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Mueller Report
Brillante Strategie oder enttäuschender Misserfolg?

Robert Mueller

Robert Mueller bei der Anhörung vor dem US-Kongress

© picture alliance/dpa/CNP

Sonderermittler Robert Muellers Aussagen vor dem Kongress waren eine Enttäuschung für die US-Demokraten. Sie sollten deshalb nicht länger vom Impeachment träumen, sondern stärker ihre eigenen politischen Projekte in den Vordergrund stellen und auf das Wahljahr 2020 blicken. Die Strategie, die politische Landschaft Amerikas durch ein Amtsenthebungsverfahren wachzurütteln ist zum Scheitern verurteilt, analysiert Johanna Rudorf aus Washington.

Große Hoffnungen im Vorfeld

Ähnlich wie Schneewittchen lag der Bericht von Sondermittler Robert S. Mueller zur Russland-Affäre um US-Präsident Donald Trump im gläsernen Sarg, seitdem eine in Teilen geschwärzte Version des kompletten Berichts Mitte April veröffentlicht wurde. Nach Ansicht der Demokraten im Repräsentantenhaus war es jetzt an der Zeit, den Bericht durch einen spektakulären „Kuss“ aus dem Schlaf zu wecken – denn nur wenige Amerikaner haben den 448-seitigen Bericht tatsächlich gelesen, in dem der 74 Jahre alte frühere FBI-Chef seine Erkenntnisse über die Einmischung Russlands in den US-Wahlkampf 2016 ausführlich beschreibt. Muellers mit Spannung erwartete Aussage vor dem Justiz- und dem Geheimdienstausschuss des Repräsentantenhauses am vergangenen Mittwoch sollte der charmante Prinz hinter dem Kuss sein, doch die meisterwartete Anhörung des Jahres lieferte nicht das märchenhafte Ende, auf das die Demokraten große Hoffnungen gesetzt hatten.

Mueller und sein Team waren nach mehr als zwei Jahren Ermittlungen auf zahlreiche Kontakte zwischen Trumps Wahlkampfteam und Vertretern Russlands gestoßen. Beweise für eine Straftat fanden sie aber nicht. In vielen Aspekten liefert der Bericht nur ein unübersichtliches Mosaik von Indizien, ohne sie zu einem Argument zusammenzusetzen. Das gilt auch für die zweite zentrale Frage, ob Präsident Trump die Justiz behindert habe. Auch hier traf Mueller keine klare Aussage, sondern legte Indizien dafür und dagegen vor. Trotzdem beharrte Mueller darauf, dass er seinen Teil geleistet habe und es jetzt am Kongress sei, aus dem Bericht die notwendigen Schlussfolgerungen zu ziehen.

Dies geschah jedoch ganz und gar nicht: Durch das hinterlistige Vorgehen von Justizminister William Barr, der offen auf Trumps Seite steht, wurden weite Teile des Berichts geschwärzt. Nur ein kleiner Teil der amerikanischen Bevölkerung las den Bericht, der in den konservativen Kabelsendern und einschlägigen Medien erfolgreich als Hexenjagd gegen den Präsident inszeniert wurde. Der Inhalt war zu wenig eindeutig und sehr kompliziert. Auf der einen Seite spricht der Bericht Trump nicht von jeglicher Schuld frei. Gleichzeitig erklärt das Dokument jedoch, dass die Handhabung der dargelegten Taten nicht in den Arbeitsbereich des FBI falle. Anders gesagt: Trump hat Straftaten begangen, jedoch ist es nicht Aufgabe des FBI über die Unantastbarkeit eines Präsidenten zu entscheiden. Was sollte die breite Masse der US Bevölkerung also mit derartigen Aussagen anfangen, die nicht einmal von höchsten Politikern gedeutet werden konnten? Bürgerinnen und Bürger erlebten mit, wie mit dem Inhalt des gleichen Berichts für vollkommen verschiedene Positionen argumentiert wurde. 

Kurzum, es entwickelte sich keine Sprengkraft durch eindeutige und stichhaltige Anschuldigungen, mit der man Präsident Trumps Teflon-gleiche Mauer aus Lügen, Verzerrungen, und vor allem einfach verständlichen und medienwirksamen Behauptungen vielleicht hätte einreißen können.

