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Parlamentswahlen in Kroatien
King Kong gegen Godzilla – auf kroatische Art

Kroatischer Präsident Zoran Milanovic

Der kroatische Präsident Zoran Milanović

© picture alliance / PIXSELL | Slavko Midzor

Mitte März löste sich das kroatische Parlament, der Sabor, auf, um den Weg freizumachen für turnusgemäße Neuwahlen. Schon einen Tag später machte der für seinen Hang zur Exzentrik bekannte Präsident Zoran Milanovic dem politischen Establishment des Landes zwei Striche durch die Rechnung.

Zuerst legte der Präsident, der aus seinem Populismus keinen Hehl macht, die Parlamentswahl auf Mittwoch, den 17. April, fest und erklärte den Tag umgehend zu einem Feiertag, damit alle kroatischen Staatsbürgerinnen und Bürger unabhängig von ihren beruflichen Verpflichtungen wählen können. Allerdings lebt eine nicht unerhebliche Anzahl von Kroatinnen und Kroaten im Nachbarstaat Bosnien und Herzegowina, die traditionell eher der konservativ-nationalistischen „Hrvatska demokratska zajednica“ (HDZ, „Kroatisch-Demokratische Union“) nahestehen. Diese wiederum könnten durch den unkonventionellen Wahltermin an einem Wochentag Schwierigkeiten haben, ihre Stimme abzugeben. Präsident Milanović machte denn auch unmissverständlich klar, dass er dieses Manöver gewählt habe, um „die Vormachtstellung der HDZ“ zu brechen.

Die Ausgangslage: zwei Alphatiere unter sich

Der zweite Coup folgte dann am Nachmittag desselben Tages, als der zu politischer Unabhängigkeit verpflichtete Präsident bei einer Pressekonferenz der oppositionellen „Socijaldemokratska partija Hrvatske“ (SDP, Sozialdemokratische Partei Kroatiens) aufkreuzte und, aufgebaut neben dem Parteivorsitzenden Pedja Grbin, seine eigene Kandidatur für den Posten als Premierminister anmeldete. Damit wurde die Parlamentswahl umgehend zu einer Bühne, auf der zwei kroatische Machtpolitiker, Zoran Milanović und der amtierende Premierminister Andrej Plenković, miteinander abrechnen.

Der amtierende Ministerpräsident Andrej Plenkovic, Mitte rechts, nimmt an einer Kundgebung seiner Partei in Zagreb, Kroatien, teil

Der amtierende Ministerpräsident Andrej Plenković, Mitte rechts, nimmt an einer Kundgebung seiner Partei in Zagreb, Kroatien, teil

© picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Darko Bandic

Gerüchten zufolge reicht die Rivalität der beiden über dreißig Jahre zurück, als sie zeitgleich in den nach der kroatischen Unabhängigkeit neu gegründeten diplomatischen Dienst eintraten. Im Jahr 2016 verspielte Milanović, von 2011 bis 2015 selbst Premierminister, einen sicher geglaubten Wahlsieg gegen den damals nur mäßig bekannten Europaabgeordneten Andrej Plenković, der seitdem Premierminister ist.

Eines der Hauptthemen ist zurzeit die Korruptionsanfälligkeit der seit knapp zehn Jahren regierenden HDZ: seit Plenkovićs Amtsantritt als Premierminister mussten bereits rund 30 Ministerinnen und Minister von ihren Ämtern zurücktreten, nicht selten aufgrund von Korruption. Auch Plenković, obwohl nach wie vor mit „blütenweißer Weste“, unterliefen neulich zwei Patzer: zunächst wurde ein Richter mit nachgewiesenen Verbindungen ins kriminelle Milieu mit Stimmen der HDZ zum Generalstaatsanwalt gewählt. Kurz nach diesem Vorfall brach Plenković einen öffentlich ausgetragenen Streit mit der EU-Staatsanwaltschaft vom Zaun, der er die Zuständigkeit für die Veruntreuung von EU-Mitteln in Kroatien absprach.

In den ersten Tagen des Wahlkampfs ging Milanovićs Rechnung, einen „Anti-HDZ-Wahlkampf“ zu führen, sogar auf: seine scharfen, oft vulgär und beleidigend vorgetragenen Korruptionsvorwürfe adressiert an die Regierung Plenković brachten der SDP einen Popularitätsschub. Allerdings erklärte das kroatische Verfassungsgericht nur drei Tage nach Bekanntgabe des Wahltermins die Absicht des Präsidenten, sich als Premierminister zur Wahl zu stellen, für verfassungswidrig. Als Präsident habe er überparteilich zu sein und könne daher keine Funktion in einem Wahlkampf wahrnahmen – selbst die bloße Teilnahme an der Kampagne sei mit der Verfassung unvereinbar.

Dadurch wurde Milanović – der sich beharrlich weigerte, als Präsident zurückzutreten, um als Kandidat für den Posten des Premierministers anzutreten – selbst zum negativen Hauptthema des Wahlkampfs. Auch seine Pläne, als nomineller Sozialdemokrat mit Rechtsaußen-Parteien eine „Regierung der nationalen Rettung“ zu begründen, stießen in der SDP-geführten Oppositionskoalition auf betretenes Schweigen. Milanovićs Beliebtheitswerte rauschten in den Keller.

