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Russische Einflussnahme
Verbot der Russisch-Orthodoxen Kirche in der Ukraine

In diesem Monat tritt in der Ukraine das Verbot der Russisch-Orthodoxen Kirche in Kraft.

In diesem Monat tritt in der Ukraine das Verbot der Russisch-Orthodoxen Kirche in Kraft.

© picture alliance/dpa | Ulf Mauder

Am 20. August beschloss das ukrainische Parlament ein Gesetz, welches Organisationen mit Verbindungen zur Russisch-Orthodoxen Kirche verbieten soll. Das Vorhaben stieß vielerorts auf Unverständnis. Auch Papst Franziskus reagierte empört: “Ich fürchte um die Freiheit derer, die beten, denn wer wirklich betet, betet immer für alle. Ein Mensch tut nichts Böses, weil er betet. Wenn jemand Böses gegen sein Volk tut, wird er dafür schuldig sein, aber er kann kein Böses getan haben, weil er gebetet hat.”

In Wirklichkeit verbietet das Gesetz niemandem das Beten, sondern Beziehungen zur Russisch-Orthodoxen Kirche. Diese wird in dem Gesetzestext als „ideologische Fortsetzung des Regimes des Aggressorstaates, als Komplize von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die im Namen der Russischen Föderation und der Ideologie des russischen Regimes begangen werden“ beschrieben. Ukrainische religiöse Organisationen haben nun 9 Monate Zeit, um die Beziehungen zu dieser Institution zu lösen. Ansonsten entscheidet ein Gericht über ein mögliches Verbot ebenjener Organisation.

Kampf um den religiösen Einfluss des Landes

Seit der Unabhängigkeit der Ukraine 1991 versucht die Russisch-Orthodoxe Kirche das Land in seinen Einflussbereich zurückzugewinnen. Neben der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats besteht seit 2018 die vom Patriarchen von Konstantinopel anerkannte eigenständige Orthodoxe Kirche der Ukraine. Dieser gehört rund die Hälfte der Bevölkerung an. Zahlreiche Kirchengemeinden, die einst dem Moskauer Patriarchat unterstanden, haben sich seit dem großangelegten Überfall 2022 der unabhängigen Orthodoxen Kirche der Ukraine angeschlossen.

Das neue Gesetz zielt offensichtlich auf die Ukrainisch-Orthodoxe Kirche ab. Diese hat am 27. Mai 2022 ihre Unabhängigkeit vom Moskauer Patriarchat bekanntgegeben, weil man sich uneins sei bezüglich der Reaktion auf die russische Invasion. Zugleich erklärte Metropolit Kliment, Vorsitzender der synodalen Informations- und Bildungsabteilung der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche, dass sich der Status der Kirche im Vergleich zu 1990 nicht geändert habe und man die Beziehungen zur Russisch-Orthodoxen Kirche nicht abbreche. Damit bleibt die Ukrainisch-Orthodoxe Kirche eine strukturelle Einheit der Russisch-Orthodoxen Kirche, die bestimmte Rechte der Unabhängigkeit genießt.

Umfragen des Kyjiwer Internationalen Instituts für Soziologie belegen, dass 63 Prozent der Bevölkerung ein Verbot der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche befürworten.

Großrussischer Chauvinismus und antiwestliche Rhetorik

Denn das Oberhaupt des Moskauer Patriarchats Kyrill I. macht kein Geheimnis daraus, dass ihm die Existenz eines unabhängigen ukrainischen Staates ein Dorn im Auge ist.

Die Gründung unterschiedlicher Republiken auf dem Territorium des einstigen Russischen Imperiums bezeichnet Patriarch Kyrill als ein “schreckliches Ereignis in der Geschichte des Vaterlandes”. Seiner Auffassung nach habe Lenin das geeinte Land liquidiert und “unabhängige Staaten auf dem Territorium der historischen Rus” geschaffen.

