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Europawahl
ALDE und Macrons Renaissance-Liste bilden gemeinsame Fraktion

Europäische Liberale und Franzosen besiegeln in Straßburg ihre Zusammenarbeit

„Ca y est!“- „Das wäre geschafft!“, werden nicht wenige europhile Liberale vergangenes Wochenende gedacht haben. Nach monatelanger Unklarheit über den Verbleib der pro-europäischen Liste Renaissance des französischen Präsidenten Emmanuel Macron im künftigen Europäischen Parlament dürften die Spekulationen nun ein Ende haben. 

Vergangenes Wochenende besiegelten europäische Liberale und das Wahlbündnis Renaissance nach ersten, noch zaghaften Kooperationsversuchen beim ALDE Parteikongress in Madrid vergangenen November endgültig ihre Zusammenarbeit nach dem 26. Mai. Grundlage ist eine gemeinsame Absichtserklärung zur künftigen Fraktion, deren Name derzeit noch offen ist. Als wahrscheinlich gilt eine Beibehaltung des französischen Namens Renaissance – passend zum ALDE-Wahlslogan „Renew Europe“.

Zusammenarbeit mit der ALDE – aber nicht nur

Hinter dem Wahlbündnis Renaissance, was auf Deutsch so viel wie Wiederaufschwung oder Wiedergeburt bedeutet, verbergen sich gleich vier Parteien und Bewegungen: La République en Marche, Mouvement Démocrate, AGIR sowie das Mouvement Radical-Libéral Social. MoDemund La République en Marchehatten bereits im „Superwahljahr“ 2017 eine gemeinsame Liste gebildet, die beiden anderen Parteien schlossen sich diesen erst im Vorfeld der Europawahl an.

Aus den Reihen der ALDE zählen vor allem größere Mitgliedsparteien zu den Unterstützern dieser künftigen Kooperation: neben den Freien Demokraten unterstützen auch Ciudadanos (Spanien), D66 (Niederlande), Momentum (Ungarn), MR (Belgien), NEOS (Österreich) sowie VVD (Niederlande) eine gemeinsame Fraktion. Diese Auswahl ist bereits ein guter Anhaltspunkt für das Grundgerüst der künftigen Zusammenarbeit, die sich jedoch ausdrücklich nicht exklusiv versteht: 

„Die ALDE und die Liste Renaissance sind entschlossen, nach den Europawahlen eine neue Fraktion im Europäischen Parlament zu bilden, die offen für den Beitritt anderer gleichgesinnter Parteien sein wird. Diese neue Fraktion wird eine neue Kraft im Europäischen Parlament sein und die derzeitige Große Koalition der Sozial- und Christdemokraten beenden. (…) Gemeinsam haben wir eine klare Reformagenda für Europa und wir sind bereit, eine Koalition mit anderen reformorientierten Fraktionen im Europäischen Parlament einzugehen, die unsere Ziele teilen“, heißt es in der gemeinsam verfassten Erklärung.

Dazu führten Macrons Mitstreiter, neben Parteichef Stanislas Guerini auch der französische Benelux-Abgeordnete Pieyre-Alexandre Anglade, sowie die Beauftragte für Europabeziehungen Garance Pineau, in den letzten Monaten Gespräche mit zahlreichen europäischen politischen Partnern, darunter auch Grüne oder Sozialdemokraten. Auch Vertreter anderer politischer Strömungen gratulierten und signalisierten ihre Unterstützung des Renaissance-Projekts, so beispielsweise der portugiesische sozialistische Premierminister Antonio Costa sowie der ehemalige italienische Premier Matteo Renzi.

Neue Fraktion als Machtfaktor

Dank der neuen Kooperation kann die ALDE Fraktion, die derzeit mit 69 Mandaten im EU-Parlament vertreten ist, nach dem 26. Mai auf rund 100 Sitze hoffen. Die Fraktion dürfte nach aktuellen Umfragen von der französischen Delegation dominiert werden (rund 21 Sitze), gefolgt von Liberalen aus Deutschland, Spanien, Großbritannien und den Niederlanden. 

Mit dieser neuen Personalstärke würde die ALDE die de factopolitische Vorherrschaft der beiden großen Fraktionen EVP (Konservative) und S&D (Sozialdemokraten) brechen und könnte durch diese zentrale Rolle zum Königsmacher werden: Nach der Neukonstituierung des EU-Parlaments Anfang Juli wird es auch um die Verteilung europäischer Spitzenposten, darunter den Vorsitz der EU-Kommission sowie des EU-Parlaments, gehen. Ebenso wie die ALDE ist Präsident Macron ein Gegner des Spitzenkandidatenprozesses zur Bestimmung des Kommissionspräsidenten, wie er vergangene Woche beim EU-Gipfel in Sibiu bekräftigte. Es heißt, Macron wolle insbesondere EVP-Spitzenmann Manfred Weber verhindern, der ausgehend von künftigen Mehrheiten im EP die größten Chancen auf den begehrten Posten hätte. 

Beate Meinl-Reisinger, Parteichefin der österreichischen Neos, ging mit Verweis auf das ALDE Spitzenteam noch einen Schritt weiter: „Wir müssen verhindern, dass die Rechten sich nach der Wahl die Posten und die Macht aufteilen. EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager muss neue Kommissionspräsidentin werden.“ Ob Macrons Renaissance-Liste diese auch unterstützt, ist derzeit offen. Als alternative Kompromisslösung kursiert in Brüsseler Kreisen ebenfalls der Name Michel Barniers, französischer Brexit-Chefunterhändler der EU-Kommission sowie ehemaliger EU-Binnenmarktkommissar und französischer Minister.

Kooperation ≠ Gleichmacherei 

Ganz gleich, wie sich das europäische Personalkarussell letztendlich dreht – die wichtigsten Weichen sind weniger als zwei Wochen vor der Wahl gestellt. Inhaltlich kontroverse Debatten innerhalb der neuen Fraktion werden jedoch auch in Zukunft nicht ausbleiben, betonten die Unterzeichner der Kooperationserklärung vom Wochenende. Eine gemeinsame Fraktion mit Macron im Europäischen Parlament bedeute nicht, in allen Fragen einig zu sein, erklärten die Freien Demokraten.

Das beste Beispiel hierfür dürfte der zweite Sitz des EU-Parlaments in Straßburg sein, wo die monatlichen Plenarsitzungen stattfinden und denen aufwändige und kostspielige Umzüge vorangehen. Während die deutsche Liberalen das Parlament über die Beibehaltung des Straßburger Sitzes abstimmen lassen möchten, starteten die Franzosen jüngst gar eine landesweite Petition zum Erhalt dieses europäischen Erbes.

 

Carmen Descamps ist European Affairs Managerin im Regionalbüro der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in Brüssel.