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Tschechien
Babiš in friedlicher Mission in Brüssel - Zuhause alle Hände voll zu tun

Der tschechische Ministerpräsident besucht Ursula von der Leyen - zu Hause hat er Probleme
Babis in Brüssel

Der tschechische Premierminister Andrej Babiš in Brüssel

© picture alliance/Xinhua

Die tiefen Spannungen, die das Verhältnis der mitteleuropäischen Visegradstaaten (V4) sonst zu prägen scheinen, waren verflogen, als vergangenen Montag Tschechiens Ministerpräsident Andrej Babiš seinen Antrittsbesuch bei der zukünftigen EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen machte. Babiš hat im eigenen Land alle Hände voll zu tun, Machtkämpfe mit dem Präsidenten und dem Koalitionspartner auszufechten. Das lässt wenig Raum für anderes.

Das Treffen verlief in Harmonie. Der Ministerpräsident lobte die Kommissionspräsidentin in spe als siebenfache Mutter und erfahrene Politikerin. Sie war wiederum dankbar, dass die Stimmen im Europaparlament für sie auch von der ANO-Partei kamen, deren Vorsitzender Babiš ist. Er wiederum störte sich nicht daran, dass mit der Wahl von der Leyens das zuvor verkündete „Spitzenkandidaten-Modell“ verletzt wurde. Wie alle V4-Regierungschefs hatte er dieses Prinzip sowieso abgelehnt, da es den Einfluss der Regierungen der Mitgliedstaaten auf die Personalpolitik geschwächt hätte. Blieb nur ein wichtiges Thema: Wer wird tschechisches Kommissionsmitglied? Aber auch hier hielt sich die Spannung in Grenzen.

Neue und alte Kommissarin

Während  Polen mit dem Kabinettschef des Präsidenten,Krzysztof Szczerski, und Ungarn mit Ex-Justizminister László Trócsányi Kandidaten ins Rennen schicken, die bei den Anhörungen im Europaparlament wegen diverser EU-unfreundlicher Äußerungen Schwierigkeiten bekommen dürften, hat die tschechische Kandidatin wenig in dieser Richtung zu befürchten.

Andrej Babiš gilt zwar als Populist, ist aber kein Dogmatiker, der sinnvolle Einflussmöglichkeiten in der EU auf dem Altar der nationalistischen Ideologie opfern würde. Zudem läuft ein Verfahren wegen Subventionsbetrugs gegen ihn und ein (noch vorläufiger) Bericht der EU-Kommission belastet ihn bereits schwer. Unter solchen Bedingungen sollte man den Konflikt mit der Kommission nicht noch verschärfen.

Die von Babiš Vorgeschlagene ist parteiübergreifend unumstritten und bereits eine bewährte Kommissarin.Věra Jourová ist seit 2014 EU-Kommissarin für Justiz, Verbraucherschutz und Gleichstellung und hat ihren Job gut gemacht. Sie gehört zur Gründungsriege der ANO-Partei und gehört dort klar zum liberalen Flügel.Babiš würde sie gerne mit einem Ressort betraut sehen, das sich um Digitalisierung dreht; einem Metier, in dem Jourová auch schon in ihrer bisherigen Position glänzte.

Und noch etwas vermochte Babiš‘ Temperament in Brüssel im Zaum zu halten. Er hat in Tschechien selbst so viele Probleme, dass er in Brüssel keine zusätzlichen braucht. Im Zentrum steht derzeit ein Politikfeld, das selten in den Mittelpunkt rückt und ebenso selten relevante Krisen auslösen kann: die Kulturpolitik. „Kulturschaffende erleichtert!“, meldete im Mai dieses Jahres Radio Praha. Kulturminister Antonín Staněk hatte gerade seinen Rücktritt angekündigt. Die Kulturschaffenden hatten sich aber zu früh gefreut.

