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Eine Kolumne von Karl-Heinz Paqué

100 Jahre Dawes-Plan
Der Durchbruch zum Dawes-Plan

Vor 100 Jahren wurde die Stresemann-Strategie der Stabilisierung Deutschlands zum politischen Abschluss gebracht. Sie war ein gewaltiger Erfolg. Erst die Weltwirtschaftskrise 1930/32 hat ihn zerstört.
Konferenzen der Siegermächte über Reparationsforderungen an das Deutsche Reich: Londoner Konferenz, 16.7. - 16.8.1924, zur Beratung des Dawes-Planes.

Konferenzen der Siegermächte über Reparationsforderungen an das Deutsche Reich: Londoner Konferenz, 16.7. - 16.8.1924, zur Beratung des Dawes-Planes.

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Es begann schon ein Jahr vorher: Der liberale Gustav Stresemann wurde im August 1923 zum Reichskanzler gewählt. Er war es, der als Regierungschef den Mut hatte, den Ruhrkampf gegen Frankreich und Belgien zu beenden und im November 1923 eine radikale Währungsreform durchzuführen, mit drastischen Kürzungen der öffentlichen Ausgaben. Von diesem Zeitpunkt an war die Hyperinflation beendet, der Reichshaushalt weitgehend ausgeglichen und die (neue) Währung stabil. Allerdings war Deutschland auch danach zunächst noch von den internationalen Kapitalmärkten isoliert.

Genau dies musste sich ändern. So jedenfalls die Grundidee von Gustav Stresemann, der ein tiefes Verständnis der volkswirtschaftlichen Bedeutung grenzüberschreitender Finanzströme für die Nachhaltigkeit der von ihm geschaffenen Stabilität hatte. Insbesondere war ihm, dem langjährigen Geschäftsführer des Deutsch-Amerikanischen Wirtschaftsverbandes, die Bedeutung des US-Kapitalmarkts für den Wiederaufstieg Deutschlands voll bewusst. Ihn galt es zu öffnen – durch eine internationale Vereinbarung, die weithin sichtbar Deutschland als stabilen Wirtschaftsstandort attraktiv machte. Deshalb begrüßte und beförderte er nach der Währungsreform die Einsetzung einer Expertenkommission, die im April 1924 ihren Bericht vorlegte. Sie tagte unter der hochkompetenten Leitung des amerikanischen Bankiers Charles G. Dawes. Ihre zentralen Empfehlungen, später bekannt als „Dawes-Plan“: moderate Senkung und Streckung der Reparationsforderungen gegenüber Deutschland aus dem Londoner Zahlungsplan vom April 1921; und Gewährung eines Startkredits von 800 Millionen Reichsmark zur erleichterten Finanzierung der Belastungen des Reichs und als Signal für dessen Kreditwürdigkeit an die internationalen Kapitalmärkte.

28 Aug.
28.08.2024 19:00 Uhr
Bonn

100 Jahre Dawes Plan. Schwung für die Wirtschaft?

Der Dawes-Plan wurde politisch am 16. August 1924 von den Alliierten beschlossen und am 29. August 1924 vom Reichstag angenommen, wozu eine Zweidrittelmehrheit erforderlich war – und damit auch die Zustimmung eines Teils der Abgeordneten der deutschnationalen DNVP. Dank des Verhandlungsgeschicks von Gustav Stresemann – seit Dezember 1923 nicht mehr Reichskanzler, sondern Reichsaußenminister – kam die Mehrheit tatsächlich zustande, was alles andere als selbstverständlich war. Damit legte Stresemann endgültig den Grundstein für seinen Ruf als bedeutendster Staatsmann der Weimarer Republik. Weitere Verdienste wie die Aussöhnung mit Frankreich und der Abschluss des Locarno-Paktes sollten folgen.

Als Instrument zur Öffnung der internationalen Kapitalmärkte war der Dawes-Plan tatsächlich überaus erfolgreich. Die Dawes-Anleihe wurde mühelos platziert und überzeichnet; und es folgte ein Zustrom von amerikanischem Kapital nach Deutschland, der hohe private und öffentliche Investitionen erlaubte. Die boomartigen „Stresemann-Jahre“ der Weimarer Republik begannen, vergleichbar nur den „Roaring Twenties“ in den Vereinigten Staaten. Vor allem die Kommunen nutzten ihre Chancen, egal wer parteipolitisch das Sagen hatte. Städte wie Berlin unter dem Oberbürgermeister Gustav Böss (DDP), Köln unter Konrad Adenauer (Zentrum) oder Magdeburg unter Herrmann Beims (SPD) errichteten modernste Messegelände, Brücken und Straßen, Grünanlagen, Parks und Sozialwohnungen, die heute noch zu bewundern sind – häufig übrigens auf höchst innovativem architektonischen Niveau.

Das böse Erwachen kam mit dem Schwarzen Freitag im Oktober 1929, wenige Tage nach Gustav Stresemanns Tod. Hohe Zinsen und der Börsenkrach in der Wall Street führten zum ruckartigen Abzug von Kapital in die Vereinigten Staaten. Deutschland wurde in eine „Große Depression“ hineingezogen, und diese mutierte zu einer Weltwirtschaftskrise. Wirtschaftshistoriker streiten noch heute über die Gründe für dieses tragische Ende. Diese lagen wohl auch in Konstruktionsfehlern des Dawes-Plans, die heute im Rückblick identifiziert, damals aber nicht erkannt wurden. Jedenfalls gab es im Ergebnis einen zu großen Anreiz zur öffentlichen Kreditaufnahme, vor deren Anstieg übrigens auch Gustav Stresemann selbst warnte. Vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussion über die Schuldenbremse in Deutschland hat diese Erfahrung nichts an Brisanz und Relevanz verloren.

 

Eine ausführlichere Darstellung zur Währungsreform Stresemanns 1923 und dem Dawes-Plan 1924 finden die interessierten Leserinnen und Leser in meinem Beitrag „Auf dem Weg zur Stabilität. Stresemann und die radikale Währungsreform 1923“. Dieser erscheint voraussichtlich im Dezember 2024 in einem Sammelband von historischen Beiträgen zum Lebenswerk des Liberalen Gustav Stresemann.