China Bulletin
Taiwan - Eine Erfolgsgeschichte der Demokratie
In einer Region, die zunehmend von geopolitischen Spannungen geprägt ist, erweist sich Taiwan als leuchtendes Beispiel für demokratische Werte. Anna Marti, Leiterin des Global Innovation Hub der Friedrich-Naumann-Stiftung in Taipeh, gibt Einblicke in die bemerkenswerte Stabilität und Transparenz der taiwanischen Demokratie. In einem Interview spricht sie über die geopolitische Lage Taiwans, den wachsenden Druck aus China und die Rolle der USA. Zudem reflektiert sie über ihre Arbeit am China Bulletin und die Bedeutung einer liberalen Perspektive auf Taiwan und die Region.
China Bulletin: Vor knapp vier Jahren ist der Global Innovation Hub der Stiftung von Hongkong nach Taiwan verlegt worden. Was sind Ihrer Meinung nach die herausragenden Eigenschaften der taiwanischen Demokratie?
Anna Marti: Ich bin sehr beeindruckt von der taiwanischen Demokratie. Im Politikstudium haben wir gelernt, dass auf Demokratisierung oftmals Chaos folgt. In Taiwan war das nicht so. Weltweit ist an vielen Orten Demokratiemüdigkeit zu spüren – in Taiwan locken Wahlkampfkundgebungen der liberalen Partei mehrere hunderttausend Menschen auf die Straße. Bei der Präsidentschaftswahl im Januar dieses Jahres durfte ich beim Auszählen der Wahlzettel in einem Wahllokal zusehen. In Taiwan ist die Auszählung öffentlich, es war also nichts Besonderes. Und das Lokal war gut gefüllt mit interessierten Menschen! Jeder Wahlzettel wurde hochgehalten und es wurde verkündet, an wen die Stimme geht. Jede anwesende Person hatte das Recht, dies anzuzweifeln und eine Untersuchung des Stimmzettels einzufordern. Dieses Maß an Transparenz einerseits und an Engagement andererseits finde ich beeindruckend. Zudem ist die taiwanische Demokratie ja auch noch ein wichtiger Leuchtturm innerhalb der Region. In Demokratie- und Freiheitsrankings landet Taiwan regelmäßig auf den vorderen Plätzen.
China Bulletin: Geopolitisch liegt Taiwan in einer Region, die mehr und mehr zum Mittelpunkt der Auseinandersetzung zwischen den USA und China wird. Wie schätzen Sie die Lage ein?
Anna Marti: Taiwan ist in einer ungemütlichen Lage. Das ist aber nichts Neues. Die Volksrepublik erhebt seit ihrer Gründung Anspruch auf die Insel. Das Jahr 2024 markiert das 40-jährige Jubiläum der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen den USA und der Volksrepublik China. Für Taipeh war das damals ein Schock. Die USA sind auch heute noch der wichtigste Unterstützer Taipehs, insbesondere wenn es um Waffenlieferungen und die Ausbildung des Militärs geht. Peking war das schon immer ein Dorn im Auge.
Xi Jinping hat den Nationalismus in der Volksrepublik als Werkzeug erkannt, um eine zunehmend gespaltene Gesellschaft unter einer großen Erzählung zu vereinen: Nämlich, dass China von Feinden umgeben sei, die der Volksrepublik den ihr zustehenden „Platz an der Sonne“ nicht zugestehen. Xi verspricht, dies zu ändern. Dass Taiwan nicht Teil der Volksrepublik ist, ist in diesem Narrativ die Schuld der USA und ihrer Einmischung in inner-chinesische Angelegenheiten. Diesen Missstand, diese empfundene Schmähung, will Peking schnellstmöglich korrigieren. Zumindest in der Rhetorik – in der Praxis ist das nicht so einfach. Zum Glück! Aber klar ist auch, dass Xi die Vereinigung noch erleben will, solange er im Amt und bei guter Gesundheit ist. Das baut einen gewissen Druck auf.
China Bulletin: Drei Jahre lang haben Sie das China Bulletin herausgegeben. Was ist Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?
Anna Marti: Die ersten Ausgaben des China Bulletins habe ich mit meiner Kollegin Vanessa Steinmetz herausgegeben. Wir haben uns zusammengesetzt und überlegt, was das für eine Publikation werden soll. Was ist uns wichtig? Wen wollen wir erreichen? Und was soll unsere Botschaft sein?
China ist heute ja ein globales Thema - in Bereichen wie Klimaschutz, Sicherheit oder Finanzen spielt es eine Rolle, was in China passiert und wie China agiert. Was uns gefehlt hat, waren Analysen, die China, Taiwan, Hongkong und die Region aus einer dezidiert liberalen Perspektive betrachten. So haben wir uns zum Beispiel ganz bewusst dafür entschieden, in jeder Ausgabe mindestens einen Artikel zu Hongkong zu bringen. Denn auch wenn Hongkong aus den Schlagzeilen verschwunden ist, so ist es eben nicht egal, was dort passiert und wie liberale Freiheiten beschnitten und abgeschafft werden.
Ebenso war es uns wichtig, immer auch aus Taiwan zu berichten. Seit der Titelstory des Economist „Taiwan - The most dangerous place on Earth“ und dem Chipmangel während der Pandemie ist Taiwan zwar mehr Menschen ein Begriff. Aber für Liberale gibt es auf der Insel noch viel mehr zu entdecken und zu erfahren als Chips und Sicherheitspolitik. Andere Themen schaffen es aber selten in die Medien.
Diese Ausgabe ist nun leider die letzte Ausgabe des China Bulletins in seiner bisherigen Form. Wenn ich an die vergangenen drei Jahre zurückdenke, bin ich besonders stolz auf die Vielfalt unserer Themen. Wir haben oft über Ereignisse berichtet, die nicht (mehr) in den Zeitungen zu lesen waren, die aber gerade für Liberale relevant sind.
Anstelle des China Bulletins wird es zukünftig eine Publikation zu ganz Asien geben. Dort werden wir auch in Zukunft Artikel zu China, Taiwan und Hongkong veröffentlichen. Damit bleibt die China-Expertise der Stiftung für alle Interessierten zugänglich.