Der Kulturminister geht, kein neuer kommt

Staněk gehört dem kleinen Koalitionspartner von Babiš‘ ANO-Partei an, den Sozialdemokraten (ČSSD). Von Anfang an galt er als schwache Wahl, hatte er doch wenig kulturpolitische Erfahrung und sich etwa in früheren Positionen bei Fragen des Denkmalschutzes oft gegen die Kulturexperten entschieden. Im April machte er den entscheidenden Fehler, als er den international hochrenommierten Direktor des Nationalmuseums Jiří Fajt kurzerhand absetzte – angeblich wegen einiger Formfehler, die dieser bei Vertragsabschlüssen begangen hatte. Eine Woge der Entrüstung brach über das Ministerium hinein. Es gab internationale Proteste. Die ČSSD sah ihre Felle bei einer wichtigen Zielgruppe, eben den Kulturschaffenden, davon schwimmen. Man reagierte schnell. Im Mai beschloss das Kabinett, den Minister abzusetzen und durch den Sozialdemokraten Michal Šmarda zu ersetzen.

Das war die Stunde von Präsident Miloš Zeman. Zeman war dereinst bei der ČSSD, zerstritt sich aber schon 2007 mit dieser heftig. Nicht ganz im Sinne der Würde seines Amtes mischt er sich deshalb immer noch in Angelegenheiten der Partei ein, meist um deren Führung zu desavouieren. Er ist immer noch ein Machtfaktor in der Parteipolitik und lässt sich stark von Sympathien und Antipathien, ja von persönlichen Revanchegefühlen leiten. Eine der Erklärungen, warum Staněk Museumsdirektor Fajt gefeuert haben könnte, war, dass dieser bei den letzten Präsidentschaftswahlen offen seine Unterstützung für den Gegenkandidaten Zemans, Jiří Drahoš, geäußert hatte. Staněk versprach sich mit dieser Aktion möglicherweise zusätzliche Unterstützung durch den Präsidenten Zemans. 

Ähnlich auch im Falle des potenziellen Ministers Šmarda. Der hatte sich 2016 im Falle einer Ehrung für einen Verfolgten des Naziregimes offen gegen Zeman gewandt, der diese Ehrung ablehnte, nicht zuletzt, weil sie damals von einem ihm kritisch gesonnenen Minister kam. So etwas merkt Zeman sich. Folglich lehnte er die Benennung Šmardas mit der lapidaren Begründung ab, es gebe wohl bessere Kulturexperten. Zwar darf der Präsident in Tschechien tatsächlich einzelne Kabinettsmitglieder bestätigen, doch ist seine Weigerung in diesem Falle verfassungsrechtlich umstritten. Zumindest widerspricht es dem Geist der parlamentarischen Demokratie und es stellt die Koalitionsvereinbarung von ANO und ČSSD in Frage, die den jeweiligen Parteien das Recht zur Besetzung „ihrer“ Ressorts zubilligt.

Kein Wunder, dass ČSSD-Chef und Vize-Ministerpräsident Jan Hamáček dies auch sofort bei Babiš einforderte. Sogar mit Koalitionsbruch wurde gedroht, eine Drohung, die allerdings nicht so recht ernst genommen wurde, weil sie der umfrageschwachen ČSSD bei dann fälligen Neuwahlen wahrscheinlich die parlamentarische Existenz kosten würde. 

Hoch oben auf der Burg – keine Lösung in Sicht

Babiš hat sich seither mehrere Male mit dem Präsidenten getroffen, immer ohne Erfolg. Entweder gäbe es einen Kandidaten, den er selbst bestimme, sagte der Präsident zunächst, oder die ČSSD müsse zumindest einen anderen Kandidaten bestimmen, sagte er später. Beide Forderungen waren für dieČSSD unannehmbar. Aber eben auch für Babiš, der von den Medien auf einmal nicht mehr als der „starke Mann“ wahrgenommen wurde, der noch Herr über seine Kabinettszusammensetzung ist.