Die möglichen Szenarien

Laut jüngsten Umfragen erhielte die nationalkonservative HDZ rund sechzig der 151 Parlamentsmandate, die Koalition um die sozialdemokratische SDP rund 45 Sitze. Dazu gesellen sich drei höchst unterschiedliche Parteien, die allesamt jeweils zum Zünglein an der Waage werden können: die rechtspopulistische „Most“ („Brücke“), die grüne Partei „Možemo!“ („Wir können es!“) sowie die xenophobe „Domovinski pokret“ („Heimatbewegung“). Alle liegen in Umfragen bei rund zehn Mandaten. Alle drei Parteien eint eine große Animosität gegenüber der HDZ, jedoch aus ideologisch völlig verschiedenen Richtungen. Daraus ergeben sich drei potentielle Wahlausgänge:

1. Die Oppositionskoalition unter verdeckter Führung von Milanović erreicht keine absolute Mehrheit, liegt aber vor der regierenden HDZ. In diesem Fall wären sowohl die Grünen als auch die rechtsgerichteten „Most“ und „Domovinski pokret“ bereit, eine Minderheitsregierung von Milanović zu unterstützen. Dies wäre eine höchst instabile Lösung mit einem einzigen gemeinsamen Ziel: die Jahrzehnte lang aufgebauten HDZ-Strukturen und -Netzwerke innerhalb der kroatischen Verwaltung zu zerschlagen und die damit verbundene Korruption auszumerzen. Die außenpolitische Orientierung dieses Zweckbündnisses wäre aus europäischer Sicht fragwürdig und könnte zu einer von Milanović angekündigten „Croatia First!“-Politik führen, die insbesondere die EU-Politik auf dem Westbalkan torpedieren könnte.

2. Die regierende HDZ wird erneut stärkste Partei und schafft es mit Hilfe der Stimmen der nationalen Minderheiten, der Auslandskroaten und kleinerer Parteien, die Mehrheit von 76 Sitzen auf sich zu vereinen. Eine neue Regierung Plenković wird sich, nicht zuletzt unter Druck der EU, stärker als bisher der Korruptionsbekämpfung widmen müssen. Falls Plenković, der bei dem rechten Flügel der HDZ wenig beliebt ist, das Handtuch wirft, wird ein Rechtsruck der HDZ-Regierung wahrscheinlich. Plenković könnte sich in diesem Fall entweder um eine hohe EU-Position bemühen, oder aber im Dezember gegen Milanović als Präsident kandidieren.

3. Weder Plenković noch Milanović schaffen es, binnen sechzig Tagen eine Regierung zu bilden, was zu neuen Wahlen im Hochsommer führen würde. Bei einer zu erwartenden weitaus geringeren Wahlbeteiligung sollte in diesem Fall die HDZ als Favorit gelten.

Und die Liberalen?

Leider treten die verschiedenen liberalen Parteien Kroatiens auch bei dieser Wahl in verschiedenen Lagern an: die istrische Regionalpartei IDS baute gemeinsam mit der Partei „Fokus“ eine eigene kleine liberale Vorwahlkoalition mit weiteren zentristischen Parteien auf, die auf vier bis sechs Mandate hofft. Die insbesondere in Dalmatien starke Partei „Centar“ wiederum hofft, als Teil der SDP-geführten „Anti-HDZ-Koalition“ zur Fraktionsstärke von drei Mandaten zu kommen. Die liberal-konservative „Hrvatska socijalno-liberalna stranka“ (HSLS, „Kroatische Sozial-Liberale Partei“) hingegen vereinbarte, wie schon in den Jahren 2016 und 2020, eine Koalition mit der HDZ, und wird daraus ein oder zwei Mandate holen. Es steht zu befürchten, dass keine der liberalen Parteien dadurch ihr Profil wird schärfen können.

Fazit

Die Entscheidung zwischen zwei Alphatieren – und nicht etwa die Auseinandersetzung mit Sachthemen – könnte nicht nur den Ausgang der Parlamentswahl, sondern auch den der Europawahl im Juni und der Präsidentschaftswahl im Dezember bestimmen. Falls die andauernden Beleidigungen zwischen Milanović und Plenkovićs Ministerriege die Wähler ermüden und die Wahlbeteiligung auf einen noch geringeren Wert als die 46,9 Prozent der letzten Wahl 2020 drücken wird, wäre dies ein schlechtes Omen für die kroatische Demokratie.

Es wäre als Erfolg anzusehen, wenn die noch immer junge kroatische Demokratie ihre Kinderkrankheiten – in Form einer stark polarisierten Kampagne und eines die Verfassung missachtenden, irrlichternden Präsidenten – einigermaßen schadlos überstehen würde. So wäre nicht nur die Zukunft Kroatiens als halbwegs stabiler EU-Mitgliedstaat gesichert, sondern auch der Grundstein für eine produktivere Rolle des Landes bei den EU-Beitrittsverhandlungen anderer Westbalkan-Staaten gelegt.

Dušan Dinić ist Senior Manager für Kroatien & Serbien im Büro der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit am Standort Belgrad.