdown, der regelmäßig weiter verlängert wird. Dieser bringt auch hier viele kleinere Geschäfte ins Trudeln, denn alle nicht-essenziellen Geschäfte mussten schließen. Einkaufen darf man nur noch an bestimmten Tagen, je nach Passnummer. Die Schulen und Universitäten sind geschlossen, und somit auch die zugehörigen Mensen. Für viele Landwirtinnen und Landwirte ist damit ein zuverlässiger Abnehmer für ihre Produkte weggebrochen.
Engagement und Digitalisierung to the Rescue!
Wie auch in Deutschland wurden Beschränkungen verordnet, die die Weiterverbreitung des Virus verhindern sollen: Maskenpflicht, Schließung von Geschäften, Verbot von Veranstaltungen und Menschenansammlungen, Kontaktnachverfolgung – das übliche Repertoire.
Kontaktverfolgung in Deutschland sah oftmals so aus, dass man auf einem einsehbaren Papier Name, Adresse und Kontaktdaten eintragen musste. Diese Daten mussten eigentlich streng geschützt aufbewahrt werden – aber oftmals lagen diese Listen frei einsehbar herum, und in einigen Fällen wurden Adressen von den Gästelisten wohl verkauft, und es gab Berichte von Frauen, die per WhatsApp von fremden Männern kontaktiert wurden – die ihre Nummern von so einer Corona-Kontaktverfolgungsliste hatten. Auch in Taiwan muss man sich heute registrieren wenn man ein Shoppingcenter, eine Post oder einen Supermarkt betreten will. Mit Papier und Stift musste man aber nur die ersten Tage nach Bekanntgabe der neuen Regelung hantieren.
Dann wurde ein QR-Code und SMS basiertes System eingeführt. Die Federführung bei diesem Blitz-Projekt hatte Digitalminister*in Audrey Tang. Beim Betreten eines öffentlichen Verkehrsmittels, Supermarktes oder anderem Geschäft scannt man den QR-Code, dann öffnet sich eine SMS die den Code des Supermarktes/der U-Bahn/ des Geschäftes beinhaltet, und dann schickt man diese Information an „1922“, die nationale Hotline der Gesundheitsbehörden die diese Information für 28 Tage speichert. Wer kein Smartphone hat, kann auch selbst eine SMS mit dem Code an 1922 schicken. Wer keine taiwanische Simkarte hat, kann eine App nutzen. Dieses Verfahren dauert 5 Sekunden und die Daten sind da wo sie hin gehören, nämlich bei den Gesundheitsbehörden, und nicht bei Adressenverkäufern.
Auch andere Schwierigkeiten wurden in Taiwan rasch und durch den Einsatz digitaler Technologie gelöst. Und: durch spontanes, selbstorganisiertes Engagement. Das Beispiel mit der „Masken-Karte“ die vorhandene Maskenvorräte in Echtzeit auf Google Maps anzeigt, war mit dafür verantwortlich, dass Taiwans Coronamaßnahmen weltweit so bekannt und bewundert wurden. Hier hat die Digitalminister*in Audrey Tang dafür gesorgt, dass diese Idee skaliert und auf ganz Taiwan ausgeweitet wurde. Die Idee an sich kam aber aus der Zivilgesellschaft, genauer: g0v (sprich: gov zero). g0v ist eine dezentrale civic tech community. Civic Tech nutzt (digitale) Technologie, um es den Bürgerinnen und Bürgern leichter zu machen, mit ihrer Regierung und Behörden zu interagieren und ihre Meinung und ihre Wünsche Kund zu tun. g0v macht genau dieses, und zwar digital, partizipativ und dezentral. Jeder und jede kann mitmachen und etwas beitragen, alles wird digital kommuniziert und koordiniert. Als Taiwan eine Kontaktverfolgungsapp, ähnlich der deutschen Corona Warnapp, ausrollte, organisierte g0v Übersetzungen. Mitmachen konnte jeder – und so gibt es die App nicht nur in Mandarin, sondern auch Englisch, Vietnamesisch, Indonesisch, Thai – aber auch Französisch und Deutsch. Landwirtinnen und Landwirte, die sonst ihre Produkte an Uni- und Schulmensen geliefert hatten, haben sich zusammengeschlossen und über eine Onlineplattform Gemüsekisten angeboten – die innerhalb kürzester Zeit ausverkauft waren.
Deutschland ist nicht Taiwan – übertragbar ist trotzdem einiges
Nun ist es natürlich so, dass Taiwan viel kleiner ist als Deutschland – weniger Menschen, bessere digitale Infrastruktur, mehr Digitalisierung im Alltag und damit einhergehend eine höhere Akzeptanz. Alles richtig. Trotzdem kann Deutschland von Taiwan etwas lernen.
#ohrenauf- Auf die Zivilgesellschaft hören. Und zwar nicht nur im Rahmen von Konferenzen und Konsultationen. Nur weil man nicht für den Staat arbeitet, heißt das noch lange nicht, dass man keine guten Ideen hat, wie man ein akutes und aktuelles Problem lösen kann.
#einfachmalmachen - Das Wissen, dass man Gehör findet, ist wiederum motivierend für die Menschen, die eine Idee für eine Lösung haben.
#wenigeristmehr - Digitale Lösungen sind auch gut, wenn sie nicht auf Blockchain oder einem anderen neuen Trend basieren. Die Kontaktverfolgung in Taiwan funktioniert mit QR Codes und SMS – das ist nun wirklich nicht cutting edge. Aber schnell, einfach, stabil – und erfüllt genau den Zweck den es soll.