Kroatien
Showdown in Zagreb
Am 15. März schockierte Präsident Zoran Milanović die kroatische Öffentlichkeit gleich zwei Mal: Zum einen, als er die für Mai avisierte Parlamentswahl auf den 17. April, einen Mittwoch, verlegte. Nur Stunden später ätzte der Präsident gegen die Korruptionspraktiken der dauerregierenden HDZ und gab – als Staatspräsident wohlgemerkt – seine Kandidatur als Premierminister in einer „Regierung der nationalen Rettung“ bekannt.
Milanovićs Rede war, wie es inzwischen typisch ist für ihn, versehen mit Beleidigungen von Premierminister Andrej Plenković und der von ihm geführten nationalkonservativen Regierung. Aufhorchen ließ die Beobachter vor allem die Ankündigung, dass der (Noch-) Präsident erst nach einem „sicheren Wahlsieg“ von Amt des Staatspräsidenten zurücktreten möchte, um sich dann sogleich als Premierminister wählen zu lassen.
Präsident Milanović war von 2011-2015 selbst Premierminister Kroatiens und verspielte 2016 einen schon sicher geglaubten Wahlsieg gegen den damals nur mäßig bekannten Europaabgeordneten Andrej Plenković. Damit wird die Parlamentswahl auch zur Bühne, auf der zwei kroatische Machtpolitiker miteinander abrechnen: Insidern zufolge reicht ihre Rivalität über dreißig Jahre zurück, als beide in den nach der kroatischen Unabhängigkeit neu gegründeten diplomatischen Dienst Kroatiens eintraten.
Entwicklungen nach Milanovićs Tirade
Die überraschende Ankündigung des Präsidenten versetzte die politische Szene Kroatiens in Aufregung. Vorgeblich erhöht dies die Chancen eines Wahlbündnisses links-zentristischer Oppositionsparteien unter Einbeziehung der sozialdemokratischen Präsidentenpartei SDP, da viele Wählerinnen und Wähler die direkte Art ihres Präsidenten durchaus schätzen – in allen Umfragen ist der Populist mit Abstand der beliebteste Politiker des Landes. Und tatsächlich steigt in der Bevölkerung die Wut gegen die dauerregierende HDZ nicht nur im linken, sondern auch im rechten Teil des politischen Spektrums. Bis zum Wahltag geht es für die Opposition nun vor allem darum, die Bürgerinnen und Bürger von Gang an die Wahlurne zu überzeugen.
Drei Tage nach dem fragwürdigen – und rechtlich umstrittenen – Auftritt des Präsidenten fällte das Verfassungsgericht ein erstes Urteil über die Ausführungen des Präsidenten. Und das hatte es in sich: So darf Milanović als Staatspräsident weder für einen Sitz im Parlament kandidieren noch sich am Wahlkampf politisch beteiligen oder von einzelnen Parteien als möglicher Kandidat für den Posten des Regierungschefs gehandelt werden. Damit steht zu befürchten, dass sich Milanović mit seinem Herumgetollter selbst zum Hauptthema des Wahlkampfes gemacht hat, anstatt wie geplant die Korruption der Regierung zu thematisieren.
Ob die kroatischen Wählerinnen und Wähler genug von der HDZ und Premierminister Plenković haben, wird der Verlauf des Wahlkampfs zeigen. Ob aber ausgerechnet Milanović, sollte er irgendwie Premierminister werden, das Boot in ruhiges Fahrwasser bringen kann, steht auf einem anderen Blatt. Die Grundsatzentscheidung zwischen zwei Alphatieren, und nicht etwa die Thematisierung von Sachfragen, könnte nicht den Ausgang der Parlamentswahl am 17. April, sondern auch den der Europawahl am 9. Juni und der Präsidentschaftswahl im Dezember bestimmen.
Die Aussichten: heiter bis wolkig
Laut den jüngsten Umfragen erhielte die nationalkonservative HDZ rund 25-30 Prozent der Stimmen, die sozialdemokratische SDP 20-25 Prozent. Dazu gesellen sich drei höchst unterschiedliche Parteien, deren Abschneiden zum Zünglein an der Waage werden könnte: die rechtspopulistische „Most“ („Brücke“), die grüne Partei „Možemo!“ („Wir können es!“) sowie die xenophobe „Domovinski pokret“ („Heimatbewegung“). Alle liegen rund einen Monat vor der Wahl bei ca. acht Prozentpunkten, alle fürchten jedoch auch, in einem Zweikampf zwischen Präsident und Premierminister zerrieben zu werden. Alle drei Parteien eint jedoch eine große Animosität gegenüber der HDZ, jedoch aus ideologisch völlig verschiedenen Richtungen.
Trotz allem glaubt Präsident Milanović, einen Spagat zwischen seiner sozialdemokratischen SDP, den Grünen von „Možemo“ und den äußersten Rechten aufs Parkett legen zu können, um die HDZ mit ihrem amtierenden Premierminister Plenković von der Macht zu vertreiben. Wie genau die so unterschiedlichen Parteien miteinander regieren sollen, ist indes unklar. Ganz der Populist, der er ist, zitierte Präsident Milanović einen in Kroatien bekannten Liedtext, wonach „im Frühling die Flüsse der Gerechtigkeit wieder fließen sollen“.
Trotz einer günstigen wirtschaftlichen Entwicklung geriet die HDZ in der Legislaturperiode wiederholt in der Defensive, vor allem wegen Korruption. Seit Plenkovićs Amtantritt als Premierminister mussten etwa dreißig Minister von ihren Ämtern zurücktreten, in den allermeisten Fällen aufgrund von Korruption. Zwei „Patzer“ Plenkovićs untermauerten jüngst den negativen Eindruck in der Öffentlichkeit: Zunächst wurde ein Richter mit bewiesenen Verbindungen ins kriminelle Milieu mit HDZ-Stimmen zum Generalstaatsanwalt gewählt. Kurz nach diesem Vorfall geriet Premierminister Plenković in einen Streit mit der EU-Staatsanwaltschaft EPPO, der er die Kompetenz absprach, die vermeintliche Veruntreuung europäischer Gelder in Kroatien zu untersuchen – und so seinem Ansehen unter den europäischen Partner schädigte.
Und die Liberalen?
Leider treten die diversen liberalen Parteien Kroatiens auch bei diesen Wahlen in verschiedenen Lagern auf: die istrische IDS und die Partei „Fokus“ bauten eine eigene Vorwahlkoalition mit kleineren zentristischen Parteien auf, während die in Dalmatien starke Partei „Centar“ Teil einer Koalition unter Führung der SDP ist. Die liberal-konservative HSLS wiederum vereinbarte, wie schon in den Jahren 2016 und 2020, eine Koalition mit der HDZ. Zu befürchten steht, dass die Liberalen auf diese Weise keines ihrer verschiedenen Profile werden schärfen können.
Es wäre als Erfolg anzusehen, wenn die noch immer junge kroatische Demokratie ihre Kinderkrankheiten – heuer in Form einer stark polarisierenden Kampagne und eines nicht die Verfassung respektierenden, irrlichternden Präsidenten – überstehen würde. So wäre nicht nur die Zukunft Kroatiens als halbwegs stabiles EU-Mitglied gesichert, sondern auch der Grundstein für eine produktivere Rolle des Landes bei den Beitrittsverhandlungen mit den anderen Westbalkan-Staaten gelegt.