Die Demokraten änderten also ihren Kurs und entschieden sich, gegen den ausdrücklichen Wunsch Muellers, alles auf eine Karte zu setzen und ihn zum ersten Mal seit seiner Ernennung zum Sonderermittler im Mai 2017 vor dem Kongress und und der Öffentlichkeit befragen zu lassen. Selbst wenn Mueller nur Teile seines Berichts der Öffentlichkeit vorlesen würde, so behaupteten sie, könne dies einen signifikanten Unterschied bedeuten. In der Wunschvorstellung der Demokraten würde das wirksame Verständnis der Öffentlichkeit für den Inhalt des Berichts zu einer Zunahme der öffentlichen Opposition gegen den Präsidenten führen, genauso wie möglicherweise neue Beweise und Aussagen Muellers liefern. Dabei schwebte stets der Ausdruck „impeachment“ im Raum, denn die letztendliche Absicht war natürlich, ein erfolgreiches Amtsenthebungsverfahren einleiten zu können. 

Aus Sicht der Republikaner sind die Untersuchungen bekanntermaßen Ergebnis einer politischen Verschwörung von Demokraten und ehemaligen Beamten des Justizministeriums gegen Trump. Nichtsdestotrotz hofften auch sie, aus der Anhörung Profit zu schlagen. Mit zielgerichteten Fragen planten sie, unrechtmäßige Ursprünge von Muellers Ermittlungen sowie die mögliche Voreingenommenheit seines Teams zu beweisen. Sie erhofften sich durch die Anhörungen außerdem ein breites Publikum für Passagen des Dokuments, die Trump entlasten, zu gewinnen und gleichzeitig Anschuldigungen unterstützen, die Republikaner bereits als anerkannte Wahrheiten präsentieren: Trump war das Ziel einer unfairen und gegen die Regeln verstoßenden Untersuchung (einer sogenannten „Hexenjagd“), angezettelt von wütenden Demokraten und Trump-Hassern, die darauf abzielten, zuerst seinen Wahlkampf, dann seine Präsidentschaft zu untergraben. Es war eine willkommene Chance, Muellers Ruf zu beschädigen und die Integrität seiner Arbeit infrage zu stellen.

Die Anhörung: Keine dramatischen Enthüllungen von Mueller

Die Hoffnung der Demokraten, dass Muellers Aussage ein entscheidender Moment sein würde, wurden mehr und mehr enttäuscht, je länger die Befragung andauerte - zum großen Teil, weil ihr Starzeuge kein „Star“ war. Wiederholt versuchten sie am Mittwoch prägnante Zitate und neue Informationen, die auf Trumps Verbrechen hindeuten, aus dem notorisch schweigsamen Sonderermittler herauszuholen. Aber ihre Bemühung, die Aufmerksamkeit auf explizite Episoden einer möglichen Behinderung der Justiz zu konzentrieren, liefen ins Leere. Mueller verbrachte insgesamt fünf Stunden damit, entweder gut die Hälfte aller Fragen gar nicht zu beantworten, und wenn doch, dann inhaltlich nie von dem 448-seitigen Bericht, den er im April vorgelegt hatte, abzuweichen. Er bot keine eigene Neuformulierung an, trug sehr wenig zu dem Verständnis des Berichts bei und lehnte es mehrmals ab, das Thema Amtsenthebung anzusprechen.

Medienandrang

Medienandrang bei Muellers Aussage vor dem Kongress

© picture alliance / ZUMAPRESS.com

Also begannen sowohl Demokraten als auch Republikaner, vermehrt Passagen aus dem Bericht laut vorzulesen, die ihre jeweilige Position unterstützen, und Mueller dann um Bestätigung dieser Information zu bitten. Dass daraus noch weniger bis gar keine neuen Erkenntnisse gewonnen wurden, liegt auf der Hand. 

Nichts Neues – und was nun?

Der vorliegende Mueller-Bericht hat den Graben zwischen Demokraten und Republikanern noch weiter vertieft. Die Interpretationen des Berichts durch die Medien und Parteienpolitik sind so unterschiedlich wie Tag und Nacht. Während sich Republikaner und konservative Medien nur auf das Fazit stützen – „Wären wir sicher gewesen, dass der Präsident offensichtlich kein Verbrechen begangen hat, hätten wir das so [im Bericht] gesagt“, lesen die Demokraten und liberale Medien den Bericht haargenau. Für die Republikaner wurde Trump durch den Bericht vollends entlastet, die Demokraten sehen wiederum eine detaillierte Beschreibung eines kriminellen und unfähigen Bewohners des Weißen Hauses. Ihre Interpretation wird jedoch ständig von Trump-Anhänger angegriffen und in Verruf gebracht. Warum schaffen es die liberalen Kräfte nicht, sich diskursiv durchzusetzen? Ihr Umgang mit dem Mueller-Report könnte schuld sein.