Ein Riss tat sich auf. Babiš und Zeman galten für manche Beobachter einst als regelrechtes Team. Babiš unterstützte Zeman bei der Präsidentenwahl gegen Drahoš, Zeman wiederum deckte bedingungslos die Minderheitenkoalition und deren Unterstützung durch die Kommunisten. Scharfsinnigen Beobachtern kam schon früh der Gedanke, dass das nur ein Bündnis auf Zeit war. In wesentlichen Fragen gab es schon vorher große Konfliktlinien zwischen dem China- und Putinfreund Zeman einerseits und dem pro-westlichen Babiš andererseits. Vor allem: Zeman braucht für seine Macht Babiš nicht mehr, aber Zeman macht mit seiner Blockade um das Kulturminsterium klar, das Babiš ihn braucht.

Die Bedrängnis ist für Babiš noch nicht gefährlich, aber sie ist bemerkbar. Während die großen Demonstrationen im Juni gegen ihn und seine Verstrickung in Subventionsskandale die Umfragewerte seiner Partei kaum tangierten, haben diese in den vergangenen vier Wochen immerhin um rund vier Prozent auf 28,5 Prozent abgenommen. Damit ist ANO noch mit Abstand die stärkste Partei. Die Wähler scheinen ihrem Ministerpräsidenten dessen momentane Schwäche eher übel zu nehmen als seinen möglichen Betrug mit EU-Fördergeldern.

Die Opposition sammelt sich

Auch die Opposition sammelt zum Angriff. Lange redeten die Parteien nicht einmal miteinander. Deren Zersplitterung war die Stärke von Babiš. Insbesondere die zweitgrößte Oppositionspartei, die konservative ODS, wurde als rechtslastig und EU-feindlich empfunden, weshalb sich die zentristischen Parteien lange weigerten, mit ihr zu paktieren. Inzwischen hat ODS-Chef Petr Fiala seiner Partei eine Generalüberholung verordnet, die unter anderem zur Folge hatte, dass sich die Partei von ihren berühmtesten Persönlichkeiten trennte, Ex-Präsident Václav Klaus und seinem gleichnamigen Sohn. Beide fischten offenkundig in rechtsradikalen Gewässern. Der Vater tritt öfters bei der AfD in Deutschland auf. Die Bereinigung hat dazu geführt, dass ODS und die Mitte-Parteien zumindest wieder über eine gemeinsame Strategie gegen Babiš sprechen, was dessen Chancen bei den nächsten Wahlen mindern könnte.

Und dann ist da ja noch die Frage des Kulturministers. Nach über zwei Monaten hat Präsident Zeman am 31. Juli endlich Staněks Entlassung angenommen. Allerdings hat er Šmarda nicht im Amt bestätigt. Es ist verfassungsrechtlich umstritten, ob die nun gefundene Interimslösung, das Ministerium von Staatsekretär René Schreier leiten zu lassen, überhaupt rechtskonform ist. Viele andere Optionen haben Babiš und Hamáček aber nicht, solange die präsidentielle Blockade anhält. Vor einer Klage gegen Zeman wegen Überschreitung seiner Verfassungskompetenzen (wie sie derzeit die von der oppositionell dominierten Senatskammer erwogen wird) nimmt Babiš Abstand, wissend, dass dies ihm in Zukunft Ärger einbringen könnte.

Der Präsident ist vor einigen Tagen erst einmal in Urlaub gefahren - um endlich mal wieder in Ruhe ein Buch zu lesen, wie er verlauten ließ. Jetzt wartet das Land gebannt, was passiert, wenn er Mitte August wieder zurückkehrt. Vize-Ministerpräsident Hamáček verkündete, Zeman müsse nun endlich Šmarda bestätigen. Aber wird er das tun? Eine spannende Frage.

Aber man versteht, warum der Besuch bei Ursula von der Leyen in Brüssel für Andrej Babiš fast so etwas wie ein erholsamer Wochenendausflug war.

 

Dr. Detmar Doering leitet das Projektbüro für Mitteleuropa und die baltischen Staaten der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit mit Sitz in Prag.