Insofern ist es wenig verwunderlich, dass das Oberhaupt der Russisch-Orthodoxen Kirche unverblümt die Invasion der Ukraine unterstützt. Den Krieg im Donbas, der seit 2014 anhält, erklärte Kyrill damit, dass die Bewohner sich dagegen auflehnen würden, Schwulenparaden abzuhalten, die ihnen der Westen aufzwingen wolle. Bereits im Juli 2013 bezeichnete Kyrill die Einführung von gleichgeschlechtlichen Ehen als Anzeichen für einen bevorstehenden Weltuntergang. Den Krieg gegen die Ukraine betrachtet er dementsprechend als eine “metaphysische” Auseinandersetzung gegen bösartige Kräfte. Entsprechend den Aussagen von Kyrill werden russischen Soldaten, die in der Ukraine getötet werden, von allen Sünden freigesprochen.

Am 27. März 2024 vergab das vom Patriarchen geleitete Weltkonzil des russischen Volkes eine Stellungnahme, in dem Russlands Invasion der Ukraine als “Heiliger Krieg” bezeichnet wird. Es ginge darum, die Welt vor dem “Ansturm des Globalismus und dem Sieg des Westens zu schützen, der dem Satanismus verfallen” sei. Das gesamte Gebiet der heutigen Ukraine solle demnach in “die Zone des ausschließlichen Einflusses Russlands übergehen” und man müsse zur Doktrin der Dreieinigkeit des russischen Volkes zurückkehren, wonach alle Ostslawen (also auch Ukrainer und Belarussen) “russisch” seien.

Die Ukrainisch-Orthodoxe Kirche und der Krieg

Der Sitz der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats befand sich bislang im Kyjiwer Höhlenkloster. Dessen Vorsteher Metropolit Pawlo steht aufgrund des Vorwurfs der Unterstützung der russischen Aggression seit April 2023 unter Hausarrest. Der Geistliche, der aufgrund seiner Vorliebe für teure Autos auch unter dem Spitznamen “Pascha-Mercedes” bekannt ist, sorgte in der Vergangenheit immer wieder durch seine politischen Kommentare für Aufsehen.

So unterstützte Pawlo im Dezember 2013 die gewaltsame Auflösung der friedlichen Euromaidan-Proteste und verglich den damaligen prorussischen Präsidenten Wiktor Janukowytsch mit Jesus Christus. Anstatt den russischen Überfall im Februar 2022 zu verurteilten, erklärte Pawlo, die Ukrainer würden nun „die Früchte ernten“, weil sie die Warnungen nicht gehört hätten. Im Mai 2022 entließ er einen Priestermönch aus dem Kloster, weil dieser sich geweigert hatte, den Namen von Patriarch Kyrill I. während des Gottesdiensts zu erwähnen.

Für besonders großes Aufsehen sorgte im November 2022 ein Video, auf dem Gläubige im Kyjiwer Höhlenkloster das Lied "Mütterchen Russland erwache" singen. Derartige Vorfälle blieben nicht folgenlos. Bei einer Durchsuchung durch den Sicherheitsdienst der Ukraine wurden im Kloster prorussische Flugblätter und ein Portrait des Patriarchen Kyrill gefunden. Zudem gab im November 2022 der Geheimdienst bekannt, dass 33 Agenten und Artilleriebeobachter in den Reihen der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats ausfindig gemacht werden konnten. Einer Aufforderung des Kultusministeriums, das Gelände des Kyjiwer Höhlenklosters bis zum März 2023 zu räumen, ist die Ukrainisch-Orthodoxe Kirche bislang nicht nachgekommen.