Für viele Linke haben die Trump-Jahre den Beginn eines politischen Albtraums markiert. Sie haben die Entstehung eines Zeitalters erlebt, in dem weder ein Sex-Skandal noch ein Finanz-Skandal -  geschweige denn irgendein Skandal – ausreicht, um den Präsidenten zu stürzen. In einer Zeit, in der immer wieder verstörende Bilder der Machenschaften im Weißen Haus zum Vorschein kommen, bot zumindest Muellers ruhige, akribische Herangehensweise den Demokraten ein gewisses Maß an Trost. Mueller und sein Team waren Superhelden aus der alten Zeit, um  Ordnung in eine aus den Fugen geratene Welt zu bringen. Sie waren die Kräfte der Gerechtigkeit - im wahrsten Sinne des Wortes. Jedes Mal, wenn Mueller ein neues Stück Information in die Öffentlichkeit warf und das Weiße Haus gezwungen war, darauf zu reagieren, fühlte es sich an, als ob Trump jeden Moment die Macht verlieren würde. Aber es kam nie zu einer Zuspitzung - Trump konnte die Auswirkungen bis jetzt jedes Mal vermeiden, mit den alten Methoden konnte man ihm nichts anhaben, die Regeln des Spiels haben sich geändert.

Zunächst bot die Anhörung Trump eine weitere willkommene Bühne für seine Selbstinszenierung als Opfer einer böswillige Verschwörung, die ihm aber nichts anhaben kann. Die parteiinterne Uneinigkeit zur Frage Amtsenthebung Trumps hindert die Demokraten nun daran, sich gegenüber den Republikanern erfolgreich durchzusetzen. Junge linke Abgeordnete wie Rashida Tlaib und Alexandria Ocasio-Cortez, fordern Trumps Absetzung, während Pelosi immer wieder versucht, Impeachment-Forderungen zu unterdrücken. Diese innerparteilichen Gegensätze könnten jedoch politisch riskant sein und der Partei bei den Präsidentschaftswahlen 2020 schaden. 

Umfragen haben wiederholt gezeigt, dass eine Amtsenthebung in der US-Bevölkerung nicht sehr populär ist – auch nicht nach der Veröffentlichung der überarbeiteten Version von Muellers Bericht über die Russland-Affäre. Eine Umfrage von NBC News / Wall Street Journal von Anfang Juli ergab, dass nur 21 Prozent der Befragten glauben, dass es genügend Beweise gibt, um eine Amtsenthebungsverfahren gegen den Präsidenten einzuleiten. Dazu kommt noch, dass sich außerhalb der Politikinseln New York, Washington und Kalifornien kaum jemand für die Mueller-Ermittlungen interessiert. 

Die Demokraten sollten deshalb nicht weiter vom Impeachment träumen, sondern stärker ihre eigenen politischen Projekte in den Vordergrund stellen und auf das Wahljahr 2020 blicken. Ihre Strategie, die politische Landschaft Amerikas durch ein Amtsenthebungsverfahren wachzurütteln ist zum Scheitern verurteilt.

Anstatt dass die letzte Kugel in der Pistole der Demokraten ihr Ziel getroffen hätte, wird sie wahrscheinlich zum Querschläger und verbaut den Demokraten jeden weiteren Versuch, auf legale Weise Präsident Trump aus dem Weißen Haus zu entfernen.  

Um sich Gehör zu verschaffen, muss sich die Gegenposition Trumps diskursiv durchsetzen können. Einfache, kurze und klare Botschaften, die Zuhörer aus allen Schichten der Gesellschaft erreichen und überzeugen. Eigentlich so, wie Trump es vormacht. Stattdessen steht man nach zwei Jahren Ermittlungen, 448 Seiten Bericht und fünf Stunden Anhörung noch immer vor einer Menge nicht eindeutiger Tatsachen. Eine Niederlage, die nicht Gutes verheißt für den anstehenden Kampf um die Wahlen 2020 und damit die Lage der Demokratie in den USA.