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Eine Kolumne von Karl-Heinz Paqué

Wachstumspolitik
Paus´ Pause muss schnell enden

Deutschland braucht dringend eine offensive Wachstumspolitik. Und zwar sofort.
Lisa Paus, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, und Christian Lindner, Bundesminister der Finanzen.

Lisa Paus, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, und Christian Lindner, Bundesminister der Finanzen.

© picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Markus Schreiber

Alle warten auf die wachstumspolitische Offensive der Bundesregierung. Spätestens seit der niederschmetternden IWF-Prognose vom Juli ist klar, dass Deutschland aktuell zu den wachstumsschwächsten Ländern der Welt gehört. Mit der ZEW-Prognose von dieser Woche bestätigt sich dieses Bild. Selten gab es deshalb über die Breite des politischen Spektrums so viel Einigkeit, dass eine Reihe angebotspolitischer Maßnahmen zur Verbesserung der Standort-, Wettbewerbs- und Finanzierungsbedingungen dringend nötig ist, damit Deutschland wenigstens auf mittlere und lange Sicht auf einen stabilen Wachstumskurs zurückfinden kann.

Tatsächlich liegen schon drei wachstumspolitische Gesetzesprojekte bereit oder stehen kurz vor dem Abschluss, um beschlossen und umgesetzt zu werden: aus Christian Lindners Finanzministerium das Wachstumschancengesetz mit Steuererleichterungen für Unternehmen sowie das Zukunftsfinanzierungsgesetz mit Verbesserungen der Rahmenbedingungen für Start-ups; und als Drittes aus Marco Buschmanns Justizministerium der Entwurf eines Bürokratieentlastungsgesetzes.

Der Startschuss für diese Sequenz von Gesetzesvorhaben sollte in der Kabinettssitzung Mitte dieser Woche erfolgen, scheiterte aber an dem Einspruch von Lisa Paus, der grünen Familienministerin, die – obwohl fachlich kaum betroffen – offenbar ein Junktim herstellen will zwischen der Verabschiedung der Kindergrundsicherung und der neuen wachstumspolitischen Gesetzgebung. Das ist unverantwortlich. Zu Recht wird nun allerorten auf die Binsenweisheit hingewiesen, dass erst verteilt werden kann, was vorher erwirtschaftet wurde, dass also die Funktionsfähigkeit des Sozialstaates essenziell davon abhängt, dass durch wirtschaftliches Wachstum zusätzliche Steuermittel fließen, um ihn zu finanzieren.

Die Bundesregierung steht deshalb tatsächlich an einer Weggabelung von überragender Bedeutung: Entweder sie setzt die politische Priorität auf Wachstum oder auf Verteilung. Allzu viel Spielraum für Kompromisse dürfte es in der derzeitigen Finanzlage kaum mehr geben. Und schon gar keine Abstriche bei den Entlastungen für die Wirtschaft, die sich nach allgemeinem Eindruck eher am unteren Rand des Nötigen bewegen. Mehr muss später folgen.

Vor drei Wochen habe ich an dieser Stelle unter dem Titel „Alarmsignal der Angebotspolitik“ die wirtschaftspolitische Lage beschrieben und den Katalog der notwendigen Maßnahmen skizziert. Aus aktuellem Anlass wird der Beitrag hier nochmals präsentiert:

Alarmsignal für Angebotspolitik

hamburg
© picture alliance / imageBROKER | Justus de Cuveland

Dieser Artikel wurde erstmals am 28. Juli 2023 auf freiheit.org veröffentlicht.

Deutschland rutscht in die Rezession. Dies hat der Internationale Währungsfonds gerade prognostiziert. Andere globale Beobachter sehen dies genauso. In den Economic & Financial Indicators des Londoner ECONOMIST ist Deutschland die einzige westliche Nation, die für 2023 eine negative Wachstumsprognose ausweist. Weltweit liegen in dieser Vorhersage nur Russland und Argentinien schlechter.

