Urteil des BVerfG
Soli forever?

1989 fiel die Berliner Mauer, 1990 wurde Deutschland wiedervereinigt, 1991 wurde der Solidaritätszuschlag eingeführt – zunächst befristet, seit 1995 unbefristet. Zweck des Zuschlags war es, die Zusatzlasten der Folgen der Wiedervereinigung mitzufinanzieren, durch Schaffung zusätzlicher, nicht zweckgebundener Staatseinnahmen – zusammen mit den (zweckgebundenen) Mitteln des Solidarpakts, der Ende des letzten Jahrzehnts auslief.
Nun kommt das Bundesverfassungsgericht zu dem Ergebnis, dass die Erhebung des Solidarzuschlags weiterhin verfassungskonform ist. Begründung: Die fiskalischen Zusatzlasten der Deutschen Einheit dauern fort. Sie sind noch nicht beendet. Diese Begründung ist inhaltlich zutreffend, als Volkswirt ist man sogar geneigt zu sagen: Sie ist trivial. Zwar ist im Wesentlichen alles, was an Infrastruktur- und Investitionsbedarf für den sogenannten Aufbau Ost nötig war, längst erledigt, aber es bleiben systematische strukturelle Unterschiede zwischen West und Ost, die sich weiterhin in einem erkennbaren West/Ost-Gefälle der Wirtschafts- und Steuerkraft niederschlagen. Dies ist in einer Vielzahl von Untersuchungen zum Thema deutlich geworden – einschließlich eines 2020 veröffentlichten Gutachtens des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), das die Richterschaft offenbar besonders ernst nahm. Die Kernaussagen dieses Gutachtens sind aber seit langer Zeit inhaltlich bekannt, der Verfasser dieser Zeilen formulierte sie schon 2009, zwanzig Jahre nach dem Mauerfall.
Erstaunlich ist nicht die verbleibende Ost/West-Lücke, sondern die Tatsache, dass diese weiterhin ernsthaft zur Begründung des „Aufbau-Ost-Soli“ dient. Dies zeigt bei allem Respekt, dass Juristen keine Ökonomen sind. Denn nimmt man diese Begründung ernst, so würde jedes gravierende historische Ereignis mit strukturellen fiskalischen Langzeitfolgen eine eigene „Steuer“ rechtfertigen. Kein Zweifel dürfte zum Beispiel daran bestehen, dass der Erste Weltkrieg – er endete 1918 – gewaltige Langzeitfolgen hatte, die auch 35 Jahre später, also 1953, wirksam waren (und zum Teil bis heute noch sind). Hätte dies den Fortbestand einer Sondersteuer gerechtfertigt? Der Verfasser dieser Zeilen – selbst Volkswirt – wagt die Vorhersage, dass die West/Ost-Einkommens- und Produktivitätslücke von derzeit noch mindestens 20 Prozent mit allen ihren fiskalischen Konsequenzen auch in den nächsten Jahrzehnten nicht komplett beseitigt sein wird, also der Soli dann noch eine weitere lange Lebensspanne vor sich hätte, folgt man der Argumentation des Bundesverfassungsgerichts. Aber wir werden sehen.
Der Denkfehler des Gerichts liegt in einer Art „überzogenem Historismus“: Die Geschichte hinterlässt nun mal gelegentlich dauerhafte Spuren der Ungleichheit (oder Gleichheit), die wir im Vorhinein nicht vorhersehen können. Sie schafft eine neue Normalität. Diese mag – wie vieles andere – eine dauerhafte Reform des Steuersystems rechtfertigen, aber doch bitte nicht die Einführung einer „ewigen Sondersteuer“ wegen „ewiger Zusatzlasten“.
Die künftige Bundesregierung sollte den Soli abschaffen. Ganz nebenbei würde sie dabei jenen gewerblichen Mittelstand mit überdurchschnittlichen Einkommen entlasten, dessen Investitionen wir dringend für den wirtschaftlichen Wiederaufstieg Deutschlands brauchen. Also zwei Fliegen mit einer Klappe: bessere Steuerstruktur und bessere Leistungsanreize.
Soli-Abschaffung bleibt Aufgabe der Politik

Das Bundesverfassungsgericht hält den Soli für verfassungsgemäß – aber nicht unbegrenzt. Ob er bleibt, entscheidet die Politik. Drei starke Argumente sprechen für seine Abschaffung: Fairness, Wirtschaftswachstum und Staatsbegrenzung.