Religionsfreiheit in den besetzten Gebieten

Im Mai 2014 wurde in der selbsternannten “Volksrepublik Donezk” die Russisch-Orthodoxe Kirche zur offiziellen Hauptreligion erklärt. Das Moskauer Patriarchat kommentierte diese Entscheidung nicht, während andere religiöse Gemeinschaften in Donezk auf diese Nachricht mit Besorgnis reagierten und eine zunehmende Verfolgung befürchteten. Am 8. Juni 2014 entführten Angehörige der “Russisch-Orthodoxen Armee” während eines Gottesdiensts in der Stadt Slowjansk vier Angehörige der Pfingstbewegung und richteten diese am Folgetag hin. Angehörige derselben Miliz beteiligten sich auch an Übergriffen gegen Priester der katholischen Kirche.

Hilarion, der Metropolit der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche in Donezk, unterstütze ab 2014 die russische Besatzung des Donbas. Er entließ sämtliche Priester, die eine proukrainische Haltung einnahmen und schickte seine Untergebenen zu Treffen mit den russischen Milizen. Auch auf der annektierten Krim werden religiöse Minderheiten verfolgt. Die letzte bestehende Kirche der unabhängigen Orthodoxen Kirche der Ukraine wurde im Juli 2024 abgerissen. Es ist wenig verwunderlich, dass Patriarch Kyrill die Annexion der Halbinsel befürwortet und die deswegen eingeführten westlichen Sanktionen im April 2015 als “ungerecht” und “gesetzeswidrig” bezeichnet hat.

Die Russisch-Orthodoxe Kirche in Europa

Mehrere Staaten, darunter Kanada, Tschechien, Großbritannien und Litauen haben aus den oben genannten Gründen Sanktionen gegen Kyrill I. verhängt. EU-weite Sanktionen gegen das Oberhaupt der Russisch-Orthodoxen Kirche scheiterten bislang am Widerstand Ungarns.

Nichtsdestotrotz sorgt das Vorgehen der ukrainischen Regierung gegen die Russisch-Orthodoxe Kirche nicht nur bei Papst Franziskus für entsetzte Reaktionen. Mark Arndt, der Russisch-Orthodoxe Erzbischof von Berlin und Deutschland, welcher die Invasion der Ukraine ablehnt, wirft der ukrainischen Regierung vor, die Kirche schlimmer zu verfolgen als es unter Adolf Hitler der Fall gewesen sei.

Im November 2023 wurde im UN-Sicherheitsrat auf Antrag Russlands eine Sitzung abgehalten, in der die vermeintlich bedrohte Situation der Religions- und Glaubensfreiheit in der Ukraine beklagt wird. Selbst im US-Wahlkampf ist die Einschränkung der Tätigkeit der Russisch-Orthodoxen Kirche zum Thema geworden. Donald Trumps Vizepräsidentschaftskandidat J.D. Vance beschuldigt die Ukraine, traditionelle christliche Gemeinschaften „anzugreifen“ und möchte daher die Militärhilfe als Druckmittel einsetzen, um die vermeintlich gefährdete Religionsfreiheit zu gewährleisten. Und auch in Deutschland zeigt die AfD-Fraktion in einer Anfrage an die Bundesregierung große Besorgnis um die “Religionsfreiheit in Bezug auf die Russisch-Orthodoxe Kirche in der Ukraine sowie der Europäischen Union”.

Die Ukrainisch-Orthodoxe Kirche hat seit dem russischen Überfall einen Großteil ihrer Anhänger an die Orthodoxe Kirche der Ukraine verloren. Der Prozentsatz der Angehörigen dieser Kirche in der Bevölkerung ist laut einer Umfrage vom Juni 2021 bis zum Juli 2022 von 18 auf 4 Prozent geschrumpft. Auch wenn der Einfluss der Russisch-Orthodoxen Kirche in der Ukraine bereits signifikant abgenommen hat, im Ausland bleibt das Verbot ein kontrovers diskutiertes Thema.

Alexander Moisseenko studiert als Stipendiat der Friedrich-Naumann-Stiftung Internationale Beziehungen an der Universität Warschau. Er hat einen Bachelorabschluss in Politik und Gesellschaft.