Manche Beobachter wiegeln ab. Sie sehen kurzfristige Wirkungen zu Lasten Deutschlands – vor allem die Abkehr von russischem Gas, die hierzulande besonders zu Buche schlägt. Das stimmt, aber es ist nur ein kleiner Teil der Wahrheit. Deutschlands Wachstumsschwäche hat tiefere Gründe und ist langfristig angelegt. Sie ist deshalb höchst gefährlich, zumal der internationale Standortwettbewerb sich grundlegend verschärft hat. Vor allem die Vereinigten Staaten arbeiten mit allen Mitteln an einer Re-Industrialisierung ihres Landes. Und dies wird nach der nächsten Präsidentschaftswahl weitergehen, ob mit Joe Biden oder Donald Trump. Die mit Abstand größte Volkswirtschaft der Welt, noch immer das Eldorado eines marktwirtschaftlichen Kapitalismus, kämpft mit Macht um industrielle und innovative Kraft.

Darauf muss Deutschland endlich eine entschlossene Antwort geben. Sie kann nur darin bestehen, ein Paket der offensiven Angebotspolitik zu schnüren, mit dem die Nation wieder in die globale Spitzengruppe der Investitionsstandorte zurückkehrt. Das Wachstum muss als hohes Ziel der Politik zurück auf die Agenda, die Umverteilung muss zurückstehen. Erst wenn Deutschland wieder zu den dynamischsten Volkswirtschaften der Welt gehört, gibt es auch genug an Wertschöpfung und Einkommen zu verteilen, ohne die Wirtschaft in eine Spirale der Schrumpfung zu führen. Jede Zeit hat ihre Prioritäten. In den zwanziger Jahren des 21. Jahrhunderts müssen dies in Deutschland industrielle Investitionen und Innovationen sein.

Dazu braucht es – wen wundert’s? – eine grundlegende Verbesserung der Rahmenbedingungen für unternehmerische Aktivität. Mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz ist ein erster Schritt getan, um qualifiziertes Personal auch aus dem Ausland zu gewinnen – durch Beseitigung bürokratischer Hemmnisse. Dies kann helfen, die massiv ansteigende Zahl offener Stellen zu besetzen und damit ein wichtiges Wachstumshemmnis zu mildern. Aber das wird nicht reichen. Weiteres muss folgen, vor allem was Steuern, Finanzierung und Bürokratie sowie den internationalen Handel und die Energiepolitik betrifft.

Was die Steuerbelastung angeht, so ist eines klar: Deutschland ist im internationalen Vergleich ein unattraktives Hochsteuerland. Deshalb braucht es eine bessere Behandlung von Investitionen und Innovationen. Ein allfälliges Wachstumschancengesetz, das die FDP für die Ampelkoalition vorschlägt, muss deshalb die steuerliche Forschungsförderung stärken, den steuerlichen Verlustvortrag verbessern, den Liquiditätsspielraum durch Sofort- und Sonderabschreibungen erweitern und möglichst eine Prämie zur Unterstützung der Transformation der Wirtschaft gewähren, insbesondere – aber nicht nur – bei Investitionen in den Klimaschutz.

Was die Unternehmensfinanzierung betrifft, ist Deutschland unterentwickelt, vor allem im Vergleich zu den USA mit ihren gigantischen Risikokapitalmärkten. Hier ist dringender Handlungsbedarf durch ein Zukunftsfinanzierungsgesetz, das die FDP für die Ampel fordert. Es sollte das Mindestkapital und die Regulierungshürden für einen Börsengang absenken, die Anlage institutioneller Investoren in Start-ups und wachstumsorientierten KMUs erleichtern sowie neue Transaktionsformen wie Special Purpose Acquisition Companies zulassen. Mehr Anreize zum Sparen und Vermögensaufbau in Aktien müssen hinzukommen, genauso wie die Digitalisierung des Kapitalmarkts etwa durch Emissionen von elektronischen Wertpapieren (z. B. mit Blockchain-Technologie).

Was die Bürokratie betrifft, ist die Lage in Deutschland längst legendär. Genehmigungsverfahren ziehen sich viel zu lang hin, zentrale Infrastrukturprojekte brauchen Jahre, wenn nicht Jahrzehnte der Planung und Umsetzung. Hier brauchen wir einen radikalen Schnitt, an dem Bundesjustizminister Marco Buschmann derzeit arbeitet – mit dem Bürokratieentlastungsgesetz IV. Dieser Schnitt, sobald er kommt, muss dann auch weithin als solcher zu erkennen sein – nach innen und nach außen: nach innen, um einen radikalen Schwenk der Prioritäten durch die eigene Verwaltung zu veranlassen, nach außen, um zu signalisieren, dass sich das Land grundlegend für Investoren zum Positiven verändert. Erste Ansätze dazu sind erkennbar: So übt Bundesverkehrsminister Wissing für den Bund als Hauptanteilseigner der Bahn zunehmend harten Druck auf das Großunternehmen aus, seine Infrastruktur und Servicequalität umfassend und zügig zu verbessern. Das ist gut so. Noch viel mehr muss aber folgen.

Es bleibt der internationale Handel – für Deutschland als Exportnation von überragender Bedeutung. Hier muss endlich die Europäische Union vorangehen und anliegende Handelsabkommen voranbringen und abschließen, so etwa jene mit dem Mercosur, aber auch mit Indien, Neuseeland und Australien sowie den Vereinigten Staaten. Dabei muss die EU pragmatisch handeln, was ökologische und soziale Standards in den Partnerländern betrifft – ohne grün-patriarchalische Haltung, die in den Partnerländern als „Neokolonialismus“ verstanden wird und zügige Abschlüsse verhindert. Hier ist schon viel zu viel Zeit verstrichen, die nur konkurrierenden staatskapitalistischen Ländern wie China und Russland hilft, ihren Einfluss geopolitisch auszuweiten – durch schnellen Abschluss eigener Abkommen und strategische Investitionen vor Ort wie etwa dem chinesischen Erwerb des Hafens von Montevideo in Uruguay.  

Schließlich bleibt für Deutschland ein ungelöstes Dauerproblem: die Energiepolitik. Der Ausstieg aus der Atomkraft erfolgte – zur Unzeit. Vorerst müssen wir wohl mit ihm politisch leben, bis vielleicht schon in wenigen Jahren neue Technologien der Atomnutzung eine Renaissance der Kernkraft in Deutschland ermöglichen. Eine Entwicklung, die sich im Übrigen schon jetzt in vielen unserer Partnerländer abzeichnet. Bis dahin muss aber alles getan werden, um infrastrukturell den Weg in die Erneuerbaren Energien zu ebnen und durch digitalisierte Steuerung die marktgemäße Energieversorgung zu sichern. Dazu zählen Anstrengungen auf allen Ebenen, und dies ohne Hast und in einer ökonomisch sinnvollen Reihenfolge – so wie jüngst durch die tiefen Änderungen am Entwurf des Gebäudeenergiegesetzes (GEG) tatsächlich geschehen. Hinzukommen muss endlich eine stärkere Koordinierung der Energiepolitik in Deutschland mit jener in unseren Nachbarländern. Ein Großteil der deutschen Misere ist nämlich eigenverschuldet – durch überaus hastige Alleingänge, die sich nicht bewährten. Damit muss Schluss sein.

Fazit: Deutschland steht wie lange nicht mehr vor grundlegenden Herausforderungen der Angebotspolitik für wirtschaftliches Wachstum. Nur wenn diese bewältigt werden, bleibt die Nation ein global führendes Industrieland, das seinen Sozial- und Wohlfahrtsstaat aus eigener Kraft finanzieren kann.